Zwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!
Seite 4: Kultur mit Einkaufszentrum
Michaels und Drabinsky finanzierten The Silent Partner mit einer Mischform aus staatlichen Fördergeldern und Steuererleichterungen für die Investoren. In den Richtlinien der CFDC stand etwas von kanadischer Kultur und von kanadischen Werten, die sich in den geförderten Filmen widerspiegeln sollten. Inzwischen war der Druck gewachsen, sich an solche Vorgaben auch zu halten, nachdem sie zu häufig ignoriert worden waren. Andererseits schielten Michaels und Drabinsky in erster Linie auf die USA und Europa, wo sie ihren Film verkaufen wollten. Weil Stars ein gutes Kaufargument sind engagierten sie den Amerikaner Elliott Gould und die Engländerin Susannah York für die Hauptrollen.
Um das auszugleichen besetzten sie die restlichen Rollen mit Kanadiern. Der junge John Candy spielt einen Bankangestellten, Christopher Plummer stammt aus Toronto, und Céline Lomez (Reikles Komplizin) war eine franko-kanadische Schlagersängerin, die dem Vernehmen nach nur deshalb keine Fernsehkarriere machte, weil sie den Produzenten von Charlie’s Angels zu sexy für die Hauptsendezeit und das dann in den USA vor der Glotze sitzende Publikum war.
Der Regisseur, Daryl Duke, kam in Vancouver zur Welt, und den Eltern der Jazzlegende Oscar Peterson muss man dafür dankbar sein, dass er in Montreal geboren wurde und nicht in Memphis oder New Orleans. Auch Peterson wurde angeheuert, um das kanadische Element zu betonen. Er komponierte eine jazzige und dezente Musik, die sich an den Film anschmiegt und auf subtile Weise Akzente setzt, statt ihn mit Gefühlskitsch und falschen Emotionen zu verkleben und, koste es was es wolle, die Geräusche der Popcornesser im Zuschauerraum zu übertönen.
Kultur mit Einkaufszentrum (10 Bilder)
Wenn man so will fällt auch das Einkaufszentrum in die Kategorie "kanadische Kultur und kanadische Werte". Am Anfang sieht man das imposante Bauwerk aus der Froschperspektive und von außen, als solle allen Kritikern, die womöglich darüber meckern könnten, dass der kanadische Steuerzahler schon wieder einen Film ohne Kanada finanziert habe, gleich mit der ersten Einstellung der Wind aus den Segeln genommen werden. An der Schrift an der Fassade ist abzulesen, dass es sich um das Eaton Centre handelt, dessen erster Bauabschnitt soeben für die zahlende Kundschaft freigegeben worden war, als Duke dort The Silent Partner drehte.
Fertiggestellt wurde das Eaton Centre 1979, als auch das Cineplex eröffnet wurde, mit 18 Leinwänden damals das größte Multiplex-Kino der Welt. Das vom deutsch-kanadischen Architekten Eberhard Zeidler nach dem Vorbild der Viktor-Emanuel-Galerie in Mailand entworfene Einkaufszentrum ist eines der größten in Nordamerika und eines der ersten, die - gegen erhebliche Widerstände - in der City einer nordamerikanischen Stadt errichtet wurden, nicht irgendwo an der Peripherie. Es gibt kanadische Lokalpatrioten, die das Riesending erdrückend oder potthässlich finden oder beides und trotzdem stolz darauf sind.
Zahlreiche Einkaufszentren, die danach entstanden, insbesondere in den USA, sind dem Eaton Centre nachempfunden oder schlicht davon abgekupfert. Das freut die Kanadier, die darunter leiden, dass sie der übermächtige Nachbar südlich der Grenze allzu oft in den Schatten stellt und mit ihnen umspringt wie mit einem kleinen Bruder, den man nach Belieben drangsalieren kann. So betrachtet hat The Silent Partner seinen Kulturauftrag erfüllt und das Vertrauen des kanadischen Steuerzahlers gerechtfertigt. Das Eaton Centre ist ein Wahrzeichen von Toronto und hat mehr Besucher als irgendeine andere Touristenattraktion in der Stadt.
Schade, dass die Produzenten ein Kaufangebot der Paramount ablehnten, als der Film fertig war (und von Curtis Hanson vollständig neu montiert, wie er später berichtete), weil sie sofort eine Abschlagszahlung wollten, statt bis zur Kinoauswertung auf ihren Gewinnanteil warten zu müssen. Geld auf die Hand bot ein unabhängiger Verleih, der im entscheidenden Moment Pleite ging. Das hatte zur Folge, dass in den USA kaum jemand diesen Film zu sehen kriegte, der mit einem monumentalen Beweis für die Überlegenheit der kanadischen Kultur beginnt, im Shopping-Bereich zumindest.
Auf einen Drink mit Frau und Fisch
Hanson hat ein Drehbuch mit viel Wortwitz geschrieben. "I’ll take a rain check", sagt Julie, wenn sie Miles’ Einladung ablehnt. "Verschieben wir’s auf ein andermal" wäre eine passable Übersetzung, aber dabei verliert man den Scheck (den man sich in der englischen Redewendung ausstellen lässt, um ihn bei geeigneter Gelegenheit einzulösen) und die Verbindung zum Geld (in der Bank), die alle Beziehungen in diesem Film auf die eine oder andere Weise haben. Miles will Julie den Durchschlag mit dem zweideutigen Text zeigen ("Das Ding in meiner Tasche ist eine Pistole" - und ein Penis), aber Julie geht weg, ohne hinzuschauen, weil sie denkt, dass das wieder eine seiner Kritzeleien ist.
Dann steht plötzlich Charles Packard neben ihm, der Filialleiter, und wir erfahren mit dem unangenehm überraschten Miles, dass Julie ein Verhältnis mit diesem Schnösel hat, also dessen Pistole kennt. Packard muss erst noch nach Hause zu seiner Frau. Miles soll mit Julie in eine Hotelbar gehen und ihr Gesellschaft leisten, bis er nachkommt (und mit ihr auf eines der Zimmer gehen kann). Das ist eine Variation auf Billy Wilders The Apartment (auch ein sehr sehenswerter Weihnachtsfilm über den Einfluss des Geldes und des Aufstiegswunsches auf menschliche Beziehungen), wo Jack Lemmon den Bonzen in seiner Firma seine Wohnung für Schäferstündchen mit den weiblichen Angestellten zur Verfügung stellt.
Auf einen Drink mit Frau und Fisch (14 Bilder)
Lemmon macht es, weil er im Austausch ein eigenes Büro in der Firma kriegt, und einen Schlüssel zur Cheftoilette. Ob Miles den Platzhalter für Packard spielt, weil er so doch noch zu seinem Date mit Julie kommt, oder ob er das für ihn (und Julie) entwürdigende Angebot akzeptiert, weil er sich berufliche Vorteile davon verspricht, bleibt zunächst offen. Auf dem Weg zur Bar gehen die beiden bei der Zoohandlung vorbei, wo Miles einen Fisch für sein Aquarium bestellt hat. Das georderte Exemplar ist ein Holacanthus tricolor, in Deutschland auch als Felsenschönheit bekannt und in englischsprachigen Ländern als Angelfish (Engelsfisch).
Der tropische Fisch (und das Aquarium, in dem er demnächst schwimmen wird) symbolisiert Miles’ Traum von einem anderen Leben, am liebsten mit Julie, seinem Weihnachtsengel, der nach dem Besuch in der Tierhandlung neben ihm an der Bar sitzt. Auf dem Tresen hat Miles den Beutel mit der Felsenschönheit abgestellt. Die Figuren des Films werden wir ein um das andere Mal hinter Glasscheiben und Gittern sehen, was die Frage aufwirft, ob sie nicht auch Fische im Aquarium sind. Wer ist drin im Aquarium und wer draußen? Wer beobachtet und wer wird beobachtet? Wer ist die Ware in der Auslage der Geschäfte im Einkaufszentrum und wer steht vor der Scheibe und schaut sich das Angebot an?
Übrigens ist die vom Filialleiter gewählte Absteige das im Jahr darauf in Four Seasons umbenannte Hyatt Regency Hotel, ein 1972 gebauter Betonturm im Brutalismus-Stil, in dem viele Filmleute residierten, als das Internationale Filmfestival von Toronto noch in dieser Gegend konzentriert war. Darauf bezieht sich wohl Julies Bemerkung, dass sie sich darüber geärgert habe, wie Miles (= Gould, der US-Amerikaner) beim Betreten des Hotels angesehen wurde ("Wie ein Kalb, das zum Tor hereinkommt."). Im Hyatt Regency gab es denkwürdige Auftritte von Hollywoodgrößen, die sich über die herablassende und engstirnige Art beklagten, mit der die Kanadier auf ihre Filme reagierten. (Noch ein Kulturbeitrag.)
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