Wird die Sicherheit des Westens jetzt am Dnjepr verteidigt?
Seite 3: Militärische Leistungsfähigkeit
Die Einschätzung der Fähigkeiten der russischen Streitkräfte kann sich inzwischen auch auf ihre im Krieg gezeigte Leistung stützen. Abgesehen von der Identifikation vieler Schwachpunkte im Einzelnen hat die Tatsache, dass die russischen Streitkräfte nach bald zwei Jahren nicht in der Lage waren, das Territorium der von Russland annektierten vier Oblaste vollständig zu erobern, Experten die Frage aufwerfen lassen, ob diese in der westlichen Fachcommunity nicht weit überschätzt worden sind.7
Ein von Rand-Mitarbeitern publizierter Artikel trägt seine zentrale These im Titel: "Rightsizing the Russia Threat. Whatever Putin’s intentions, he is hemmed in by limited capabilities".8
Selbst Nato-Generalsekretär Stoltenberg ist der Auffassung, dass "die Russen eine schlechte Moral haben, schlecht ausgebildet und ausgerüstet sind und eine schlechte Logistik und eine schlechte Führung haben".9
Ging Eberhard Zorn, damaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, von einer gleichgelagerten Einschätzung aus, als er einen Angriff Russlands auf das Nato-Territorium am 21. September 2022 als "unwahrscheinlich" bezeichnete?10
Die angesehen US-amerikanischen Außenpolitik-Experten Richard Haas und Charles Kupchan gehen davon aus, dass "eine Ausweitung des Krieges durch einen Angriff auf ein Nato-Mitglied nicht in Russlands Interesse wäre, da das Land schon kaum mit der Ukraine alleine fertig wird".11
Aufrüstung für Bündnisverteidigung und Krisenintervention
Die Nato hat die mit der russischen Intervention in der Ukraine 2014 aufgeworfene Frage nach ihrer eigenen Bedrohung mit dem klassischen Reflex einer Aufrüstungsinitiative zur Stärkung ihrer Kernmission der Bündnisverteidigung beantwortet.
Dass sie gegenüber Russland klar überlegen ist, wird nicht thematisiert. Nach Erfahrungen in Irak, Afghanistan, Mali usw. ist im Westen die Bereitschaft zu militärischen Kriseninterventionen stark zurückgegangen.
Solche künftig evtl. wieder möglichen Einsätze erfordern aber keine zusätzliche Aufrüstung, da Nato und EU über umfangreiche militärische Mittel für ihrer Natur nach begrenzte Krisenintervention besitzen. Auch stellt sich die Frage, inwieweit die verbreitete Vorstellung, wonach "Krisendiplomatie erfolgreicher durchzuführen ist, wenn sie militärisch unterfüttert ist"12, den heutigen Realitäten gerecht wird, in denen Kanonenbootpolitik auf enge Grenzen stößt.
Die Erfahrung zeigt auch, dass bei Krisenintervention meist nicht ein Mangel an militärischen Mitteln, sondern an politischem Willen das Problem ist. Selbst wenn Verfechter der Nato-Aufrüstung die militärische Überlegenheit der bald 32 Nato-Mitglieder gegenüber Russland einräumen, lassen sie sich nicht beirren.
Während manche diese als Rückversicherung nicht zuletzt mit Blick auf China rechtfertigen, verweisen andere auf eine immer unsicherer werdende Welt zunehmender Risiken.
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