Warum die Krisenpolitik der Bundesregierung besser ist als ihr Ruf

Seite 2: Olaf Scholz und die Bundesregierung

Beginnen wir mit dem Bundeskanzler. Olaf Scholz ist aus meiner Sicht ein zurückhaltender und äußerst erfahrener Politiker, der Situationen sehr genau und mehrperspektivisch analysiert, bevor er Positionen in der Öffentlichkeit vertritt. Sicherlich hat er in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister und auch als ehemaliger Finanzminister aus heutiger Sicht Fehler in durchaus schwierigen Situationen begangen.2

Dennoch ist es ein Glück, dass ein derart erfahrener und reflektierter Politiker in den gegenwärtigen Krisensituationen nicht vorschnell handelt und dort, wo er die Handlungsnotwendigkeit sieht, durchaus wirkungsvoll agiert.

Der Bundeskanzler und die Bundesregierung haben erkannt, dass der russische Überfall auf die Ukraine einerseits nicht folgenlos bleiben darf. So hat sich die Bundesregierung unter anderem am Sanktionspaket der EU mit Augenmaß beteiligt, Nord Stream 2 etwa wurde nach reiflicher Überlegung nicht weiter betrieben und das Einfrieren russischer Gelder und der partielle Ausschluss russischer Banken aus dem Swift-System unterstützt. Auch wurden mit Bedacht defensive Waffensysteme zur Unterstützung des ukrainischen Befreiungskampfes in die Ukraine geliefert.

Es wurden Ressourcen zur Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge bereitgestellt. Es wurde erkannt, dass es sich bei der Unterstützung eines Widerstandskampfes einer demokratisch gewählten Regierung und ihrer Bevölkerung gegen die Aggression eines Nachbarstaats um etwas anderes als um Waffenlieferungen in ein Spannungsgebiet an autokratische Staaten handelt.

Hinsichtlich der militärischen Unterstützung der Ukraine greift hierbei das Völkerrecht und die Charta der Vereinten Nationen, im Rahmen derer sich die Mitgliedsstaaten der UN verpflichten, einem anderen Mitgliedstaat im Falles eines Angriffs auf ihr staatliches Hoheitsgebiet Unterstützung zu leisten. So heißt es in der UN Charta im Kapitel 13:

Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele:
1. den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken (…).

Andererseits ist Scholz wohl bewusst, dass die militärische Unterstützung durch Waffenlieferungen nicht die kritische Schwelle überschreiten darf, die von der russischen Seite als Kriegseintritt verstanden wird. Genauso war dies bisher der Nato klar, dass die militärische Unterstützung so dosiert werden musste, dass ein dritter Weltkrieg verhindert wird. Es ist zu hoffen, dass trotz der authentischen und vielfach verifizierten Berichte über russische Gräueltaten in den besetzten ukrainischen Gebieten diese Grenze nicht überschritten wird.

Die Journalist:innen und Politiker:innen, die eine Lieferung schwerer Angriffswaffen oder sogar die Unterstützung der Ukraine mit Nato-Truppen fordern, wollen sich nicht vorstellen zu können, wie sich hierdurch das menschliche Leid weltweit vervielfachen würde. Dies könnte – angesichts der deutlichen militärischen Überlegenheit der Nato-Staaten – zu einem Nuklearkrieg führen.

Russland könnte einen nuklearen Angriff starten, wenn eine militärische Niederlage im mit konventionellen Mitteln geführten Krieg droht. Hierbei würde eine unglaublich schnelle Eskalationsdynamik und Automatismen der gegenseitigen Vernichtung freigesetzt, die nicht mehr kontrollierbar wären und zur vollständigen Zerstörung zumindest weiter Teile Europas und Russlands führen würden.

Dies scheint dem Bundeskanzler und der Bundesregierung sehr bewusst zu sein. Agitation und Polemik gegen eine derartig nachdenkliche und zurückhaltende Haltung ist fehl am Platz und das Verfolgen der in Teilen der Medien vertretenen militärischen Handlungsentwürfe würde u.a. Deutschland letztlich in die nukleare Apokalypse führen.

Auch die Verwendung des beschlossenen Aufrüstungsetats für Defensivwaffen, wie etwa das israelische Raketenabwehrsystem, angesichts des gegenwärtigen und zukünftigen Gefährdungspotenzials in unserer europäischen Nachbarschaft, ist sinnvoll.

Es ist zwar richtig, weiterhin die Forderung nach weltweiter Abrüstung, insbesondere nuklearer Abrüstung, zu stellen. Aber die muss in einer abgestimmten, wechselweisen Abfolge passieren. Hierbei wäre es blauäugig zu glauben, dass Staaten mit demokratischem Selbstanspruch hier einseitig vorangehen und sich schutzlos den potenziellen Aggressoren ausliefern sollten.

Bedauernswert aber ist, dass sich die Bundesrepublik Deutschland genötigt sieht, seine Ressourcen für weitere Aufrüstung zu verwenden und nicht noch konsequenter z.B. für den weiteren Ausbau des Sozialstaats einzusetzen, für Entwicklungspolitik oder für klimapolitische Maßnahmen den vollen Einsatz der zur Verfügung stehenden Ressourcen zu bringen.

Die Gelder dieser uns von der Aggressivität des völkisch motivierten, russischen Imperialismus aufgezwungenen Rüstungsinvestitionen werden schmerzlich woanders fehlen. Der einzige Gewinner hierbei ist die Waffenindustrie, deren Renditen und Aktienkurse in die Höhe schnellen. Hier sitzen die eigentlichen Kriegsgewinnler. Daher ist noch einmal kritisch zu überprüfen, ob das 100-Milliarden-Euro-Paket der Bundesregierung nicht zu hoch angesetzt ist bzw. ob hiervon nicht ein erheblicher Teil in die Entwicklungsförderung gehört.

Auch sind endlich die Lecks und Organisationsfehler im Verteidigungsministerium und im Beschaffungswesen aufzuspüren, die dafür sorgen, dass rund 50 Milliarden Euro Verteidigungsetat nicht ausreichen, um Soldaten mit warmer Unterwäsche zu versorgen.