Wird Robert Habeck zum Totengräber der Grünen?
Der Wirtschaftsminister steht in der Kritik. Seine Politik spaltet die Grünen. Warum sein Kurs fragwürdig ist. Ein Kommentar.
Joschka Fischer nutzte den Farbbeutelwurf auf ihn auf dem Parteitag der Grünen in Bielefeld 1999, um die grüne Friedenspartei auf den völkerrechtswidrigen Kriegskurs zu zwingen. Es folgten der entsprechende Nato-Einsatz im Kosovo und die Bombardierung Serbiens, der 20-jährige Fehlschlag in Afghanistan und weitere unfriedliche Bundeswehreinsätze mit grüner Rückendeckung, etwa in Mali.
Von Bielefeld an dominierte die Realo-Strömung um Fischer die Partei für viele Jahre, bis zum Parteitag in Göttingen, wo die grüne Basis-Linke bei dem von ihr erzwungenen Sonderparteitag 2007 zur Abstimmung über weitere Afghanistan-Einsätze einen Erfolg erzielen konnte.
Danach glätteten sich die Wogen schnell, ein Teil der Rebellen wurde mit Posten und Mandaten ruhiggestellt, die anderen versuchte die Führung auszugrenzen.
Längst gab es die informelle Absprache, den Bundesvorstand, Listen für Parlamente und auch Ministerposten jeweils mit Realos und Parteilinken zu besetzen, um ein ausgewogenes Verhältnis der innerparteilichen Strömungen zu erreichen. Dies wurde bereits bei den Spitzenkandidaturen zur letzten Bundestagswahl durchbrochen, indem beide Positionen mit den Realos Robert Habeck und Annalena Baerbock besetzt wurden.
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Neben den Ministerinnen Steffi Lemke und Anne Spiegel wurden weitere Grüne als Feigenblatt mit einigen Staatssekretärsposten berücksichtigt, um die aufmüpfige Basis und den zustimmungsunwilligen Bundesvorstand – der das Paket zunächst mit drei zu drei Stimmen blockierte – bei den anstehenden harten Ampel-Kompromissen ruhigzustellen.
In der anschließenden Ampel-Regierungspolitik wurden faule Kompromisse bis zur Schmerzgrenze geschlossen. In der Außenpolitik wurde mit Beginn des Russland-Ukraine-Krieges endgültig der totale Gegenkurs zum bisherigen Pazifismus eingeschlagen. Lieferungen schwerster Kriegswaffen an Terrorstaaten wie Saudi-Arabien waren nur der Auftakt.
Zivile Konfliktlösung und Diplomatie war gestern
Nun wird nicht mehr auf den Vorrang ziviler Konfliktlösungen und Diplomatie gesetzt, sondern nach immer mehr und weitreichenderen Waffen gerufen, die den Krieg immer weiter eskalieren lassen und die Gefahr eines Weltkrieges zwischen Nato und Russland in sich bergen. Selbst in fernen Gewässern bei China soll die Bundeswehr deutsche Stärke demonstrieren.
Diese politische Abwärtsspirale setzte sich mit den Entscheidungen der grünen Regierungsmitglieder fort, indem sie der Abschaffung des Klimaschutzgesetzes und der Sektorengrenzen zustimmten, kein Klimageld für die unteren Einkommensgruppen beschlossen, die Kindergrundsicherung von der FDP gekippt, den Glyphosatausstieg um zehn Jahre verschoben, einen überflüssigen LNG-Terminal vor Rügen in die Naturschutzzone gesetzt und die E-Auto-Förderung von heute auf morgen gestrichen haben.
Im Koalitionsvertrag hingegen warten nur fest vereinbarte grüne Projekte auf ihre Umsetzung oder wurden bereits gestrichen.
In unserer Partei werden die Ursachen für den Niedergang bei allen anderen politischen Gegnern, mangelnder Kommunikation und der Unfähigkeit der Wähler gesucht – nicht aber im politischen Handeln als Grüne in der Ampelregierung.
Warum wird die nahe liegende Forderung nach Einhaltung des Koalitionsvertrages durch die FDP von den grünen Regierungsmitgliedern nicht gebetsmühlenartig wiederholt und ebenso erfolgreich durchgesetzt? Auf Plattdeutsch heißt es: "Wer sög för'n Pannekauken utgift, dei wett ok dorför upeiten!" Übersetzt ins Hochdeutsche: "Wer sich als Pfannkuchen ausgibt, wird auch als Pfannkuchen gegessen."
Der Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck bezeichnete den angekündigten Rücktritt laut Presseberichten als Zeichen "großer Stärke und Weitsicht" und sagte weiter: "Sie machen den Weg frei für einen kraftvollen Neuanfang. Das ist nicht selbstverständlich, sondern ein großer Dienst an der Partei."
Habeck weiter: "Wir alle tragen hier Verantwortung, auch ich. Und der will ich mich auch stellen." Das wirft die Frage auf, warum er mit dieser Einsicht nicht konsequenterweise auch "der Partei einen großen Dienst erweist"?
Noch immer reißen die Gerüchte nicht ab, Robert Habeck habe den Rücktritt des grünen Vorstands initiiert und forciert. Dabei vergisst er zu erwähnen, dass die von ihm bestimmte Regierungspolitik in der Ampel maßgeblich für das katastrophale Landtagswahlergebnis verantwortlich ist.
Wie seinerzeit Joschka Fischer will er seine Macht in der Partei endgültig und dauerhaft festigen. Selbst die leise Kritik der ehemaligen junggrünen Bundesvorsitzenden Ricarda Lang war da offenbar schon zu viel.
Und damit es nicht so auffällt, musste wohl der gesamte Bundesvorstand zurücktreten? Die Geschichte von Joschka Fischer wird sich bei Robert Habeck allerdings als Farce erweisen: Er hat zu hoch gepokert!
Der kommende Parteitag in Wiesbaden wird zeigen, ob die Grünen endgültig den von Robert Habeck und den Realos angestrebten Weg in die (klein-)bürgerlich-miefige Mitte antreten. Und in der Folge werden die Grünen – mangels Stammwähler – bei der Bundestagswahl an der Fünfprozenthürde kratzen, wie die verlorenen Landtags- und Europawahlen nahelegen.
Die sensibel wahrnehmende Grüne Jugend hat dies erkannt. Ihre konsequente Entscheidung verdient Respekt. Der schnelle Austritt ist zwar schade, die Ober-Realos reiben sich schon die Hände.
Vielleicht haben sie sich aber auch zu früh gefreut und die Basis hat genug von faulen Kompromissen, Wahlniederlagen, Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverlust, Intrigen und Machtspielchen und entscheidet sich bei den Neuwahlen des Bundesvorstandes für einen sozial-ökologischen Kurs links der Mitte und gegen die Ausrichtung auf Habeck.
In der kleinbürgerlichen Mitte tummeln sich bereits andere Parteien, dort ist nichts zu holen. In der grünen Partei muss es einen links-ökologischen Kurswechsel geben. Der Platz dafür ist in unserer Gesellschaft frei – wir müssen nur mutig die Initiative ergreifen und nicht dem Rechtspopulismus und den rechtsextremen Narrativen der AfD verfallen, sondern konsequent für unsere sozial-ökologischen grünen Werte eintreten.
Koch ist Mitglied der Grünen seit 1993, war als Basismitglied lange Jahre Delegierter in den BAGen Energie und Frieden, 10 Jahre lang Koordinator des AK Atom in der BAG Energie und seit 2000 Mitglied im Orgateam der Unabhängigen Grünen Linken. Er ist Fachbuchautor ("Störfall Atomkraft"). In seiner Heimat, der Vulkaneifel, war und ist er zeitweise kommunalpolitisch und im Parteivorstand aktiv.