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Seite 3: Chile: Regierungslinke scheitert mit Verfassungsreferendum

Es war eine kleine Sensation, als in Chile im vergangenen Dezember mit Gabriel Boric ein linksgerichteter Präsident gewählt wurde. Jetzt hat Boric in einem Verfassungsreferendum eine empfindliche Niederlage erlitten: 62 Prozent der Chileninnen und Chilenen haben das neue Grundgesetz abgelehnt, das den Text aus der Zeit der Diktatur von Augusto Pinochet hätte ersetzen sollen. Nur 38 Prozent stimmten dafür.

Die Niederlage, die deutlicher ausgefallen ist, als Umfrageinstitute prognostiziert hatten, holt Boric und seine Mitte-links-Regierung auf den Boden der Tatsachen zurück: Der Text der neuen Verfassung war weitgehend von Aktivisten und Juristen erarbeitet worden, ohne dass das Establishment und die Mittelschicht des südamerikanischen Landes hinreichend eingebunden worden wären.

So war es für Alt- und Neo-Pinochetisten ein Leichtes, an alte Ängste und Vorurteile zu appellieren. Nun sei "Chile vom Kommunismus" befreit, zitiert das Lateinamerika-Portal amerika21.de Bewohner aus wohlhabenderen Vierteln der Hauptstadt Santiago.

Vor dem Referendum hatte Wolfgang Pomrehn für Telepolis die Ziele der neuen Verfassung zusammengefasst: Zentraler Bestandteil sei einer Umkehr der Privatisierungspolitik Pinochets gewesen, die natürliche Ressourcen wie den Kupferbergbau, große Waldgebiete und Wasserrechte in private Hände gegeben habe. Chile, so Pomrehn, besitze im Norden des Landes die mit Abstand weltweit größten Kupfervorkommen. Zudem ging es um ein Ende des Raubbaus, öffentliche Daseinsvorsorge, den Aufbau einer nachhaltigen bäuerlichen Landwirtschaft und die Rechte von Arbeitern sowie Indigenen.

Boric will sich nun noch nicht geschlagen geben. Er strebt eine einen neuen verfassungsgebenden Prozess an. Am Sonntag sei schließlich nur der aktuelle Verfassungsentwurf abgelehnt worden, schreibt amerika21: "Da aber im Oktober 2020 eine deutliche Mehrheit von knapp 80 Prozent gegen die aktuelle Verfassung und für eine neue gestimmt hätten, sei der Auftrag klar: Weiterhin muss eine neue Verfassung ausgearbeitet werden."