"Wirtschaftsterrorismus"

Finanzkrise wird benutzt, um mit Bedrohungsszenarios vor möglichen Manipulationen der Finanzsysteme durch Insider-Hacker und Terroristen zu warnen

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Terroristen gibt es überall, zumindest könnten sie überall sein. Weswegen eigentlich ein gottähnlicher, nämlich allwissender Staat notwendig wäre, um für Sicherheit zu sorgen. Es wundert nicht, dass man die Angstkarte Terrorismus nun auch für die Finanzkrise zieht und munkelt, dass da möglicherweise Terroristen und nicht Banker ihre Finger im Spiel hatten, oder zumindest darauf hinweist, dass man jetzt sehen kann, was Terroristen anrichten könnten.

Den medialen Auftakt hat Mike Huckabee vor einigen Tagen in Fox News gemacht, wo er eine Talk Show moderiert. Der Pastor und ehemalige republikanische Gouverneur von Nebraska, der versucht hatte, sich als Präsidentschaftskandidat zu nominieren, aber ohne Chancdn gegen McCain war, darauf anspielte, dass die Finanzkrise ein Werk von Wirtschaftsterroristen sein könne. Das habe ihm ein Freund gesagt, der im Finanzbereich tätig sei und angeblich Manipulationen beobachtet hatte:

Just today, a friend of mine in the financial markets indicated that he's been doing a careful analysis of the last 12 days, and there seems to be a manipulation of the marketplace - at the last half-hour of each day, there is an extraordinary rush of computerized trading going on. He believes that there may, in fact, be evidence of economic terrorism that is fueling a lot of what's going on. Now it's a fascinating idea, that if somebody could break down the world economy, it would have a greater impact that any bomb ever set off. It seems to be there is plausible argument for it.

Die Idee findet nicht nur Huckabee faszinierend, angeblich sind auch die US-Geheimdienste seit längerem besorgt, dass Hacker dem Finanzsystem schaden könnten. Das schreibt zumindest Shane Harris, Geheimdienstexperte beim National Journal, der sicher seine Informanten hat, bei dem man sich aber nicht sicher sein kann, wie weit er nur als Sprachrohr für manches dient, was Geheimdienste über Medien an die Öffentlichkeit bringen wollen. Es ist schließlich ihre Aufgabe, auf mögliche Gefährdungen hinzuweisen, zudem wollen sie dafür sorgen, dass sie möglichst weitreichende Kompetenzen und Kapazitäten haben. Da ist immer gut, sich an das anzuhängen, was gerade in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird.

Nach Harris fürchten US-Geheimdienste, dass Hacker nicht nur Banken schade, sondern die Börsen in Panik versetzen könnten, indem sie Daten manipulieren und falsche Informationen verbreiten. Ausgegangen wird von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen, die, vor allem wenn sie Insider sind, großen Schaden für einzelne Banken oder das ganze Finanzsystem anrichten können, indem etwa Börsenkurse gefälscht werden. Die jetzige Krise würde darauf hinweisen, wie wichtig korrekte Informationen sind. Zwar wird nicht unterstellt, wie dies Huckabee machte, dass für die Kreditkrise Hacker oder Terroristen verantwortlich waren, aber die Verantwortlichen für die Sicherheit der Computerinfrastruktur in der Regierung, so stellt es Harris dar, wollen mit der Warnung vor den möglichen Manipulationen die Finanzinstitutionen dazu drängen, bessere Schutzmaßnahmen zu ergreifen.

So sagt Joel Brenner, Leiter der Spionageabwehr, dass zwar die Sicherheit der Börsensysteme "sehr gut" sei, aber dass das Finanzsystem als ganzes nicht ausreichend geschützt ist. Käme es zu einem großen Betrugsmanöver, so würden die wirtschaftlichen Schäden größer sein können als diejenigen, die von einem Terroranschlag verursacht werden. Damit wird dann also doch wieder die Verbindung zum Terrorismus hergestellt.

Dass Hacks mit schwerwiegenden Folgen möglich seien, wird etwa mit Jerome Kerviel begründet (Solo bei der Société Générale?), der als Trader bei der Societe General durch die Manipulationen der Computersysteme auf den Finanzmärkten gezockt und dabei letztlich einige Milliarden Euro Verluste gemacht hatte. Allerdings hatte Kerviel, anfangs durchaus erfolgreich, mindestens monatelang unter Duldung der Leitung seinem Zocken nachgehen können, auch wenn er dies angeblich selbst nicht wusste (Affäre Kerviel vor Gericht).

Nach der "Aufdeckung" an einem Wochenende reagierten die Börsen mit Kursverlusten. Melissa Hathaway, die für die oberste Geheimdienstbehörde ODNI arbeitet, hat im September in einem Vortrag auf den Fall als ein Beispiel dafür hingewiesen, wie ein Insider-Hacker die ganze Wirtschaft erschüttern kann. Allerdings wurde damit vermutlich eher das Vertrauen in Finanzinstitutionen wie die Societe General erschüttert, weil man dort die Manipulationen von Kerviel gedeckt hatte. Auch bessere Schutzmaßnahmen würden vor solch einer Insider-Synergie nichts nutzen. Nach Hathaway stehen auch Hackervorfälle wie der von Kerviel hinter einer neuen, in Planung befindlichen Cyber-Security-Initiative des Weißen Hauses, die vor allem die Bedrohung durch Insider und den Schutz von Regierungsnetzwerken behandeln soll, aber auch vor Cyberterroristen und Hacker im Staatsauftrag warnt.