Weltstatus mit der Brechstange?

Seite 4: Springt der Tiger zu kurz?

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Der Aufstieg Singapurs zur Biomacht ist gerade aus internationaler Perspektive fraglich. Denn obgleich die "globale" Ausrichtung von Singapurs Forschung für Wissenschaftler attraktiv ist, so bleibt Singapur für viele von ihnen nur ein Zwischenstopp.

Als Produktionsstandort der Pharmaindustrie habe sich Singapur bewährt. Daran hätte die Stadt noch stärker anknüpfen sollen, findet der indische Forscher Singh, statt sich als relativer Spätstarter in den globalen Wettbewerb der Biotechnologie zu stürzen. "Da braucht man eine Vielzahl von Projekten, damit am Ende genug dabei sind, die glücken." Der Staat sei aller Erfahrung nach kein geeigneter Wagniskapitalgeber. Auch trübe die internationale Kritik an der staatlichen Forschungspolitik die ambitionierten Zukunftspläne. Manchen ist die starke staatliche Präsenz und Kontrolle in nahezu allen Bereichen - vor allem aber denjenigen, die der Festigung der nationalen ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit dienen - ein Dorn im Auge.

Die problematische Nachwuchssituation bleibt weiterhin ungeklärt. Bildungsinvestitionen müssen bei gleichzeitiger Anwerbung ausländischer Spezialisten noch auf Jahre erhöht werden. Obwohl Singapurs Schüler in der Mathematik und in den naturwissenschaftlichen Fächern zur Weltspitze gehören, wird durch das Bildungssystem noch immer Kreativität und Problemlösungskompetenz mehr unterdrückt als gefördert. Das Schülerwissen ist vorrangig auf die Reproduktion von vermittelten Fakten ausgerichtet.

Es muss eine höhere Risiko- und Gründungsbereitschaft angestrebt werden, weil die Unternehmenskultur bisher nicht den erforderlichen Stand erreicht hat. Mangelnde Kreativität und geringes nonkonformistisches Denken der Bevölkerung behindern benötigte Innovationen. Das Land tätigt daher noch immer Technologie - Importe (Patente und Lizenzen), die einmal sehr kostenaufwendig sind und zum anderen eigenen Entwicklungen wenig Raum lassen.

Durch den Plan „Singapore One“ (One Network for Everyone) gelang es bis 2006 etwa 70 % der Haushalte an das Internet anzuschließen. Schon 2004 besaßen 74 % aller Haushalte einen Computer. Auf dem Wege zur Informationsgesellschaft hemmen aber die allgegenwärtige staatliche Kontrolle, Defizite in der Entwicklung von Inhalten und die relativ hohen Preise der Netznutzung den Fortschritt.

Um das „Humankapitaldefizit“ auszugleichen, unternahm die Regierung große Anstrengungen bei der Erhöhung des Bevölkerungsanteils, der über einen Hochschulabschluss verfügt. Er lag 1990 bei 4,7 % und erreichte 2002 bereits 13,7 %. Bei den ingenieurwissenschaftlichen Hochschulabschlüssen stiegen im gleichen Zeitraum die Zahlen von 19,9 % auf 34,2 %. Trotzdem fehlen noch immer hochausgebildete Spezialisten, welche der Staat nun vermehrt durch postsekundäre Bildung heranbilden will.

Die öffentlichen Bildungsausgaben lagen 2005 bei 4 % des BIP (in der OECD etwa bei 4,7 %). Der Anteil der Aufwendungen für FuE lagen im gleichen Jahr in Singapur bei 2,1 % des BIP (OECD bei 2,3 %). Man kam hier auf 7,2 Forscher je 1000 Beschäftigte und lag damit vor der OECD, die nur auf 6,2 verweisen konnte.

Nach dem „Global Entrepeneurship Monitor 2000“ (GEM), der die Entwicklung von Firmengründungen analysiert, kam Singapur unter 21 Ländern als 19. Staat ein. Nur 2,1 % der 18 - 64jährigen hatten Unternehmen gegründet oder waren in solch einem tätig. Der sehr kleine Binnenmarkt, eine ausgeprägte Außenorientierung, eine geringe Arbeitslosenquote, geringe Risikobereitschaft und mangelnde Kreativität, das Fehlen unternehmerischer Traditionen und die zahlreichen an den Staat gebundenen Firmen ließen bisher keinen privaten Gründungsboom entstehen.

Der Großteil der Bevölkerung ist vom Materialismus beherrscht. Als Statussymbole gelten die fünf C, sie stehen für: Credit Card, Country Club, Career, Cars und Condominium (Wohnung). Wird dieser Status erreicht, sieht es mit der Motivation zu Höherem schlecht aus und man setzt sich praktisch zur Ruhe. Der Drang zu weiterer Ausbildung verflacht spürbar.

Aber es lauern noch andere Gefahren für die Wissensgesellschaft Singapur. Durch die wachsende Diskrepanz zwischen nachgefragter und angebotener Qualifikation am Arbeitsmarkt entwickelt sich schleichend eine strukturelle Arbeitslosigkeit. Dazu erweitert sich die Kluft zwischen Hoch- und Geringqualifizierten in der Nutzung moderner IuK-Technologien und die Zunahme eines „digital divide“ zwischen jung und alt ist unübersehbar. Wie in vielen Staaten der Welt kommt es verstärkt zum Anwachsen der Einkommensdisparität, die den sozialen Frieden bedroht. Die Anzahl der Millionäre steigt im Stadtstaat schneller als irgendwo auf der Welt.

Die weitere Entwicklung Chinas kann für Singapurs Zukunft von großer Bedeutung sein. Der ungezügelte Wirtschaftsboom entgleitet zusehends der dortigen Staatsführung und wird für die Weltwirtschaft mit ihren nervösen Aktienmärkten und unkontrollierbaren Kapitalströmen, sowie dem stark gefährdeten Klima der Erde, zu einem immer größeren Problem. Es ist sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, heute eine garantiert erfolgbringende Wirtschaftsstrategie für den stark vom Ausland abhängigen Inselstaat zu entwickeln.

Verbreiteter Kiasuismus, der sich durch Versagensängste (Gesichtsverlust) und übersteigertem Konkurrenzdenken ausdrückt, wird mehr und mehr zum kulturellen Hemmnis für die Wissensgesellschaft. Das Leben auf der „Insel der Intelligenz“ ist ebenso, wie alle Wirtschaftsbereiche, vom Konfuzianismus durchdrungen. Er bringt neben einer hohen Arbeitsmoral, Sparethik und Gruppenkonformismus, jedoch auch mangelnden Individualismus, Lernformalismus und begünstigt bürokratische Herrschaftsformen.

Die Regierung besitzt ihre Legitimation auf Kosten von Freiheit und Grundrechten durch die gute wirtschaftliche Entwicklung im Lande. Eine Zivilgesellschaft nach westlichem Muster hat sich nicht entwickelt. 2004 meinte der Staatsgründer Lee Kuan Yew, dass ein Übermaß an Demokratie zu disziplin- und ordnungslosen Bedingungen führe, die der Entwicklung schaden.

Erklärtes Ziel Singapurs ist es, in den nächsten zehn Jahren eine kreative und unternehmerische Nation zu werden, die offen ist für alle neuen Ideen ohne dabei Risiken bisher unbegangener Wege zu scheuen. Aus dem Blickwinkel der Europäischen Union ist es spannend und lohnend zugleich, den Aufbruch des kleinen Staates in eine ungewisse Zukunft aufmerksam zu verfolgen. Was wird Singapur werden: Starker Wirtschaftskonkurrent, verlässlicher Partner oder gescheiterter Schnellstarter?