Wie urdemokratisch ist die Urabstimmung der SPD?
Seite 2: Die Ochsentour durch die Parteigremien tötet jede Kreativität
- Wie urdemokratisch ist die Urabstimmung der SPD?
- Die Ochsentour durch die Parteigremien tötet jede Kreativität
- Lebenszeit vertrödelt mit Zettel kleben und Fähnchen schwenken
- Urwahlen als Akklamation für die Parteiführung
- Worüber eigentlich stimmten die Genossen ab?
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Die politischen Parteien sind an der Basis regional organisiert. Die Meinungsbildung vollzieht sich in Ortsvereinen und über Ortsvereine zu Unterbezirken, Bezirken, Landesverbänden und dem Bundesparteitag. Wer sich in einer Partei durchsetzen will, muss zunächst in den unteren Organisationen aktiv sein, eine Anhängerschaft um sich scharen, und dafür braucht er in der Regel viele Jahre.
Man spricht zu Recht von einer "Ochsentour" durch alle Stufen der Parteihierarchie. Will man damit etwa zum Ausdruck bringen, dass nur Ochsen so blöd sind, sich auf diese Tour begeben? Zumindest hat sie ganz und gar ungewollte, dem Geist einer lebendigen Demokratie abträgliche Konsequenzen:
Bis einer das erste Parteiamt erhält, vergehen im Durchschnitt sieben Jahre, bis zum ersten öffentlichen Wahlamt sind es sogar neun Jahre. Zwischen dem ersten politischen Amt auf kommunaler Ebene und dem Abgeordnetenmandat liegen im Schnitt neuneinhalb Jahre.
Bis man sich in den Bundestag hochgedient hat, vergehen viele Jahre: Das durchschnittliche Partei-Eintrittsalter der Abgeordneten liegt bei 24 Jahren, dann kommt die kommunalpolitische Arbeit bis sich das erste öffentliche Wahlamt und die Arbeit als Stadt- oder Gemeinderat oder als Mitglied eines Kreistags ergibt. Nach sechs bis acht Jahren Kommunalpolitik entscheidet sich, ob jemand für ein Parlamentsmandat aufgestellt wird oder nicht. Das nennt man mitunter den Schweinezyklus.
Doch wer tut sich das an und hockt jahrelang in sterbenslangweiligen Parteiversammlungen, streitet sich über irgendwelche blödsinnigen Personalien, hört sich belanglose Rechenschaftsberichte, Sitzungsprotokolle oder Nachrichten über die mickrige Kassenlage an und nimmt an einfältigen Diskussionen über die Vorbereitung des nächsten Wahlkampfs teil oder beteiligt sich an erbärmlichen Erörterungen darüber, welches arme Schwein der nächste Kassenwart werden soll?
Wer ein politisches Amt anstrebt, braucht einen sehr langen Atem und möglichst auch ein gerüttelt Maß an Immobilität; denn wenn er in eine andere Stadt zieht und in einen neuen Ortsverein kommt, geht die Ochsentour wieder ganz von vorne los. Allein das ist eine unzumutbare Idiotie. Junge Leute, die am Anfang ihres Berufswegs stehen, wechseln nun einmal öfter den Wohnort. Sie sollten das auch tun. Doch nur Sesshafte werden Kandidaten.
Hohe Mobilität gilt im Berufsleben als Qualifikationsindiz. Das bedeutet auch umgekehrt: Wer schon in jungen Jahren sesshaft an einem Ort festhängt, ist auch sonst wohl ziemlich träge. Doch wer von einem Ort zum nächsten zieht, müsste in seinem neuen Ortsverein wieder ganz von vorne anfangen und dort wieder jahrelang in den Sitzungen herumhängen. Die Konsequenz von alldem:
(1) Politische Parteien ziehen nur Leute an, die viel Zeit haben und viel Lebensenergie in politische Aktivitäten investieren wollen und können. Doch das wollen immer weniger junge Leute.
(2) Eine solche Organisationsform fördert eine einseitige Auswahl aus der Bevölkerung. Die Rituale und Prozeduren der Parteipolitik begünstigen bestimmte Berufe und soziale Schichten und benachteiligen andere.
Während in Wirtschaft, Justiz und Verwaltung die Führungspositionen tendenziell eher nach Qualifikation und Leistungsfähigkeit besetzt werden, verlaufen Karrieren in der Politik schleppend. Sitzfleisch garantiert eine Parteikarriere eher als Qualifikation. Der Grundstein für eine Parteikarriere wird mit dem Arsch gelegt. Wie viel besser wäre es doch um das Ansehen der Politiker bestellt, wenn man sagen könnte, der Kopf spiele dabei die entscheidende Rolle.