Wie viele Milliarden sollen es denn für die Ukraine werden?

Das bankrotte Land wird auch viel Geld der EU-Steuerzahler verschlingen und die Bevölkerung muss sich (nach den Wahlen) auf die IWF-Programme nach Vorbild Griechenlands, Portugals, Irlands und Zyperns einstellen

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Auf dem EU-Gipfel in Brüssel haben am Freitag die EU-Mitgliedsstaaten den politischen Teil eines Assoziierungsabkommens mit der Ukraine unterzeichnet, während der russische Präsident Wladimir Putin seinerseits das Gesetz über die Eingliederung der Krim und Sewastopols ins russische Staatsgebiet unterschrieben hat. Doch nun muss schnell Geld in die Ukraine fließen (Ukraine am Abgrund. Die ukrainische Übergangsregierung geht davon aus, dass 35 Milliarden Dollar gebraucht werden, um einen Zahlungsausfall zu verhindern. Unverhohlen wird derweil in der EU-Kommission die geplante Wahlbeeinflussung zugegeben, "damit die Wahlen nicht prorussisch oder nationalistisch ausfallen". Ob es bei 35 Milliarden bleibt, muss ohnehin bezweifelt werden.

Es sollte ein "konkretes Zeichen der Solidarität" sein, sagte Ratspräsident Herman Van Rompuy dazu, dass am Freitag der erste Teil des Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der EU unterschrieben wurde. Für die Ukraine hat der Übergangs-Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk das politische Abkommen unterzeichnet, dem ein wirtschaftlicher Teil folgen soll. "Diese Übereinkunft entspricht den Erwartungen von Millionen Ukrainern, die Teil der EU sein wollen." Er spricht von einem Abkommen von "höchster existenzieller" Bedeutung für die Ukraine, wenngleich er damit vor allem auf Fragen der Sicherheit und der Verteidigung abhob.

Viel bedeutsamer ist für die Ukraine, seine Regierung und die Karriere von Jazenjuk allerdings, dass nun massiv Geld aus dem europäischen Steuersäckel in das nahezu bankrotte Land fließen wird. Tatsächlich hat die EU dem Land schon elf Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Drei Milliarden Euro sollen aus dem Budget der EU kommen und davon soll knapp die Hälfte als Zuschüsse fließen. Der Rest sollen Kredite sein. Von der Europäischen Investitionsbank sollen weitere drei Milliarden Euro an Krediten hinzukomme und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) soll die restlichen fünf Milliarden Euro beisteuern.

Schließlich steht auch nach Ansicht des Übergangspräsidenten Alexander Turtschinow das Land unmittelbar vor der Pleite: "Die Ukraine ist dabei, in den Abgrund zu rutschen, sie befindet sich am Rande einer Zahlungsunfähigkeit", sagte er kurz nach seiner Ernennung vor einem Monat. Der neue Finanzminister Juri Kolobow geht davon aus, dass das Land in diesem und im nächsten Jahr 35 Milliarden Dollar (etwa 25,5 Milliarden Euro) benötigen wird. Ein guter Teil davon sind Schulden, die das Land bis 2015 refinanzieren muss. Dazu kommen allein im laufenden Jahr etwa 2,6 Milliarden Dollar an Zinsen, die die Ukraine für hohe Zinsen aufbringen muss. Das Rating des Landes wird mit "Caa2" von Moody's als "extrem spekulative" Anleihe mit negativem Ausblick bewertet, wobei Risiken für einen Ausfall hoch seien. Die Nachrichtenagentur Bloomberg spricht davon, dass knapp die Hälfte der benötigten 35 Milliarden Dollar allein zur Refinanzierung fällig werdender Schulden anzusetzen sind. Allein das entspricht etwa 10% des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) und ist damit eine sehr hohe Summe.

Die Ukraine hat sich zu einem Griechenland des Ostens entwickelt

Und offenbar ist die EU nun bereit, auch ein Land, das nicht einmal EU-Mitglied ist, "alternativlos" aufzufangen. Und die Ukraine hat enorme Verbindlichkeiten angehäuft, auch wenn die offizielle Verschuldung mit etwa 65 Milliarden Dollar noch relativ gering erscheint. Doch es ist aus Krisenländern wie Griechenland, Irland, Portugal und Zypern längst bekannt, wie schnell die Staatsschuldenquote mit einer "Rettung" explodiert. Die Schuldenlast hat sich in Irland in wenigen Jahren verfünffacht).

Und klar ist, dass in der bisherigen Verschuldung längst nicht alle Verbindlichkeiten abgedeckt sind. Allein beim russischen Energieriesen Gazprom hat die Ukraine Schulden in einer Höhe von 1,5 bis 2,6 Milliarden Dollar angehäuft. Dazu kommen Schulden in Höhe von drei Milliarden Dollar, die Russland noch im vergangenen Dezember dem Land überwiesen hat. Und da die Ukraine die Gasrechnung aus dem Februar nicht bezahlt hat, nutzt nun der russische Staatsbetrieb dazu, um die 30-prozentige Subvention auf den Gaspreis zu streichen. Ab dem ersten April soll die Ukraine einen normalen Preis bezahlen, womit sich die ökonomischen Probleme extrem zuspitzen werden. Statt bisher knapp 270 Dollar muss die Ukraine dann 400 Dollar für jeweils 1000 Kubikmeter zahlen. Der Preis könne sogar auf 480 Dollar steigen und das wäre der höchste in Europa.

Zwar hat Russland auf die neuen Sanktionen aus den USA und Europa noch nicht mit neuen eigenen Sanktionen geantwortet, doch die Regierung dreht an der Forderungsschraube gegenüber der Ukraine. Russland weiß, dass dafür letztlich die EU und ihre Steuerzahler einspringen müssen, womit der Druck erhöht wird. Der russische Premier Dmitri Medwedew forderte am Freitag zusätzliche elf Milliarden Dollar von der Ukraine. Die ergäben sich aus dem Charkower Abkommen mit der Ukraine über die Schwarzmeerflotte. "Ich denke, wir können dieses Geld nicht einfach verlieren, wo unser Haushalt auch Probleme hat", sagte Medwedew.

Geld zur Beeinflussung der Wahlen in der Ukraine

Die Lage der Ukraine ist längst fatal. Die Devisenreserven des Landes sind nach Schätzungen auf nur noch 12 Milliarden Dollar geschrumpft. Eine Pleite kann noch etwa bis Anfang Mai hinausgezögert werden. Das Geld reicht nur noch, um für etwa eineinhalb Monate die Rechnungen für Importe bezahlen. Die Devisenreserven sind stark geschrumpft, weil damit auch versucht wurde, die abstürzende Währung Hryvnia zu stützen. Die Währung hat allein in diesem Jahr schon fast 22% ihres Werts gegenüber dem Dollar verloren und stürzt auf immer neue Allzeittiefststände. Für Bloomberg ist das der schlechteste Wert der 175 Währungen, die beobachtet werden.

Natürlich könnte die Ukraine für die eigene Finanzierung die Notenpresse anwerfen, um Gehälter von Beamten, Renten und andere Verbindlichkeiten im Land zu bezahlen. Zwar ließe sich damit kurzfristig der Bankrott abwenden, doch würde das Land damit die Inflation anheizen. Zudem würde das nicht viel helfen. Denn ein großer Teil der Verbindlichkeiten muss in harten Dollar und Euro zurückgezahlt werden, auch Rohstoffe werden nur in harten Währungen gehandelt.

So ist es nicht verwunderlich, dass die Übergangsregierung in der Ukraine nach einer Geberkonferenz ruft, um einen Hilfsplan zu schmieden. Und klar ist, dass viel Geld fließen wird, bevor im Mai wieder eine legitime Regierung gewählt wird. Und EU-Energiekommissar Oettinger macht unverhohlen klar, dass die EU mit viel Geld die Wahlen beeinflussen wird. "Aber wir müssen möglichst schnell Investitionen und laufende Ausgaben der Ukraine unterstützen, damit die Wahlen nicht prorussisch oder nationalistisch ausfallen. Dafür wird mehr Geld kommen müssen."

Nach den Wahlen wird die Ukraine des Preis für die schnelle Hilfe zahlen müssen

Verwegene Vorstellung: Die EU soll anstatt Russland Energie in die Ukraine liefern

Der ukrainische Übergangs-Ministerpräsident Jazenjuk entwickelt angesichts der desaströsen Lage in seinem Land auch schon absonderliche Vorstellungen, was die Solidarität Europas gegenüber der Ukraine angeht. Es scheint, er hat übersehen, wie die EU sogar mit Mitgliedsländern umspringt. Er fordert, dass die EU nun die bisherige Rolle Russlands einnimmt und das Land weiter mit billiger Energie beliefert. Die Gaspipeline solle dazu genutzt werden, die Energie "in umgekehrter Richtung" fließen zu lassen. "Wir alle müssen den Preis für Frieden, Stabilität, Sicherheit und Werte bezahlen", sagte er. "Der beste Weg, um Russland zu kontrollieren, ist die Nutzung wirklichen wirtschaftlichen Drucks."

Es ist angesichts der Energieabhängigkeit Europas natürlich ein Witz, dass nun die EU die Ukraine mit subventioniertem Gas versorgen könnte. Die europäischen Gasfirmen, die etwa 350 Dollar für je 1000 Kubikmeter Gas verlangen, werden kaum solidarisch einspringen, damit die Ukraine weiter Gas für 270 Dollar erhält. Ohnehin wären Gaslieferungen an die Ukraine nur kurzfristig möglich, vor allem weil der milde Winter dazu geführt hat, dass die Gaslager noch gut gefüllt sind. "Die EU ist gar nicht in der Lage, die Erdgasmengen zu liefern, die nötig wären, um die Ukraine von russischen Lieferungen unabhängig zu machen", meint der Grünen-Energieexperte und Präsident des internationalen Netzwerks Energy Watch Group, Hans-Josef Fell.

Denn Europa ist selbst von den Gasimporten aus Russland abhängig. "Russland exportiert über 70 Prozent der eigenen Energie-Ressourcen, die in den Handel gehen, in die Europäische Union und die EU, einschließlich Deutschland, ist zu fast 40 Prozent, was Gas angeht, und über 30 Prozent, was Öl angeht, von russischen Lieferungen abhängig", sagt auch Gernot Erler. Der Russland-beauftragte der Bundesregierung geht davon aus, dass sich die Importe nur "vorübergehend aber nicht langfristig ersetzen lassen". Er betont auch die "große Verlässlichkeit", die es bisher auf beiden Seiten gegeben habe.

Einige Länder sind zum Teil noch deutlich abhängiger als Deutschland. Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hängen Bulgarien, die Slowakei, Finnland und Polen sogar zu 100% von Gas aus Russland ab. Ungarn erhält etwa 70% und Griechenland 54%. Im Durchschnitt beziehe die gesamte EU fast ein Drittel allein aus Russland. Aber auch wenn schon von einem Handelskrieg mit Russland fabuliert wird (Auf dem Weg in den Handelskrieg), müsste eine weiter schwer angeschlagene EU angesichts einer Abhängigkeit auf verschiedenen Ebenen mit dem Klammerbeutel gepudert sein, sich auf ein solches Szenario einzulassen.

Europa ist nicht nur von der Energie Russlands abhängig

Die Reaktionen in der vergangenen Woche an den Kapitalmärkten zeigen ohnehin, dass dort nicht von einer Eskalation ausgegangen wird. Auch Erler wiegelte in Bezug auf harte Sanktionen längst ab: "Insofern ist natürlich klar, wenn man über Sanktionen redet und dann überlegt, wie die andere Seite reagieren könnte, dann stößt man irgendwann auf diese wechselseitige Abhängigkeit und damit auch eigentlich auf einen Zwang, letzten Endes politische Lösungen anzustreben."

Das ist vielen klar, dass sich Europa eine Zuspitzung nicht leisten kann, weshalb darauf verwiesen wird, "wie Russland-Sanktionen Europas Wirtschaft bedrohen" würden. Denn anders als die USA, die einen schärferen Ton anschlagen, ist Europa nicht nur von Energielieferungen aus Russland abhängig. Da zur Krisenlösung in der EU vor allem auf Exporte gesetzt wird, würde ein Einbruch der Exporte in das große Land diverse Länder hart treffen.

Deutschland hat sogar noch engere Verbindungen zu Russland als viele andere europäische Länder. Mit 6000 Betrieben seien mehr deutschstämmige Firmen in Russland tätig als aus allen anderen EU-Staaten zusammen, meint Rainer Lindner, Geschäftsführer beim Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft. 300.000 deutsche Arbeitsplätze hängen direkt vom Russland-Geschäft ab.

In der Tschechischen Republik fordern Wirtschaftsverbände eine Zurückhaltung bei Wirtschaftssanktionen. Nach der tschechischen Wirtschaftskammer könnten Wirtschaftssanktionen direkt 20.000 Arbeitsplätze gefährden, insgesamt seien bis zu 50.000 Arbeitsplätze gefährdet. Gefordert wird eine "nüchterne" Position gegenüber weiteren Sanktionsandrohungen.

Kritik in den Reihen der Sozialdemokraten

Auffällig ist auch, dass sich vor allem in der deutschen Sozialdemokratie kritische Stimmen mehren. Während Erler versucht zu bremsen, wurde sein Parteifreund und früherer EU-Kommissar Günter Verheugen besonders deutlich. Er hinterfragte gerade, wem da eigentlich in der Ukraine solidarisch beigesprungen werde. Der Sozialdemokrat sprach von einem "fatalen Tabubruch, dem wir auch noch applaudieren". In der Ukraine säßen nämlich "richtige Faschisten" in der Regierung. Und Verheugen verweist auf die Sanktionen vor 15 Jahren gegen Österreich, weil die FPÖ von Haider an der Regierung beteiligt war. Im Vergleich zu dem, "was wir in der Ukraine mit Swoboda haben", sei die FPÖ "aber wirklich ein Kindergeburtstag" (Die Freunde des Westens: Swoboda-Abgeordnete in Aktion).

Für "eigentlich unverantwortlich" hält auch der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Hannes Swoboda, dass Milliarden an die Ukraine fließen sollen. "Ich möchte zuerst eine frei gewählte Regierung haben, einen frei gewählten Präsidenten haben, der klar macht, in welche Richtung das Land gehen soll." Auch Swoboda geht offensichtlich nicht davon aus, dass es bei elf Milliarden Euro bleiben wird. Er wundert sich, wie EU plötzlich wieder einmal die Spendierhosen anhat. "Wenn wir im Europäischen Parlament für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit nur um 100 Millionen oder um eine Milliarde mehr wollen, sagt man: Es gibt kein Geld, wir haben das nicht. Jetzt hat man plötzlich elf Milliarden."

Die Hilfe wird ihren Preis haben

Doch klar ist auch, dass die Bevölkerung in der Ukraine letztlich die Kredite teuer bezahlen wird. Tomasz Konicz hatte schon aufgezeigt (Die Ukraine als Griechenland des Ostens?), dass der Internationale Währungsfonds (IWF) und europäische Institutionen gerade dabei sind, die künftige Reform- und Wirtschaftspolitik der Ukraine festzulegen. Damit steht der Bevölkerung der Ukraine die übliche neoliberale Schocktherapie bevor. Er sei von dem Reformeifer der neuen Machthaber "positiv überrascht", erklärte der Chef der Europa-Abteilung des IWF, Reza Moghadam.

Klar ist, dass sich auch der IWF, wie in den europäischen Krisenländern, an den Milliardenhilfen für die Ukraine beteiligen wird. Denn damit bekommt er den Hebel in die Hand, um (natürlich erst nach den Wahlen) auch die Troika-Politik in der Ukraine umzusetzen. Sogar die Bundeskanzlerin Angela Merkel schwärmt schon: "Es gibt erhebliche Fortschritte bei den Verhandlungen des IWF-Programms." Doch das bedeutet für die Bevölkerung nur, nach den Wahlen den Gürtel noch deutlich enger schnallen zu müssen, Entlassungen und Gehaltskürzungen bei Staatsbetrieben, Privatisierung der Staatsbetriebe usw. Man darf gespannt sein, wie die Bevölkerung darauf reagieren wird.

Im Übergangs-Ministerpräsidenten Jazenjuk hat man jedenfalls schon den richtigen Partner auf den richtigen Stuhl gesetzt. Der erklärt längst lautstark, dass die "Regierung alle IWF-Auflagen erfüllen" werde. Seinen Wählern hatte er dagegen noch 2009 versprochen, dass er strikt gegen die Privatisierung von Gas- und Ölbetrieben sei. Er verwies dabei auch darauf, was bei anderen Privatisierungen passiert ist, wo zum Teil Milliarden spurlos verschwunden sind.

Solche Troika-Politiker sind bekannt. So hatten die Konservativen in Portugal die Sozialisten wegen deren Sparkurs fallen lassen. Doch nach ihrem Wahlsieg setzten sie die Axt am Sozialsystem an, oft sogar verfassungswidrig. Beim spanischen Nachbar versprach der konservative Rajoy vor den Wahlen, es werde keine Bankenrettung, keine Steuererhöhungen und keine Einschnitte im Bildungs- und Gesundheitsbereich geben. Alle Versprechen warf er schnell über Bord. Und für die Bankenrettung musste auch Spanien unter den Rettungsschirm gehen.