Vom Chaos, der Virtuellen Realität und der Endophysik

Seite 7: Der cartesianische Dualismus

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Der cartesianische Dualismus, von dem Sie vorhin ausgingen, durchzieht uns ja noch immer. Beispielsweise steht die Frage ja in der KI-Forschung an, ob es möglich ist, eine Intelligenz zu bauen, die nicht organisch ist. Würden Sie denn den Geist oder das Bewußtsein auf die Ebene der Magie setzen, sofern sich da vielleicht etwas der Erklärung und der Rekonstruktion entzieht?

RÖSSLER: Keinesfalls. Wir haben eben nur von Physik und von Relationen in der Welt gesprochen. Die Idee von Descartes ist natürlich nicht, daß die Welt eine Maschine ist, obwohl er das erfunden hat. Seine Idee ist, daß man träumen muß. Sein Traum war ja, daß er gezwungen wird, zu träumen. Der Traum ist in sich eine psychische Realität. Nach Descartes ist die Substanz der Welt eigentlich ein Traum. Man übersetzt das cogito ergo sum immer "Ich denke, also bin ich". Das stimmt nicht. Cogitare heißt beim ihm empfinden oder träumen. Und auch im Traum kann man cogito ergo sum sagen. Wenn das einer im Traum sagt, dann heißt das, er ist, aber es heißt natürlich nicht, daß die Realität, die für den Träumer existiert, im Sinne der Physik real ist. Descartes war keineswegs ein Dualist, sondern ein Monist, ein Idealist vom reinsten Wasser und vielleicht der einzig konsequente. Ich nenne ihn auch den westlichen Buddhisten, weil er in seinem Denken so verwandt ist mit Chuangtse, der allerdings kein richtiger Buddhist ist.

Wenn man diese Perspektive der Endophysik einnimmt, dann taucht doch gleich das philosophische Schreckgespenst des völligen Relativismus auf. Wenn die Welt der Traum des Menschen ist, dann tritt möglicherweise eine Beliebigkeit ein. Alles ist vorstellbar. Es gibt viele Welten. Wo ist nun die objektive Welt? Ist sas Interface beliebig verschiebbar oder manipulierbar?

RÖSSLER: Das ist wieder diese Konsistenzfrage. Wenn wir uns in einem Traum befinden, dann ist das so, wie bei Chuangtse: Ich träumte, ich wäre ein Schmetterling. Jetzt bin ich aufgewacht und weiß nicht, ob ich ein Mensch bin, der gerade geträumt hat, er sei ein Schmetterling, oder bin ich ein Schmetterling, der gerade träumt, daß er ein Mensch ist. Zunächst verschwimmt einem alles vor Augen. Dann hilft einem die cartesianische Frage, von der ich nicht weiß, ob Chuangtse sie hatte: Schauen wir uns die Feinstruktur des Traumes an.

Der Traum besteht aus Schmerzen, aus Freuden, aus Farben, aus Tönen, aus Geschmäckern, aus Gerüchen und aus einer weniger aufallenden Sache, nämlich den Beziehungen zwischen diesen allen. Descartes fragte, ob diese Relationen nicht den Anker bilden. Wir könnten vielleicht sehen, ob sie passen oder nicht. Wenn sie überall schön passen, dann können wir die Aufoktroyierung des gesamten schönen oder blutigen Gebildes akzeptieren, weil wir von den Relationen aus selbst allmächtig gegenüber unseren Nachbarn werden, die im Traum vorkommen. Das aber ändert nichts daran, daß das Ganze eine rein psychische Struktur im Sinne von geisterhaft ist. Weil es aber eine solche ist, darf es in ihr keine weiteren psychischen Strukturen geben, da dies die Sauberkeit des Ganzen verderben und der Magie Tor und Tür öffnen würde. Wenn aber diese psychische Struktur konsistent und sauber ist, dann hat die Magie keine Chance. Das nennt man dann Aufklärung, die verloren geht, wenn man hier einen Einbruch zuläßt. Ich habe es durch die Chaosforschung gemerkt, daß sie hier noch einmal ein Türchen öffnet, das vielleicht diesen Einbruch, der weitgehend akzeptiert ist, wieder zurückweisen kann.