Zukunft des Kochens und Wohnens: Vom Kult des Privaten zum Aufbruch in kollektive Lebensformen
Seite 3: Die Kleinfamilie überschreiten
Gewiss würde sich mit der Verlagerung des Kochens vom heimischen Herd ins Restaurant auch etwas an der Kultur der Privatheit verändern. Für eine solche Transformation sprechen ebenfalls andere Gründe:
Um die Enge der Kleinfamilie (vgl. Creydt 2023) zu überwinden, sind "Netze aus freundschaftlichen Verwandten oder familiären Freunden" förderlich (Steckner 2018, 105). Über die Kleinfamilie hinaus gilt es "auch andere Formen des verbindlichen Füreinander-da-Seins" zu schaffen (Ebd., 104).
Das geht nicht allein im privaten Do-it-yourself.
"Damit Familienalltag kein privates Hexenwerk bleibt, braucht es auch kommunale Orte, an denen die Haus- und Reproduktionsarbeit gemeinsam stattfinden kann: (…) Kinderhäuser, in denen Erwachsene höchstens absichernd anwesend sind, Vorlesenachmittage mit rüstigen Wahlopas, Care-Stationen, wo Familien bei der Hege und Pflege alter oder kranken Angehöriger unterstützt werden […], mehr gute Volksküchen. […] Jede braucht mal Rückzug. Aber ist wirklich in jedem Einzelhaushalt eine Waschmaschine vonnöten?" (Ebd.)
Nachbarschaft fördernde Wohnformen können dazu beitragen, die kleinfamiliäre Einengung des Umfeldes von Kindern sowie Eltern zu überwinden. Soziale Netzwerke, die die Erziehung und die Betreuung von Kindern betreffen, gilt es zu fördern und auszubauen.
Auch entsprechende Wohnformen helfen, die Isolation von "Alleinerziehenden" und Alleinlebenden sowie den Mangel von Kinderlosen an Kontakt zu Kindern zu verringern.
"Seit Längerem entstehen zwar Beispiele für das ‚verbundene Wohnen‘ in Form von Gemeinschaftssiedlungen oder Hausgemeinschaften, die länger Bestand haben als vorübergehende Zweck-Wohngemeinschaften. Dass sie sich nicht viel breiter durchsetzten, liegt zum Teil an einem ungenügend ausgebauten Genossenschaftsrecht, hauptsächlich jedoch an den bestehenden Eigentumsverhältnissen."
Wo nicht gemeinsam über Boden, Gebäude und Wohnungsbau verfügt werden kann, sind "neue Wohnstrukturen nur beschränkt realisierbar. Und für Immobilienbesitzer sind Anlagen mit Gemeinschaftsflächen oder -räumen weniger rentabel als herkömmliche Wohnungen oder Luxusappartements" (Meier-Seethaler 1998, 384f.).
All diese Prozesse verringern den subjektiven Drang, in der Kleinfamilie "unter sich bleiben" zu wollen.
Der Kult des Eigenheims und der Wohnung
Ökologisch stellt die Vergrößerung der Wohnfläche pro Person ein massives Problem dar. Starke Vorbehalte gegen das Eigenheim resultieren aus der Kritik an der Zersiedelung, an der Versiegelung von immer mehr Boden und am absurden Verhältnis zwischen Wohnfläche und Außenwänden bei einem frei stehenden Einfamilien-Haus.
Aber auch hier gibt es eine andere Perspektive. Sie beurteilt etwas nicht nur unter dem Aspekt, ob es halbwegs gedeihliche ökologische Lebensbedingungen fördert oder schadet.
Erstens würde eine andere Betrachtungsweise vergegenwärtigen, dass die Errichtung größerer Mehrfamilienhäuser in Summe weniger unattraktive Arbeiten erforderlich macht als der Bau vieler kleiner Einfamilien-Heime.
Zweitens stellt sich auch hier die Frage nach der Qualität des Lebens selbst auf eine besondere Weise. Zur Konkurrenz in der bürgerlichen Gesellschaft gehört die Distinktion. Man will anderen und auf diesem Umweg sich selbst beweisen, als vereinzelter Einzelner trotz aller vermeintlich nur "äußeren" bzw. gesellschaftlichen Unbilden ein gelingendes Leben zu führen.
"Das Leben als persönliches Gesamtkunstwerk"
Viele wollen als Connaisseure, Bonvivants oder Lebenskünstler subjektiv sich als so reich fühlen oder aufführen, dass die gesellschaftliche Objektivität in ihrem Aufmerksamkeitshorizont an den Rand rückt.
Dazu gehört auch der Kult des Eigenheims (vgl. Bourdieu 1999) oder der privaten Wohnung. Viele treiben einen großen Aufwand, um aus ihr ein höchst persönliches Gesamtkunstwerk zu machen.
Eine andere Qualität kommt ins Spiel
Im Unterschied dazu wiesen die Wiener Gemeindewohnungsbauten der 1920er-Jahre eher kleine Wohnungen auf, bei großzügig vorgehaltenen Räumen für die Nutzung durch alle Bewohner.
Viele befürworten gegenwärtig die Verringerung der Menge an Produkten und Arbeiten aus ökologischen Motiven. Die Gesellschaft kommt dann nur als äußere Bedingung in den Blick. Gesellschaftliche Strukturen sollen so beschaffen sein, dass sie die natürlichen Bedingungen menschlichen Lebens nicht unumkehrbar beschädigen.
Die Durchschnittstemperatur soll nicht weiter steigern, das Wasser nicht knapp werden, die Gülle es nicht massiv vergiften und ungefilterte Sonneneinstrahlung nicht Hautkrebs fördern. Sich dafür zu engagieren, ist bitter notwendig.
Entsprechende Bewegungen für den Schutz vor Katastrophen stellen die Frage nach der eigenen Qualität der Gesellschaft jedoch nur instrumentell. Sie kommt nur als ein Faktor in den Blick, der für etwas anderes relevant bzw. funktional ist – die Erhaltung halbwegs gedeihlicher klimatischer Bedingungen menschlichen Lebens.
Anders verhält es sich, wenn die Frage lautet: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?
Die Gesellschaft re-sozialisieren
Die Befreiung der Konsumgüter, des Kochens und der Kindererziehung aus der Privatform bildet eine Teilmenge einer größeren Transformation – der Veränderung der sozialen Beziehungen und gesellschaftlichen Verhältnisse.
Die Konsumgüter, das Kochen und die Kindererziehung bilden Themen, an denen sich neue Beziehungen zwischen Personen bilden und sich kollektivere gesellschaftliche Praxen einrichten lassen. Das stärkt die Assoziation der Menschen und emanzipiert sie von ihrer Vereinzelung und dem Ausgeliefertsein an anonyme Marktprozesse.
Es geht darum, die Gesellschaft zu re-sozialisieren, also in ihr mehr Sozialität, mehr bewusst gestaltete prosoziale Lebensformen zu schaffen.
In dem Maße, wie Strukturen und Institutionen dies ermöglichen und fördern, wird die Gesellschaft zu etwas, das nicht nur die Lebensbedingungen von Menschen bereitstellt. Vielmehr sehen die Individuen ihre Sozialität als für ihre eigene Lebensqualität wesentlich an.
Das schließt ein, die Gesellschaft so einzurichten, dass sie ihre Gestaltung nicht an Marktprozesse abgeben, die sich gegen die Bevölkerung verselbstständigen.