Von der Empörung ins Parlament?
Aus der spanischen Empörten-Bewegung ist die "Partei X" hervorgegangen, die den "Robin Hood der Finanzwelt" angeworben hat, um gegen Steuerbetrug und Korruption zu kämpfen
Bisher blieb die neue "Partei X" in spanischen Medien weitgehend unbeachtet. Die im August gegründete Partei ist schon vor der Vorstellung in der vergangenen Woche ein Paukenschlag gelungen, der sie bekannt gemacht hat. Denn sie kann auf die Kompetenzen des "Datendiebs" Hervé Falciani und anderer Experten zurückgreifen, um gegen Steuerbetrug und die in Spanien verbreitete Korruption zu kämpfen (Ex-Schatzmeister der spanischen Regierungspartei wegen Schwarzgeld im Knast). Die Partei ist aus der Empörten-Bewegung hervorgegangen, wo der Gang in die Institutionen weitgehend abgelehnt wurde. Doch die Ablehnungsfront der "Wahlfront" bröckelt weiter ab, während die Empörten als eigenständige Bewegung aus dem Straßenbild verschwinden. Das wurde auf einem Kongress am Wochenende in Madrid deutlich.
In Spanien wird in der Empörten-Bewegung (¡Indignaos! Indignez vous! Empört euch!) eifrig darüber debattiert, wie man mit einer Lage im Land umgehen soll, die sogar schon Hungertote produziert. Das zentrale Problem der Empörten ist, dass sie nach der Zeit vor zwei Jahren auf den Straßen und Plätzen der Städte weitgehend als eigenständige Bewegung aus der Öffentlichkeit verschwunden sind. Ihre letzten Mobilisierungen hielten sich eher in Grenzen. Ein dauerhafter Generalstreik, der die Antwort auf eine Troika-Intervention sein sollte, kam nach der Bankenrettung in Spanien aber nicht zustande, wie es geplant war.
Doch das heißt nicht, dass sich die "Indignados" zurückgezogen hätten. Tatsächlich speisen sie viele der Mobilisierung gegen den Bildungsnotstand, gegen immer neue Einschnitte ins Sozial- und Gesundheitssystem, sie nehmen an gewerkschaftlichen Generalstreiks und Protesten gegen Renten- und Lohnkürzungen und Zwangsräumungen teil, die dem Land nach Ansicht der Empörten von einer "Troika-Diktatur" aufgezwungen werden. Zunächst hat die Bewegung einen "langfristigen Protest" aufgebaut. Der Widerstand wurde aus den Widerstandscamps auf Plätzen in den Stadtzentren als praktische Arbeit in Stadtteile getragen, wo man sich mit den realen Problemen der Bevölkerung auseinandersetzte und sich Bewegungen anschloss ("Was soll man von solchen Politikern erwarten?"). In der katalanischen Metropole Barcelona wurde schon während der Platzbesetzungen der Grundstein für eine sehr breite Bewegung gegen die Zwangsräumungen gelegt. Das Beispiel machte schnell Schule, mit zivilem Ungehorsam zu verhindern, dass Familien aus ihren Wohnungen geworfen werden, weil sie wegen der extremen Arbeitslosigkeit von gut 26% ihre Hypotheken oder ihre Miete nicht mehr bezahlen können.
Daraus ist eine der stärksten und heterogensten Bewegungen entstanden, die viele Erfolge vorweisen kann. Ihr "Sozialwerk" besetzt immer wieder ganze Wohnblocks, um Wohnungslosen eine Alternative zu bieten. Erst letzte Woche wurden in Madrid wieder Wohnungen für Bedürftige besetzt, die der Bad Bank "Sareb" gehören. In die Bad Bank konnten Pleitebanken wie Bankia ihre Verluste auslagern und auf die öffentliche Hand verschieben, damit die Bilanzen besser aussehen. Die Banken werden mit Steuermilliarden aus dem europäischen Rettungsfonds gestützt, haben aber schon gut 400.000 schutzlose Familien auf die Straße gesetzt.
Auf Druck der Bewegung wurde nicht nur in Andalusien beschlossen, von Banken Wohnungen zu enteignen. Gegen die absolute Parlamentsmehrheit der postfaschistischen Volkspartei (PP) wurde mit 1,5 Millionen Unterschriften eine Volksinitiative (ILP) ins Parlament eingebracht, um das Zwangsräumungsdrama zu beenden, das immer wieder Menschenleben fordert. Die PP traute sich angesichts der Stärke der Bewegung nicht, die Behandlung der ILP abzulehnen. Zwar hat sie das Gesetz bis zu Unkenntlichkeit entstellt, doch die Verabschiedung gegen die gesamte Opposition, war ein Pyrrhussieg.
Erfolge gab es auch vor internationalen Gerichtshöfen. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg urteilte, dass viele Räumungen und die gesamte Hypothekengesetzgebung in Spanien mit europäischem Verbraucherrecht unvereinbar sind. Das Europaparlament stärkte den Zwangsräumungsopfern den Rücken und der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg stoppte Räumungen.
Transformation einer Bewegung in eine Partei?
Es stellte sich die Frage, wie derlei Erfolge auch in konkrete Politik umgemünzt werden können. Lange wurde in der Empörten-Bewegung der Gang in die Institutionen und die Gründung einer "Empörten-Partei" abgelehnt (dazu siehe den Beitrag: ""Was ist das für eine blöde Welt, in der man studieren muss, um Sklave zu sein" im Telepolis-eBook Parteiensystem im Umbruch). Doch wie ein Kongress am Wochenende in der Hauptstadt Madrid gezeigt hat, ändert sich die Meinung hierzu gerade schnell.
Die Ergebnisse von Protestparteien in Italien (Italien: Frontalangriff auf Grillos "Movimento") und anderen Ländern, der Einzug rechtsradikaler oder faschistischer Parteien wie in Griechenland, hat in Spanien genauso Spuren hinterlassen, wie die Schwäche der etablierten Parteien und der Wahlerfolg von "Unabhängigen" in Portugal. Dort wurde die Troika-Politik bei den Kommunalwahlen vor einer Woche massiv abgewatscht.
Einfach nicht an den Wahlen teilzunehmen, so setzt sich eine Meinung durch, fördert in Spanien nur, dass die rechtsradikale PP gewinnt. Das ist die traurige Erfahrung der Empörten der letzten Jahre. Doch dort, wo es im Staat wie in Katalonien oder dem Baskenland Wahlalternativen gibt, ist die PP isoliert. Dafür sind dort Parteien erfolgreich, die den Vorstellungen der Empörten nahe stehen. Im Baskenland ist ein entsprechendes Bündnis schon zweitstärkste Kraft und droht den baskischen Konservativen die Hegemonie zu nehmen (Linksparteien legen im Baskenland und Galicien zu).
Deshalb war die Frage nach einer Wahloption nun auch Teil der Debatte der "Alternative von unten" (Alternativas dede abajos). Es war der zweite Kongress zum Thema, mit dem sich die Empörten in Spanien neu strukturieren. Der erste fand schon im vergangenen Juni statt. Ein wichtiges Ergebnis des Wochenendes war, dass nun die "Wahlfront" eröffnet werden soll. "Soziale Bewegungen und Parteien" sollen zusammenfließen. "Eine eigenständige mögliche Kandidatur ist kein Tabu mehr, um die gesetzten Ziele zu erreichen", erklärt zum Beispiel Raúl Camargo von der "Antikapitalistischen Linken".
Eine Parteigründung steht zwar nicht direkt auf dem Programm, "es ist aber ein Werkzeug wie viele andere, über die wir reden", meinte der Umweltaktivist Toño Hernández. Wichtig sei es, einen Block aufzubauen, der auf den neoliberalen Angriff im Rahmen der Krise zu antworten. Dazu soll an vier Fronten gekämpft werden. Es soll zu einer "kontinuierliche Mobilisierung" der Bevölkerung kommen, der "zivile Ungehorsam und die Selbstorganisierung" soll verstärkt werden und einen "Sprung in die Institutionen" geben.
Partei X will die spanische Zweiparteiendiktatur abschaffen und eine "wirkliche Demokratie" einführen
Ein Teil der Empörten hat den Weg in eine Partei schon beschritten. Erst kürzlich wurde die "Partei X" bekannt, die sich nun am Dienstag in Madrid einer breiten Öffentlichkeit vorstellt. Sie nennt sich auch "Partei der Zukunft" oder "Bürgernetzwerk". Vergangene Woche ist X schon ein Paukenschlag gelungen, der ihr eine große Aufmerksamkeit beschert hat. Denn sie kann künftig auf die Kompetenzen von Hervé Falciani zurückgreifen. Der Informatiker, der mit 130.000 Datensätzen von 24.000 Kunden der HSCB-Bank in Genf zur Aufklärung von Steuerbetrug in europäischen Ländern beigetragen hat, wird ihrer "Kommission zur Korruptionsbekämpfung" angehören, bestätigte der Italo-Franzose gegenüber eldiario.es.
Falciani hält sich im spanischen Exil auf, wo er als "Robin Hood der Finanzwelt" gehandelt wird. Starker gesellschaftlicher und politischer Druck hatte dafür gesorgt, dass der im Juli 2012 bei der Einreise verhaftete Falciani nach fünf Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Vergangenen Mai lehnte schließlich der Nationale Gerichtshof in Madrid dann auch den Schweizer Auslieferungsantrag ab. Die Verletzung des Bankgeheimnisses ist in Spanien kein Delikt. Die Gesetze fordern sogar, dass Steuerbetrug angezeigt werden muss. Falciani hatte vor dem Gericht von "skandalösen Vorgängen" bei Schweizer Banken gesprochen, die Steuerbetrug förderten.
Ob Falciani über zusätzliche Daten von weiteren Steuerbetrügern verfügt, wird sich bald zeigen. Das wird stets vermutet. Klar ist, dass auf Basis seiner Daten auch in Spanien hunderte Verfahren eingeleitet wurden. Das führte zur größten Steuernachzahlung in der Landesgeschichte. Erwischt wurde zum Beispiel auch Emilio Botín. 200 Millionen Euro Steuern musste der Chef der großen Santander-Bank nachzahlen.
Geholfen haben seine Daten auch dabei, einen Schwarzgeldskandal der regierenden Volkspartei (PP) aufzudecken, da bekannt wurde, dass der ehemalige Schatzmeister Luis Bárcenas in Schweiz über 48 Millionen Euro verfügte. Seit dessen parallele Buchführung veröffentlicht wurden, zieht sich die Schlinge immer weiter zu. Bárcenas kam im Juni in Untersuchungshaft und Link auf www.heise.de/tp/blogs/8/154642, die PP habe sich seit 20 Jahren illegal finanziert. Für lukrative öffentliche Aufträge erhielt sie Geld von Firmen. "Zusatzlöhne" erhielten Parteiführer von Bárcenas in bar. Parteichef und Ministerpräsident Mariano Rajoy soll die größte Gesamtsumme erhalten haben.
X will sich nun besonders dem Kampf gegen in Spanien weit verbreitete Korruption widmen, wie sie von den Empörten stets angegriffen wird. Die Partei hat zudem verkündet, dass auch andere bekannte Kämpfer gegen Steuerbetrug und Korruption in der Kommission mitarbeiten. Darunter ist auch Raúl Burillo Pacheco, der auf den Baleareninseln in seiner Funktion als Steuerermittler einen großen Beitrag zur Aufdeckung von Korruption geleistet hat. Nicht nur der Schwiegersohn des Königs Iñaki Urdangarin wird in diesem Rahmen wegen Korruption, Steuerbetrug und Dokumentenfälschung angeklagt. Der ehemalige PP-Umweltminister und ehemaliger Präsident der Regionalregierung Jaume Matas wurde im ersten von etlichen Verfahren sogar schon verurteilt. Falciani, Burillo und Yagüe "werden der Partei nicht beitreten, sondern dabei helfen, eine spezifische Arbeit voranzubringen, für die sie über ausgiebige Erfahrung verfügen", erklärt X.
Überdies die Vereinigung "15MpaRato" wird ihre Erfahrungen einbringen. Auch sie bezieht sich mit ihrem Namen auf die Empörten-Bewegung "15M", die seit dem 15. Mai 2011 eine "wirkliche Demokratie" fordert. Der bekannteste Kopf der Bürgerbewegung ist der Anwalt Juan Moreno Yagüe. Er hat Rodrigo Rato 2012 angezeigt. Der ehemalige Chef der Bankia-Bank, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und einstiger PP-Wirtschaftsminister muss sich nun wegen Vorgängen bei der abgestürzten Bankia-Bank vor Gericht verantworten. Dort wurden Bilanzen gefälscht und schließlich musste Rato zurücktreten, als ein Milliardenloch auftauchte. Der größte Teil der 41 Milliarden Euro, die bisher aus dem europäischen Rettungsfonds zur Bankenrettung nach Spanien flossen, wurden in der verstaatlichten Bankia versenkt.
Die Partei führt in der Kommission geballte Erfahrung in diesen Fragen zusammen. Sie will, wie es nun auch breiter in der Empörten-Bewegung diskutiert wird, konkrete politische Arbeit in Institutionen leisten und nicht nur als Bewegung Druck auf der Straße machen. Sie will die Ansätze und Erfahrungen der Bewegung transformieren. X will nun die Forderungen in die Institutionen tragen, dort eine "wirkliche Demokratie" gegenüber der "Zweiparteiendiktatur" einfordern und Alternativen aufzeigen. Die Europaparlamentswahlen werden der erste große Test sein.
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