Zwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!
Seite 7: Romantik, Sex und schäbige Affären
Reikle wird wegen der Vergewaltigung verurteilt und nicht wegen des Bankraubs, weil Miles ihn nicht identifizieren kann, ohne sich selbst zu belasten. Die Gegenüberstellung, bei der er so tut, als würde er den Weihnachtsmann nicht erkennen, ist an Heiligabend. Da kam das Jesuskind zur Welt. Zwischen Geburt und Tod ist mitunter nur ein Filmschnitt. In der nächsten Szene sind wir auf einem Friedhof. Miles’ Vater haben wir bei einer Weihnachtsfeier im Altenheim kennengelernt, bei der die Insassen von der Heimleitung mit Weihnachtsliedern beschallt wurden. Jetzt ist Sommer und der Vater ist gestorben.
Beim Begräbnis trifft Miles die attraktive Elaine, die behauptet, Pflegerin im Altenheim zu sein und oft mit dem Vater über seinen Sohn gesprochen zu haben. Das muss man ihr nicht glauben, weil der Vater an Demenz erkrankt war und nie ein Wort gesagt hat. Tatsächlich ist sie die Komplizin von Harry Reikle, der sie geschickt hat, um herauszufinden, wo Miles die Beute versteckt hat. Der Verbleib des Geldes ist einer der vielen witzigen Einfälle in dem Film. Was macht man mit 50.000 Dollar? Man bringt sie zur Bank. Wenn das Finanzamt davon nichts mitkriegen soll mietet man ein Schließfach. Am besten anonym oder unter anderem Namen.
Romantik, Sex und schäbige Affären (24 Bilder)
Das Leben des risikofreudigen Unternehmers wäre einfacher, wenn nicht auch das Servicepersonal gelegentlich eigeninitiativ werden würde. Die Putzfrau räumt Miles’ Kühlschrank aus und wirft das Glas mit der alten Johannisbeermarmelade weg. Da ist der Schlüssel zum Schließfach drin, und weil die Müllabfuhr schon da war, wenn er nach Hause kommt, muss Miles sich einen neuen Plan ausdenken, um an das Geld zu kommen. Dafür braucht er Elaine, der in diesem an Hitchcock geschulten Spannungsteil der Geschichte eine Hauptrolle zufällt.
Elaine wird dabei klar, dass sie lieber die Partnerin von Miles als die von Harry sein möchte, und weil das Leben auch Romantik braucht bleibt wenigstens halbwegs offen, ob das mehr mit dem Geld oder vielleicht doch mit anderen Werten zu tun hat. Das ändert nichts daran, dass alle Beziehungen in diesem Film in einem kapitalistischen Zusammenhang stehen. "Er hat uns beide gefickt", stellt Reikle fest, wenn er vorzeitig aus dem Gefängnis freikommt, weil einer seiner Schläger-Freunde die vergewaltigte Frau dazu gebracht hat, ihre Anzeige zurückzuziehen - Elaine im sexuellen Sinne und ihn, indem er ihn um die Beute geprellt hat.
Vor dem ersten Sex, in Miles’ Wohnung, macht Elaine das elektrische Licht aus, wegen der Romantik. Miles überprüft zur Sicherheit, dass sie dabei nicht die Luftpumpe des Aquariums mit abgestellt hat, weil seine Fische sonst ersticken würden (ein schlechtes Omen). Nach dem Sex zündet sich Elaine die Zigarette an, die üblich war, als in Filmen noch geraucht wurde. Miles will lieber Informationen. Eine Altenpflegerin ist die Frau nicht. Wer sonst? Elaine gibt offen zu, dass Harry Reikle sie geschickt hat, um seine finanziellen Interessen wahrzunehmen, solange er im Knast sitzt. Ohne das Geld in der Bank hätte Miles Elaine nie kennengelernt.
Bei einem ihrer ersten Dates gehen die beiden zur Hochzeit von Louise und Simonson, Miles’ Kollegen. Eigentlich ist das recht herzerwärmend. Die Brautleute sind zwei Klischeefiguren. Gail Dahms spielt die dumme Blondine, John Candy den großen dicken Jungen. Während die Bank überfallen und aus dem Winter Sommer wird, während Miles’ Vater stirbt und Julie nicht weiß, wie es mit ihrem Leben weitergehen soll entwickelt sich zwischen diesen beiden Randfiguren eine zarte Romanze - könnte man zumindest denken. The Silent Partner ist aber ein Film mit doppeltem Boden. Also ist es wieder komplizierter.
In der Weihnachtszeit dürfen die Angestellten in der Bank Julie unter dem Mistelzweig küssen wie es Brauch ist. Bei der Hochzeit küsst man die Braut. Berg drückt Louise einen Kuss auf die Wange und Simonson zeigt auf ihren Bauch. Höchste Zeit sei es gewesen, sagt er launig: "Zu viel Weihnachten gefeiert." Miles sitzt dabei, hebt sein Glas und lächelt spöttisch. Er weiß, wovon der Bräutigam nichts ahnt. Louise ist von Berg schwanger, mit dem er sie bei der Weihnachtsfeier im Haus des Filialleiters überrascht hat.
Das hätte eine sehr zynische Szene werden können, wenn sie nicht primär dazu dienen würde, dem Charakter des Kassierers eine neue Facette hinzuzufügen. Miles erlebt die schäbigen Affären seiner Kollegen in der Bank mit und bleibt ihnen gegenüber distanziert, weil er mehr will als das. Die sich daraus ergebende Geschichte wird getragen von einer Figurenkonstellation, die an den richtigen Stellen für die Konflikte sorgt, die man braucht, um die Handlung voranzutreiben. Alles dreht sich um Entscheidungen, die man treffen muss und um die Folgen, die das hat.
Miles muss sich zwischen der Bankangestellten Julie und Elaine entscheiden, die aus der Halbwelt in sein Leben getreten ist. Julie muss sich zwischen dem Kassierer Miles und dem Filialleiter Packard entscheiden. Elaine muss sich zwischen dem Kassierer und dem Bankräuber Harry Reikle entscheiden. Durch dieses Geflecht wird wie nebenbei eine Verbindung zwischen dem spießigen Filialleiter und dem Räuber hergestellt. Und weil das Geld im Zentrum steht gerät Miles am Ende in eine Lage, in der er glaubt, sich zwischen der Beute und seinem Leben (mit Julie oder mit Elaine) entscheiden zu müssen.
Stiller Teilhaber
Man kann The Silent Partner ruhig öfter sehen, weil man bei jedem Sehen neue Details entdeckt, die den Film erzählerisch noch dichter machen. Nach dem Kauf des Engelsfisches sitzen Miles und Julie in der Bar des Hyatt Regency Hotels. Ein Gespräch will nicht recht in Gang kommen, weil das eine peinliche Situation ist. Miles sitzt da nur als Platzhalter, weil sie auf den Filialleiter warten, mit dem Julie eine Affäre hat. Julie spielt sich mit den Brezeln, die in der Bar zu den Drinks gereicht werden. Miles nimmt eine und steckt sie sich in den Mund, bevor er allein (mit seinem Fisch) nach Hause geht, weil Packard gekommen ist.
Später, im Sommer, sitzt Miles mit Elaine in einem Restaurant und raucht eine Zigarre. Wie zwei Geschäftsleute nach einem gelungen Abschluss trinken sie "auf den Erfolg". Miles erzählt, dass er sein Aquarium verkaufen will. Elaine (mondäner als Julie, die Angestellte in der Bank) trägt eine Kette mit einer glitzernden Brezel um den Hals. Die unsichtbare Präsenz im Hintergrund ist dieses Mal nicht der Filialleiter, sondern der Bankräuber. Miles sagt, dass er beschlossen habe, die Beute durch drei zu teilen. Voraussetzung sei, dass Harry Reikle sie, Elaine und ihn, in Ruhe lasse, wenn er aus dem Gefängnis kommt.
Stiller Teilhaber (15 Bilder)
Dummerweise ist Reikle schon im Restaurant, um seine Rechte geltend zu machen wie vor ihm Packard im Hyatt Regency, nur dass er nicht die Drinks bezahlen wird wie der seine Frau betrügende Filialleiter. Miles muss begreifen, dass Reikle ihn in jedem Fall töten wird, weil der Mann ein Psychopath ist - ein Psychopath allerdings, der mehr mit ihm zu tun hat, als ihm lieb sein kann, weil Curtis Hanson die Romanvorlage von Anders Bodelsen mit The Secret Sharer von Joseph Conrad gekreuzt hat. Da, könnte ich mir vorstellen, kommen auch die tropischen Fische her, die gleich im ersten Satz von Der stille Teilhaber erwähnt werden. Bei Bodelsen gibt es sie nicht.
Conrads Erzähler ist ein Kapitän, der mit seinem Schiff im Golf von Siam unterwegs ist. Eines Nachts kommt ein Mann an Bord, der von einem anderen Schiff geflohen ist, weil er dort, als erster Maat, in einem Anfall von Mordlust einen Matrosen erwürgt hat. Ohne zu wissen wie ihm geschieht nimmt der Erzähler den Mörder mit in seine Kajüte, statt ihn dem Kapitän des anderen Schiffes auszuliefern. Weil er gegen das Gesetz verstoßen hat muss er den Mann auch vor der eigenen Mannschaft verbergen. Das bestimmt den weiteren Verlauf der Handlung.
Der Kapitän und Miles Cullen stecken im selben Dilemma. Sie treffen eine Entscheidung, die nicht mehr rückgängig zu machen ist und können nicht zur Polizei gehen, ohne sich selbst zu belasten. Bei Conrad ist der stille Teilhaber der Doppelgänger des Erzählers (und existiert vielleicht nur in seiner Phantasie). Der Kapitän ist ein zivilisierter Mensch, sein Gast lebt atavistische Mordgelüste aus wie Reikle, der erst einen von Miles Cullens Fischen tötet und dann einen Menschenkopf in seinem Aquarium hinterlässt. Das Mordopfer entsorgt Cullen in frisch gegossenem Beton, als wäre er vom Kassierer zum Mafioso geworden.
"Wir sind Partner"
Was in The Secret Sharer das Meer, ist in The Silent Partner die Bank. Die First Bank of Toronto, bei der Miles arbeitet, errichtet ein neues Hauptquartier mit Läden und Büros und mit einem unterirdischen, von meterdickem Stahlbeton umgebenen Tresorraum zum Verwahren der Wertsachen. Im Fundament liegen nun die Überreste eines Menschen. Das könnte die Ausgangsidee für eine Fortsetzung sein, für eine Spukgeschichte über die Verbrechen der Vergangenheit. Eine Meditation über eine Gesellschaft könnte das werden, die ihre Seele gegen ein Bündel Banknoten eingetauscht hat.
The Silent Partner ist ein ziemlich harter Film, obwohl er zunächst gar nicht so wirkt. Ein Film über die Gier und ihre Folgen. Für Miles wird es so etwas wie ein Happy Ending geben, doch er wird sich nie sicher sein können, ob die Frau, mit der er am Ende die zweite Chance sucht, ihn liebt oder doch nur sein Geld. Bevor es so weit ist und Miles eine letzte Falle stellt, um den Hals aus der Schlinge zu ziehen, muss er noch einmal mit seinem stillen Teilhaber sprechen.
"Wir sind Partner" (22 Bilder)
Auf der Baustelle, auf der gerade die Betonwände für den neuen, noch größeren und noch sichereren Tresorraum entstehen, wird er mit der unbequemen Wahrheit konfrontiert, dass der Mord von Harry Reikle auch der seine ist. "Erst der Raub, dann der Mord", sagt Harry. "Wir sind Partner. Das sind wir immer gewesen." Da kann man schwer widersprechen. Miles geht weg, um einen Plan auszuführen, der seine Schuld noch größer macht. The Silent Partner kann man gut zusammen mit Hitchcock-Filmen wie Strangers on a Train und I Confess sehen. Der Schuldaustausch war eines von Hitchcocks liebsten Motiven. The Silent Partner, erzählt Elliott Gould in einem Interview, mochte er sehr.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zwei-Weihnachtsmänner-Theorie von Jude Wanniski funktioniert. Die Aussicht auf steuerfreies Geld steigert die Eigeninitiative und die Risikobereitschaft. Das Resultat ist trotzdem unbefriedigend. Um doch noch an die Beute zu kommen geht der Weihnachtsmann zurück zur Bank. Dann macht er die Erfahrung, dass man am Ende, trotz aller Wagnisse und Mühen, ganz unten landet, im Tiefparterre des Einkaufszentrums, weil nicht alle Rolltreppen nach oben führen.
Vielleicht liegt es daran, dass Santa Claus jetzt als Frau verkleidet ist, weil Sommer ist und nicht mehr Weihnachten. Als Weihnachtsbotschaft lässt sich mitnehmen: Reikle hätte weiter für die Bedürftigen sammeln sollen, die sich das Shoppen im Einkaufszentrum nicht leisten können, damit sie auch etwas haben von diesem Fest der Liebe. Beim Umverteilen wäre Harry das alles nicht passiert. Man sehe selbst. The Silent Partner ist ein richtig guter Film und eine Entdeckung wert.
Die DVD (Region 1 bei Lions Gate und Region 2, als Dein Partner ist der Tod und mit deutscher Synchronfassung, bei PK-Movies) ist vergriffen, gebraucht aber noch erhältlich. Vielleicht wäre irgendwo sogar eine Kopie der ersten, dänischen Verfilmung des Bodelsen-Romans von 1969 zu finden, die scheinbar niemand gesehen hat, auch die Macher von The Silent Partner nicht. Für einen ehrgeizigen DVD-Anbieter wäre das eine schöne Aufgabe.
Demnächst dann also The Changeling: Eine Geistergeschichte, die insofern altmodisch oder meinetwegen auch klassisch ist, als sie sich noch daran erinnert, was Dickens ursprünglich bezweckte, als er seine Gespenstergeschichten für Heiligabend schrieb. Er zog gegen die menschliche Gier zu Felde; ein Verkäufer von Festtagsbraten und Weihnachtsgeschenken war er nicht. Mit dem Gespenst im Spukhaus werden wir auch Jude Wanniski wieder begegnen - dieses Mal aber als Mann, der uns eine Serviette beschert hat, die von steuersenkungsgläubigen Republikanern als Reliquie verehrt wird wie das Schweißtuch Christi von den Katholiken.
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