Wie wird sich die Pandemie weiterentwickeln?

Seite 4: Gibt es Hoffnung auf ein Medikament oder einen Impfstoff?

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Für die Influenza, die die moderne Medizin bereits seit Jahrzehnten beschäftigt und jährlich weltweit Hunderttausende Todesfälle fordert, wurde bislang kein Medikament mit klinisch relevanter Wirksamkeit gefunden. Die Neuramidasehemmer können zwar die Krankheitsdauer um etwa einen Tag verkürzen, für die Reduktion relevanter Komplikationen gibt es jedoch keinen überzeugenden Nachweis.35 Auch für andere virale Atemwegserreger stehen bislang keine Medikamente zur Verfügung, die deren Verlauf entscheidend bessern würden. Insgesamt muss daher trotz aller Forschungsbemühungen bezweifelt werden, dass in naher Zukunft ein Durchbruch beim neuartigen Coronavirus erreicht wird. Umso mehr muss vor verzweifelten Experimenten mit nebenwirkungsträchtigen Medikamenten gewarnt werden.

Das initial vielfach eingesetzte (Hydroxy)chloroquin kann als Beispiel hierfür dienen. Während es sich in Bezug auf das Coronavirus als weitgehend unwirksam erwiesen hat, wurde durch die bekannten Nebenwirkungen vielleicht sogar mehr Schaden als Nutzen verursacht.36

Für Remdesivir konnte eine Wirkung für mittelschwer Erkrankte (sauerstoffpflichtig, aber nicht beatmungspflichtig) gefunden werden, während die Sterblichkeit hierdurch nicht signifikant gesenkt werden konnte.37 Nichtsdestotrotz wird es einen Stellenwert in der Therapie erhalten.

Einzig Dexamethason, ein Medikament was auch bei Influenzapneumonien im Einzelfall erfolgreich angewendet wird, scheint vielversprechend zu sein und insbesondere schwere Verläufe abzumildern. Bei Beatmeten konnte so laut einer vorläufigen Veröffentlichung jeder dritte, bei Sauerstoffpflichtigen jeder fünfte Todesfall verhindert werden.38 Inwiefern die Therapie die weitere Rekonvaleszenz beeinflusst, ist aber noch nicht bekannt. Zudem befanden sich zum Studienende noch zahlreiche Patienten in stationärer Behandlung, so dass eine abschließende Beurteilung aussteht.

Bei den geschürten Hoffnungen auf einen Impfstoff muss das Wesen der Coronaviren bedacht werden. Sie mutieren ähnlich wie andere virale Atemwegserreger sehr schnell39, so dass ein Impfstoff bei Marktreife möglicherweise schon wieder wirkungslos wäre. Ein nahezu vollständiger Impfschutz, wie dies in der laufenden Diskussion teilweise suggeriert wird, ist keinesfalls zu erwarten. Gerade ältere Menschen haben aufgrund des gealterten Immunsystems (Immunseneszenz) nochmals geringere Ansprechraten und einen schnelleren Verlust des aufgebauten Schutzes.

Auch wenn es sich bei den Influenzaviren um eine andere Gruppe von Viren handelt, kann sie als Beispiel für die Impfeffektivität dienen, die bei einem mutationsfreudigen Atemwegserreger zu erwarten ist. In den USA erreichte die Impfung zwischen 2004/05 und 2017/18 eine Effektivität zwischen 10 und 60%40. In der Saison 2017/18 lag die Impfeffektivität in Deutschland bei nur 15%, da der Impfstoff gegen den vorherrschenden zirkulierenden Influenza-Subtyp nicht schützte.41

Viele der derzeit angewendeten Impfstoffverfahren sind bisher klinisch nicht am Menschen evaluiert worden, was insbesondere auch für die mRNA-Impfstoffe gilt. Die Entwicklung eines zuverlässigen Impfstoffs nimmt mehrere Jahre in Anspruch bis Langzeitdaten zur Verträglichkeit vorliegen.42 Zwischen 1998 und 2009 etwa dauerte es durchschnittlich 10,71 Jahre von der präklinischen Phase bis zur Markteinführung eines neuen Impfstoffs, wobei nur 6% der Impfstoffkandidaten dieses Ziel auch erreichten.43

Zusammenfassend erscheinen die derzeitigen Hoffnungen auf ein Medikament oder einen Impfstoff daher in Teilen irrational. Vor dem unkritischen Einsatz unzureichend geprüfter Medikamente und Impfstoffe muss daher gewarnt werden.