Was bleibt von der großen Empörung?
Seite 2: Alles andere als kämpferisch
- Was bleibt von der großen Empörung?
- Alles andere als kämpferisch
- Auf einer Seite lesen
Der Blick vieler Aktivisten zurück auf die Entstehung der Bewegung 15-M fällt am 10. Jahrestag nostalgisch, aber trotz der harten neuen Krise aber alles andere als kämpferisch aus. Resignation und Desillusion sind deutlich zu spüren.
Zeitungen, die der Bewegung wie Público nahestehen, haben Sonderausgaben produziert. Ein zentraler Text ist auch damit überschrieben, dass aus "den Niederlagen gelernt" werden müsse.
In Eldiaro.es ergießt man sich vor allem weiter in Nostalgie und spricht von einem "Wendepunkt in der spanischen Politik". Bejubelt wird wenig selbstkritisch die große "Freude und Enthusiasmus".
Keine der Zeitungen berichtete am Samstag über die Demonstrationen und Versammlungen der "Bewegung" am 10. Jahrestag. Ohnehin waren nur wenige Versammlungen angesetzt und die Beteiligung hielt sich dabei in sehr engen Grenzen. In Barcelona verliefen sich trotz des guten Wetters auf der großen Plaça de Catalunya einige Dutzend Menschen. Vor 10 Jahren glich er einem Hexenkessel: Im großen Madrid versammelten sich etwa 200 - meist ältere - Menschen auf dem Sol.
Es war ein eher trauriges Schauspiel, das zeigt, wie demobilisiert die Bewegung ist.
Dabei sind die sozialen Bedingungen insgesamt fast noch dramatischer als vor zehn Jahren. Die Jugendarbeitslosigkeit, durch Kurzarbeit noch stark verzerrt, ist schon wieder auf 38 % angewachsen. Befristete Beschäftigung und extrem prekäre Arbeitsbedingungen feiern gerade unter jungen Menschen Urstände. Die konnten sich angesichts niedriger Löhne aber schon vor der Krise oft nicht einmal mit einer festen Stelle eine eigene Wohnung leisten.
Rechte eingeschränkt
Die Möglichkeiten, auf die Straße zu gehen, wurden zwischenzeitlich durch scharfe Gesetze wie das Maulkorbgesetz genauso massiv eingeschränkt - wie die Meinungsfreiheit. Eine zweite Arbeitsmarktreform der rechten PP hat den Kündigungsschutz und andere Rechte praktisch beseitigt. Sie werden nun unter einer "Linksregierung" massiv angewendet.
Das Scheitern
Erst langsam wird einigen Aktivisten das Scheitern bewusst, das sich gerade mit dem Abgang von Pablo Iglesias in Madrid manifestiert hat. Der hatte als Podemos-Führer die Spaltungen befördert und die Partei sektiererisch tief in die Sackgasse geführt. Die Regionalwahlen in Madrid haben seinem Spuk nun aber ein politisches Ende beschert: Podemos hat sich dem Risiko der Regierungsverantwortung ausgesetzt, konnte aber von den eigenen Versprechen praktisch nichts umsetzen.
Nicht einmal die PP-Arbeitsmarktreform oder das Maulkorbgesetz wurden gestrichen, wie es sogar die PSOE versprochen hatte. Längst gehen auch Linke deshalb gegen eine angeblich linke Regierung auf die Straße, wenngleich in Spanien (Katalonien und das Baskenland ausgenommen) weiterhin eher zaghaft.
Statt das Regime von 1978 zu stürzen, ist Podemos selbst zum Teil zur Kaste und zur Stütze der Herrschaftsordung mutiert. Protest gegen die Kaste wird nun demagogisch von Ultra-Rechten angeführt, wie die Wahlen in Madrid gezeigt haben.
Die richtige Analyse und der Vormarsch der Rechten
Im Dunstkreis der Bewegung gibt es nur wenige, die das Scheitern der Bewegung 15-M wirklich klar thematisieren. Der Philosoph und Schriftsteller Santiago Alba Rico benennt es in einem Beitrag jedoch klar. "Versprechen hängen in der Luft", titelt er in einem leider nur kurzen Artikel. Er analysiert die Bewegung als "anthropologische Überraschung", die Spanien vor zehn Jahren gegen die "Trägheit des übrigen Europas" positioniert habe. Er übersieht aber, dass die Empörten-Bewegung real in Portugal zwei Monate zuvor geboren wurde.
Er analysiert richtig, dass damals das "Zweiparteiensystems mit seiner Korruption und freiheitsfeindlichen Gesetzen in Frage gestellt wurde", da es die "demokratischen Versprechen" nach dem Ende der Diktatur nicht erfüllt hatte. Zudem habe der 15-M die "Verantwortlichen für die Krise benannt, die eine ganze Generation ohne Zukunft zurückgelassen hat."
Nicht Einwanderer, Flüchtlinge oder Katalanen seien für die Misere verantwortlich gemacht worden, wie es nun wieder häufig in Spanien der Fall ist, sondern die Austeritätsmaßnahmen, die Banken und der Neoliberalismus als Ursachen benannt.
Die Bewegung sei gleichzeitig "naiv und vernünftig" gewesen, habe als "Impfstoff gegen die wuchernde Ultra-Rechte gewirkt, die immer mehr Räume in Europa eroberte". Doch zehn Jahre danach, "im Zuge der gleichen Wirtschaftskrise, die durch eine globale Pandemie noch verschärft wurde, hat sich Spanien dem Rest Europas angeschlossen".
Nun sei man weder gegen Covid noch gegen die neue Ultra-Rechte geimpft, stellt Rico richtig fest, schließlich ist Vox schon drittstärkste Kraft im Parlament. Er spricht von einem "selbstverschuldeten Scheitern" von Podemos. Gepaart mit der defensiven Radikalisierung eines bedrohten Regimes, sei man deshalb an einen Punkt angelangt, "an dem sich die alten Antworten von links und die falschen Antworten von rechts wieder aufdrängen".
Die Generation 15-M, die sich gegen das Regime von 1978 erhob und es stürzen wollte, habe aber auch die eigenen Versprechen nicht halten können.
Hinter den Versprechen zurückgeblieben
Dass es zum Beispiel Podemos trotz der schweren Krise nicht einmal gelungen ist, endlich eine Sozialhilfe einzuführen, ist dramatisch. Die Menschen werden weiter gezwungen, sich auch an den miesesten Job zu klammern, um überleben zu können und nicht auf der Straße zu landen.
"Entweder werden wirtschaftliche und politische Antworten auf das neue Unbehagen gefunden, oder eine neue Generation ohne Zukunft - oder eine Vergangenheit, an die sie sich klammern kann - wird ihre Erfüllung einfordern, aber dieses Mal vielleicht mit mehr Skepsis, mehr Wut und weniger Weisheit", meint der Philosoph.
Das Erreichte: Wichtige Entwicklungen
Trotz allem hat die Bewegung ihre Spuren in einem Land hinterlassen, das noch immer tief in der dunklen Geschichte des Franquismus verankert ist und wieder den Rückwärtsgang eingelegt hat. Das Zweiparteiensystem wurde aufgebrochen, allerdings hat es Podemos nicht verstanden, dies in einer Regierungsbeteiligung in reale Verbesserungen für die breite Bevölkerung umzumünzen. Ein Blick nach Portugal zur Schwesterpartei hätte helfen können.
Der Linksblock, den es allerdings vor zehn Jahren schon gab, hat ohne Eintritt in die Regierung über die Unterstützung der Sozialisten von außen für breite Schichten deutlich mehr erreicht. Das macht sich in der neuen Krise deutlich bemerkbar: Dort wurde die Basis und die Straße nicht deaktiviert, sondern als zentraler Bestandteil der Arbeit gesehen, die angesichts einer fehlenden Medienmacht besonders wichtig ist.
Ohne die Empörten-Bewegung wären kaum die vielen Korruptionsskandale im Land aufgedeckt worden. Sie hätten sicher, angesichts einer sehr politisierten Justiz, nicht dazu geführt, dass ein ehemaliger Vize-Regierungschef wie Rodrigo Rato genauso im Knast landet wie der Ehemann der Schwester des Königs.
Juan Carlos musste wegen seiner Skandale abtreten, trotz allem wird die vom Diktator restaurierte Monarchie nach der Amtsübergabe an seinen Sohn weiter massiv in Frage gestellt. Es fanden sich, gestärkt durch die Bewegung, plötzlich auch mutige Richter und Staatsanwälte, die ermittelt haben, Verbrecher aus der Regierungspartei auch auf die Anklagebank setzten.
Das sind wichtige Entwicklungen wie Rechte für Frauen, Homosexuelle… gegen die mobilisieren die rechten und ultrarechten Bewegungen, die sie wieder zurückgeschrauben wollen.
Die Chancen
Die Bewegung 15-M hat am 10. Jahrestag allerdings gezeigt, dass es sie eigentlich nicht mehr gibt. Aber Teile davon leben fort. Die Parteien, die aus ihr hervorgegangen sind, sollten schnell wieder die Verbindung zur Straße suchen und die Aktivisten stärken. Erfolge können nur erreicht werden, auf zwei Beinen vorangeschritten wird. Auch auf institutioneller Ebene gibt noch einiges zu retten.
Dafür müsste Podemos, nach dem Abgang ihres Chefs, aber massiv das Ruder herumreißen, zur Basisdemokratie zurückkehren, Alternativen aufzeigen und die Straße wieder aktivieren, um den Koalitionspartner in der Regierung wie in Portugal unter Druck zu setzen.
Podemos müsste sich auf die eigenen Wurzeln besinnen, als man die Sozialdemokraten als "Kaste" und damit richtigerweise als Problem analysiert hatte. Alternativen, die Hoffnung auf eine wahre Demokratie haben die Menschen mobilisiert, nicht ein Schmusekurs zum Regime von 1978. Tut das die Partei nicht, wird sie das gleiche Schicksal erleiden wie die Ciudadanos (Bürger), die als Podemos von rechts gegen Podemos in Stellung gebracht wurden, auch unter Mithilfe von Sozialdemokraten. Ciudadanos befindet sich längst in Auflösung, kam in Madrid nicht einmal mehr ins Parlament.
Eine schlechte Kopie der PP braucht es genauso wenig, wie es eine schlechte Kopie der Sozialdemokratie braucht. Die ist auf eine feindliche Übernahme von Podemos genauso aus, wie es die PP gerade mit den Ciudadanos durchzieht. Podemos erfolglos am langen Arm verhungern zu lassen, ist zentraler Bestandteil dieser Strategie.