Wie viele westliche Söldner und Spezialkräfte kämpfen in der Ukraine?
Es gibt seit Beginn des Kriegs unterschiedliche Zahlen. Nun liegen neue Fälle und Daten vor. Möglicherweise sind es mehr Kämpfer, als Sie denken. Gastbeitrag.
Global Affairs Canada hat diese Woche erklärt, dass ein Kanadier in der Ukraine ums Leben gekommen ist. Spätere Berichte enthüllten, dass sein Name Jean-Francois Ratelle ist und er Kommandeur der Norman-Brigade war, die laut CTV News "eine Kampftruppe von Freiwilligen aus mehreren Ländern ist, die von einem Veteranen der kanadischen Streitkräfte kommandiert wird, der sich 'Hrulf' nennt".
Die Kanadier
Hrulf war der militärische Rufname von Ratelle. Die Nachricht wirft eine wichtige und schwer zu beantwortende Frage auf: Wie viele Kanadier und auch Bürger anderer westlicher Länder kämpfen in der Ukraine gegen die Russen?
Die kanadische Regierung gibt an, dass sie diese Zahlen nicht nachverfolgt. Aber im Januar 2023 erklärte die ukrainische Fremdenlegion, dass Kanadier "eine der am stärksten vertretenen Nationalität" darstellten, die in der Ukraine kämpften.
Laut CTV News konnten "mindestens 18 Kanadier ermittelt werden, die sich als Kämpfer oder im Rahmen humanitärer Missionen in der Ukraine aufhalten oder aufgehalten haben".
Am 1. Mai 2023 wurden in Bachmut zwei Kanadier getötet, die in der Internationalen Legion der Ukraine dienten, die der 92., mit Panzerfahrzeugen ausgestatteten Brigade unterstellt ist. Beide hatten in den kanadischen Streitkräften gedient, diese aber verlassen, bevor sie in die Ukraine gingen.
Polen und USA laut Liste vorne
Wie CBC News damals berichtete, handelte es sich bei ihnen um den vierten und fünften Kanadier, der im Kampf in der Ukraine ums Leben gekommen sei. Im November berichtete die Globe and Mail, dass neun Kanadier bisher getötet wurden.
Wie andere westliche Länder hatte auch die kanadische Regierung diese Kämpfer nicht entsandt. Einer der getöteten Kanadier "kämpfte an der Seite von zwei US-Bürgern, die ebenfalls bei Kämpfen in der ostukrainischen Region Donbass ums Leben kamen".
In einem Update vom 14. März zur Anzahl ausländischer Söldner – bereitgestellt vom russischen Verteidigungsministerium, das ein Interesse daran hat, die Zahlen zu verunklären –, wird behauptet, dass 1.005 kanadische Söldner in der Ukraine gekämpft haben. Mindestens 491 von ihnen – also fast die Hälfte – sollen getötet worden sein.
Und Kanada ist nicht die Nummer eins auf dieser Liste. Dem russischen Update zufolge kamen 2.960 Söldner aus Polen, von denen 1.497 getötet worden sein sollen. An zweiter Stelle stehen die USA, von deren 1.113 Söldner mindestens 491 laut Liste umkamen.
Ukraine sagt: 20.000 Kämpfer aus dem Ausland
Dem Bericht zufolge stammen Söldner auch aus den Nato-Mitgliedsstaaten Rumänien und Großbritannien, während aus Frankreich weniger Söldner stammen: Nach Angaben Russlands starben 147 von 356 Franzosen, die in die Ukraine gingen.
Die Glaubwürdigkeit dieser Zahlen lässt sich nicht einschätzen, aber insgesamt behauptet Russland – das auch Nichtrussen in der Ukraine für sich kämpfen lässt –, dass 13.000 Ausländer für Kiew gekämpft haben und etwa 6.000 dabei ums Leben gekommen sind.
Die Ukrainer geben an, ihre internationale Legion bestehe aus rund 20.000 Kämpfern aus 50 Ländern. Aber auch sie haben ein eigenes Interesse daran, die Zahlen in die Höhe zu treiben.
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Daniel Davis, Militäranalyst und Senior Fellow bei Defense Priorities, erklärte gegenüber Responsible Statecraft, dass er keine unabhängige Bestätigung für diese Zahlen erhalten habe. Alexander Hill, Professor für Militärgeschichte an der Universität von Calgary, sagte, er sei ebenfalls nicht auf verlässliche Zahlen gestoßen. Er stellte fest, dass echte Informationen über ausländische Kämpfer auf beiden Seiten ein streng gehütetes Geheimnis zu sein scheinen.
97 Nato-Spezialkräfte laut Leak aus dem Jahr 2023
Aber das vielleicht gefährlichere Problem ist nicht die Präsenz von Söldnern, sondern von westlichen Truppen in der Ukraine. Diese Zahl ist übrigens nicht einfacher zu bestimmen.
Laut Dokumenten des Verteidigungsministeriums, die im März 2023 durchgesickert sind, befanden sich zu jenem Zeitpunkt mindestens 97 Nato-Spezialkräfte in der Ukraine: 50 britische, 17 lettische, 15 französische, 14 US-amerikanische und eine niederländische. Damals weigerte sich der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates in den USA, John Kirby, die Zahl zu bestätigen, sprach aber von einer "kleinen US-Militärpräsenz" dort.
Doch es sind nicht nur US-Truppen in der Ukraine, sondern auch CIA-Beamte. Einem kürzlich erschienenen Bericht der New York Times zufolge, der sich auf Interviews mit mehr als 200 aktuellen und ehemaligen Regierungsbeamten stützt, befinden sich "Dutzende" – also mindestens mehr als 40 – CIA-Beamte in der Ukraine.
Laut einer Mitschrift eines abgehörten Gesprächs zwischen hochrangigen deutschen Luftwaffenbeamten vom 19. Februar sagte einer: "Wir wissen ja auch, dass da viele Leute mit amerikanischem Akzent in Zivilklamotten rumlaufen."
US-Amerikaner, Briten, Franzosen in der Ukraine
Aus dem Transkript des Gesprächs geht ebenfalls hervor, dass es auch britisches Personal vor Ort gibt. Auf die Frage, wie deutsche Taurus-Langstreckenraketen in der Ukraine eingesetzt werden könnten, sagte ein Beamter, dass er wisse, "wie es die Engländer machen. … Die haben auch paar Leute vor Ort".
Das Büro des britischen Premierministers hat bestätigt, dass das Vereinigte Königreich "Boots on the Ground" habe: "Abgesehen von der geringen Anzahl von Mitarbeitern, die wir im Land haben, um die Streitkräfte der Ukraine zu unterstützen, haben wir keine Pläne für einen großangelegten Einsatz."
Hinzu kommen die französischen Streitkräfte, die der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz offenlegte. Am 26. Februar verteidigte Scholz seine Entscheidung, keine Taurus-Raketen in die Ukraine zu schicken, mit den Worten, dass die Präsenz der Deutschen in der Ukraine der ihrer britischen und französischen Kollegen entsprechen müsse. Er erklärte: "Und das, was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden."
Am 8. März bestätigte der polnische Außenminister Radosław Sikorski, dass "Nato-Soldaten bereits in der Ukraine präsent sind", weigerte sich aber, "diese Länder aufzulisten."
Entsendung von Nato-Truppen oder verhandeln?
Obwohl es also unmöglich ist, die Zahlen auf der Liste zu summieren, ist es zumindest möglich, die Existenz einer Liste zu bestätigen.
Und es ist eine riskante Liste. Da Russland auf dem Schlachtfeld – möglicherweise unwiderruflich – die Oberhand zu gewinnen scheint, stehen die USA und die Nato vor dem seit Langem befürchteten Dilemma: die Realität akzeptieren und die Ukraine ermutigen, ein diplomatisches Ende des Krieges auszuhandeln, oder eskalieren und die Entsendung von Nato-Truppen in Erwägung ziehen, wie der französische Präsident Emmanuel Macron kürzlich vorgeschlagen hat, um mit den ukrainischen Streitkräften gegen Russland zu kämpfen.
Es wäre unverantwortlich, den zweiten Weg einzuschlagen, ohne den ersten zu erkunden.
In einem Interview vom 13. März sagte der russische Präsident Wladimir Putin, Russland habe "niemals Verhandlungen abgelehnt" und sei "zu Verhandlungen bereit … auf der Grundlage der entstandenen Realitäten". Der Westen braucht Putin nicht einfach zu vertrauen. Aber angesichts Hunderttausender verwundeter und getöteter Ukrainer und der geringen Hoffnung auf Besserung auf dem Schlachtfeld wäre es unverantwortlich, ihn nicht zu testen.
Russische Bereitschaft testen
Oleksandr Chalyi, ehemaliger stellvertretender Außenminister der Ukraine und Mitglied des Verhandlungsteams in Istanbul kurz nach der russischen Invasion, sagte damals, dass Putin "echte Anstrengungen unternommen hat, einen realistischen Kompromiss zu finden und Frieden zu schließen".
Oleksij Arestowytsch, ein ehemaliger Berater des ukrainischen Präsidentenbüros und ebenfalls Mitglied des ukrainischen Verhandlungsteams, sagte damals, dass er die Verhandlungen für erfolgreich betrachtete und die ukrainische Delegation "die Champagnerflasche geöffnet" habe.
Wir sollten zwar nicht darauf vertrauen, dass Russland bereit ist, über ein Ende des Krieges zu verhandeln. Jedoch sollten wir Russlands Verhandlungsbereitschaft ausprobieren, vor allem, wenn die Alternative darin besteht, mehr Nato-Truppen in die Ukraine zu entsenden und einen größeren und vielleicht unvorstellbaren Krieg zu riskieren.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft und findet sich dort im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.