Vom Chaos, der Virtuellen Realität und der Endophysik

Seite 6: Descates oder Physik und Fairneß

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Es ist ja erstaunlich, daß Sie nun naturwissenschaftliche Theorie, wie sie beispielsweise von Descartes unter rationalistischen Kriterien entworfen wurde, auf einer Frage der Fairneß, also auf einer ethischen Frage begründen wollen. Wie würde denn das in Bezug auf die Endophysik aussehen? Wie geht etwa die Anforderung, daß wir uns fair verhalten sollen, in physikalische Theorien ein? Ist das überhaupt denkbar? Modern zumindest ist die Trennung der Werte von den Tatsachenfeststellungen. Sie hingegen wollen dies offenbar nun wieder zusammendenken.

RÖSSLER: Ja, so verstehe ich Descartes. Er ist rein von dieser moralischen Fairneßfrage hergekommen. Weil er so mutig war, hier eine Chance zu entdecken, kurbelte er überhaupt erst dieses ganze Programm moderner Naturwissenschaft an. Descartes existiert ja in zwei Lagern. Er ist auf der einen Seite der Erfinder des bösen modernen Mechanizismus, auf der anderen ist er der Erfinder des Bewußtseinsbegriffs. Neulich war hier in Tübingen ein Vortrag von einem Heidelberger Philosophen mit dem wunderschönen Titel: Nachcartesische Meditationen über den Abgrund des Bewußtseins. Man sieht, daß Descartes in den Geisteswissenschaften auch ein Heiliger ist. Er ist es zwar nicht als Erfinder des naturwissenschaftlichen, "grausamen" und unbegrenzten Fortschritts, sondern ein Heiliger der Reflexion über das Bewußtsein.

Nur weil er vor dem Problem stand, wo das Bewußtsein herkommt, entstand seine Philosophie. Er hatte 1619, als er 23 Jahre alt war, diesen schrecklichen Traum, wo ihm die Traumartigkeit des Wachzustandes so eingehämmert wurde, daß er verrückt zu werden drohte, wenn er nicht einen Ausweg fände. Dieser Ausweg war die Chance, die er der Welt gegeben hat: daß sie vielleicht konsistent ist. Denn dann wäre sie kein böser Traum. Solange sie konsistent erscheint, könnte man jedenfalls glauben, daß sie kein böser Traum ist. Solange sie konsistent ist, kann man selbst fair sein und glauben, daß der, der vielleicht diesen Traum in Gang gesetzt hat, keine Angst davor hat, daß man im Kleinen fairer ist als er selbst.

Ich frage mich natürlich, wie man Descartes mit Ihrer Perspektive der Endophysik verbinden kann.

RÖSSLER: Das ist eine ganz wichtige Verbindung. Es gibt einen berühmten Satz von Einstein, daß, wenn Gott würfeln würde, er lieber ein Angestellter in einer Spielbank wäre als ein Physiker. Einstein hat dies direkt auf die Quantenmechanik angewendet und sprach vom "freien Entschluß" der Teilchen. Das Würfeln bezieht sich nicht auf das Würfeln in der Welt, also auf das Chaos, sondern es bezieht sich auf das Würfeln hinter dem Rücken der Welt, sofern auf einmal unerklärbare, geradezu psychische Phänomene in die Welt einbrechen und so ihre Konsistenz zerstören. Das darf nicht sein.

Auch Niels Bohr, der das Komplementaritätsprinzip erfunden hat, hat es nur erfunden, weil dies ihm als der einzige Ausweg erschien, wie man die Sache doch noch erklären und akzeptieren kann. Er sagte, wenn das Komplementaritätsprinzip als Erklärung nicht ausreicht, dann wäre die Physik ein schlechter Traum. Er hat also nur an einer anderen Stelle als Einstein, aber sonst gleich reagiert. Dies haben beide instinktiv getan, denn ich glaube nicht, daß sie Descartes in seiner Vorhersage dieser Katastrophe gekannt haben. Descartes hatte ja dazu aufgefordert, nachzusehen, ob irgendwo eine Unsauberkeit passiert, wie z.B. eine "primäre Wahrscheinlichkeit" im Sinne Paulis, d.h. etwas, das man nur noch mit Magie beeinflussen könnte, auf jeden Fall aber nicht mehr mit Wissenschaft. In dem Moment, in dem so etwas gefunden würde, wäre die moderne Naturwissenschaft an ihrem Ende angekommen.

Bei der Quantenmechanik handelt es sich aber doch nicht um Magie, sondern höchstens um Zufall?

RÖSSLER: Doch, das ist das gleiche. Natürlich gibt es Phänomene wie das Wetter, die nicht kontrolliert werden können, aber man weiß, daß das Chaos daran Schuld ist und wir selbst Teil der Welt sind. Wenn man das Wetter im Computer hätte, wäre alles vollkommen klar. Nur weil wir die Anfangsbedingungen der Welt nicht genau genug messen können, müssen wir mit dem Wetter leben, das wir nicht vorhersehen können. Wenn wir hingegen annehmen, daß es einen primären Zufall gibt, der auch nicht durch das Chaos erklärbar ist, sondern der wirklich irgendwo anders herkommt, und wenn die Naturwissenschaft sagt, daß sie dafür nicht zuständig ist, dann heißt das, daß die Naturwissenschaft die Hoffnung, die sie einige Jahrhunderte lang übernommen hatte, wieder abgibt. Sie müßte dann den Menschen sagen, daß sie schauen sollen, wie sie zurechtkommen, denn wir, die Naturwissenschaftler, sind nicht zuständig für ganz wichtige Teile der Erfahrung.

Vielleicht ist es doch so, daß die Magie, z.B. die vornehme moderne Magie im Sinne des Don José von Castaneda, der Schlüssel ist, um mit der Welt fertig zu werden. Wir sind nicht mehr zuständig. Wir können nur noch Bomben bauen, aber helfen, die Welt zu verstehen und moralisch zu sein, können wir euch nicht.

Die Naturwissenschaftler sind heute der Meinung, daß die Quanten-Sache unverständlich ist, daß also die virtuelle Realität, in der wir uns alle befinden, nicht sauber ist. In dem Moment, wo sie nicht sauber ist, müssen wir schauen, ob nicht die Pallas Athene oder eine bestimmte andere Magie helfen kann.