Von Innenministerium diffamiert: Bericht zu "Muslimfeindlichkeit" sorgt für Ärger

Sigrid Herrmann. Bild: privat

Ministerium musste nach Gerichtsstreit Papier zurückziehen. Expertin war diffamiert worden. Nun will niemand verantwortlich sein oder auch nur sprechen.

Das Bundesinnenministerium hat nach einer Gerichtsentscheidung beschlossen, einen umstrittenen Bericht des "Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit" (UEM) nicht mehr zu verbreiten. Dieser Schritt erfolgte, nachdem zwei Islamismuskritiker, darunter die Expertin Sigrid Herrmann, sich diffamiert fühlten.

SPD-Ministerium: Angriffe auf Islamismuskritiker

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte den Bericht im Juni 2023 gelobt und betont, dass man entschlossen gegen Muslimfeindlichkeit vorgehen müsse. Jedoch wurden in dem Bericht bekannte Islamismuskritiker persönlich angegriffen, darunter Sigrid Herrmann – die pikanterweise ausgerechnet Faesers SPD-Landesverband angehört.

Gerichtliche Rüge: Bericht revidiert

Das Berliner Verwaltungsgericht erließ eine Entscheidung zugunsten der Islamismuskritiker und rügte das Bundesinnenministerium für mögliche Verletzungen des Persönlichkeitsrechts.

Infolgedessen zog das BMI den Bericht mit dem Titel "Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz 2023" von seinem Internetportal zurück und entsorgte die noch vorhandenen Druckexemplare.

Experten-Gremium verschwunden: Verantwortungslosigkeit"

Mathias Rohe von der Universität Erlangen, der das Expertengremium koordiniert hatte, gab bekannt, dass das Gremium nicht mehr existiert und daher nicht befugt sei, den Vorgang zu kommentieren. Trotz des Rückzugs des Berichts bleibt die Bloggerin Herrmann weiterhin von den Anschuldigungen betroffen.

CDU fordert Entschuldigung: Ministerium in der Defensive

Die CDU hat von Bundesinnenministerin Faeser wegen der Herabwürdigung der im Bericht genannten Personen eine Entschuldigung verlangt. Ob das BMI sich inhaltlich von den Aussagen distanzieren werde, bleibt aber unklar. Das Ministerium betont, dass der Bericht lediglich vom BMI veröffentlicht worden sei, jedoch nicht dessen Meinung widerspiegle.

Sigrid Herrmann kritisiert, dass das Ministerium sich auf juristische Ausflüchte zurückziehe und sie nun auf eigene Kosten gegen die weitere Verbreitung des Berichts vorgehen müsse.

Telepolis sprach mit Herrmann über den Bericht, die Reaktion des Ministeriums und die möglichen Folgen für sie selbst

Bloggerin schlägt zurück: Herrmann im Interview

Frau Herrmann, was war Ihre erste Reaktion, als Sie den inzwischen zurückgezogenen Bericht des Bundesinnenministeriums zur Muslimfeindlichkeit gelesen haben?
Sigrid Herrmann: Ich habe zuerst die Handlungsempfehlungen gelesen und war sehr irritiert, wie weit die Forderungen gingen und was alles behauptet wurde. Wegen der Zusammensetzung hatte ich zwar schon Bedenken geäußert, hatte aber auf einen letztlich ordnenden, ggf. korrigierenden Blick des BMI gehofft. Erst später am Tag – ich hatte den Bericht natürlich aus beruflichen Gründen wahrgenommen – habe ich bemerkt, dass ich im Bericht auftauche.

Reputation beschädigt: Falsche Anschuldigungen

In dem Bericht wird behauptet, Sie würden sich als "Islamismus-Expertin" bezeichnen, obwohl Ihnen die fachliche Expertise und die entsprechenden Sprachkenntnisse fehlen. Wie kommentieren Sie diese Behauptung?
Sigrid Herrmann: Ich bin seit Jahren im Bereich der Aufklärung islamistischer Netzwerke beruflich tätig. Besonders bösartig fand ich tatsächlich, dass Journalisten dafür kritisiert wurden, wenn sie belegte Inhalte von mir abfragten oder übernahmen.
Meine Einordnungen werden auch von Behörden übernommen oder beruhen auf amtlichen Veröffentlichungen. Ich beziehe mich nur auf Inhalte, von denen mir Übersetzungen vorliegen oder die in Sprachen verfasst sind, die ich verstehe. Man muss z.B. kein Urdu beherrschen, um ein deutsches oder britisches Vereinsregister zu lesen. Offensichtlich haben sich die Autoren aber erst gar nicht mit meiner Arbeit beschäftigt, sondern haben nur ein Vorurteil aus dem Jahr 2017 abgeschrieben.
Sie haben erwähnt, dass die Anschuldigungen gegen Sie weiterhin im Umlauf sind, auch wenn der Bericht nicht mehr öffentlich zugänglich ist. Inwiefern beeinflusst dies Ihre Arbeit und Ihre Reputation als Expertin?
Sigrid Herrmann: Ich bin Freiberuflerin. Ich halte Vorträge und Schulungen und verfasse Strukturanalysen. Die Benennung in dem Bericht hat Eingang etwa in meinen Wikipedia-Artikel genommen. Natürlich nehmen es potenzielle Auftraggeber zur Kenntnis, wenn in einer als amtlich wahrgenommenen Veröffentlichung die berufliche Befähigung generell abgesprochen wird. Oder wenn man - wahrheitswidrig - als Menschenfeindin gebrandmarkt wird.

Rechtlicher Kampf: Unbegründete Beendigung

Das Bundesinnenministerium hat den Rechtsstreit mit Ihnen für erledigt erklärt, da der Bericht nicht mehr veröffentlicht wird. Wie bewerten Sie diese Entscheidung und wie reagieren Sie darauf?
Sigrid Herrmann: Ich halte das für befremdlich. Zum einen kann das BMI das nicht einfach so einseitig erklären. Der Streit ist erst beendet, wenn das Gericht das so entscheidet oder die Klage zurückgezogen wird. Zum anderen kursieren die Inhalte weiter, da bislang nur ein Beschluss zu Henryk Broder vorliegt.

Forderung nach Gerechtigkeit: Herrmann bleibt standhaft

Sie fordern, dass das BMI das Ihnen gegenüber begangene Unrecht anerkennt und die falschen Aussagen richtig stellt. Gibt es bereits eine Reaktion, wie ist Ihre Prognose?
Sigrid Herrmann: Die bislang vorliegenden Reaktionen des Innenministeriums sind ebenso sparsam wie unbefriedigend. Eine Prognose möchte ich nicht äußern. Ich bin aber nach der Entscheidung im Parallelverfahren zuversichtlich. Außerdem habe ich großes Vertrauen in unseren Rechtsstaat.

Kritik an Institutionen: Forschungsgelder verschwendet

Inwiefern beeinflusst diese Erfahrung ihre Sicht auf den Umgang von Regierungsinstitutionen mit Gutachten?
Sigrid Herrmann: Ganz abgesehen von meiner persönlichen Betroffenheit finde ich es befremdlich, was man für die erheblichen aufgebrachten Steuermittel erhalten hat. Wissenschaftliche und gutachterliche Standards erscheinen mir nicht eingehalten – was allerdings auch an der Zusammensetzung des Gremiums liegen mag. Der Bundesrechnungshof sollte diese Mittelverwendung überprüfen.

Zukunftsvision: Schutz vor Diffamierung

Wie würden Sie sich in Zukunft vor ähnlichen Vorwürfen schützen, insbesondere wenn sie von offiziellen Stellen kommen?
Sigrid Herrmann: Diese Gefahr sehe ich nicht. Mit "offiziellen Stellen" arbeite ich zusammen, sie profitieren ja am meisten von meiner Arbeit.
Sie sind jetzt auch in der SPD aktiv, sogar im gleichen Landesverband wie die Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Hat das auf dieser Ebene schon mal eine Rolle gespielt, haben Sie mit den Genossinnen und Genossen an der Basis darüber gesprochen?
Sigrid Herrmann: Ich bin seit etlichen Jahren nur noch einfaches Mitglied, weil ich meinen Beruf neutral ausüben möchte. Das erfordert auch Kritik an die eigene Adresse – die ich auch schon äußerte, als ich in der Partei noch aktiver war. Die Basis, der ich mich verbunden fühle, kennt meine Arbeit. Viele schätzen sie, manche nicht. Das ist aber normal.

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