Ukraine-Krieg: Hat Wagenknecht Vergewaltigungen relativiert?

Seite 2: Seltsame Mediendebatte über Krieg und Gewalt

Seit der jüngsten ARD-Talkshow Hart, aber fair tobt eine massive Debatte im Netz. Im Mittelpunkt steht einmal mehr die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht. Sie soll Vergewaltigungen durch russische Besatzungstruppen in der Ukraine relativiert haben. Doch wo Emotionen hochkochen, bleiben Fakten auf der Strecke. Deshalb noch einmal ein Blick auf die Talkshow und das Thema, dem sich seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine auch Telepolis mehrfach gewidmet hat.

Inmitten der hitzigen Debatte bei "Hart, aber fair" ließ ARD-Moderator Louis Klamroth einen Film einspielen, in dem über Vergewaltigungen durch russische Soldaten berichtet wurde. Wagenknecht daraufhin: "Das ist Teil des Krieges, das ist Teil jedes Krieges." Die UN-Menschenrechtskommissarin habe darauf hingewiesen, fügte die Politikerin an, dass Kriegsverbrechen von beiden Seiten begangen würden, "auch in diesem Krieg".

Klamroth intervenierte: "Frau Wagenknecht, da muss ich Ihnen widersprechen, das kann ich so nicht stehen lassen." In einem Einspieler zeigte er, dass die UN nur Beweise für Vergewaltigungen durch russische Soldaten gefunden habe und dies als militärische Strategie Russlands interpretiere. Wagenknechts Replik: Sie habe von Kriegsverbrechen gesprochen, nicht von Vergewaltigungen.

Die Szene und die anschließende Debatte können als Beleg dafür dienen, wie beide Seiten aneinander vorbeireden. Am Tag danach spielt es schon fast keine Rolle mehr, ob Wagenknecht sexuelle Gewalt relativiert hat oder nicht. Da meldet sich der Ex-Linke Niema Movassat via Twitter zu Wort. Wagenknecht relativiere "systematisch russische Kriegsverbrechen und den russischen Angriffskrieg".

Wau, wau, Niema Movassat Bild: Screenshot/Telepolis

Was beweist: Nicht nur Wagenknecht schafft es mit ihrer Haltung zum Ukraine-Krieg regelmäßig in die Medien, sondern auch ihre Kritiker, und seien sie noch so unbedeutend. Movassat etwa verlor 2021 sein Bundestagsmandat und war auch in der vergangenen Legislaturperiode eher durch bizarre Wortmeldungen aufgefallen, darunter ein Social-Media-Kommentar mit dem Bild seines Hundes auf dem Redemanuskript, das von Wissenschaftlern seines Büros verfasst worden war. Text: "Dori hat mir heute Abend fleißig geholfen, die Reden zu schreiben und hat sie sich aufmerksam durchgelesen."

Auch wenn wir nun nicht wissen, was Movassats Hund Dori von Frau Wagenknecht hält, können wir feststellen: Ein wichtiges Thema gerät unter die Räder eines moralisierenden, polarisierenden und mitunter skurrilen Medienbetriebs. Denn natürlich gibt es im russischen Krieg gegen die Ukraine massenhaft Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt. Darauf weist auch der Faktencheck der Sendung Hart, aber fair zu Recht hin.

Bereits im Juni 2022 hatte Telepolis ein Interview unseres US-amerikanischen Partnerportals Democracy Now! veröffentlicht, in dem die UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten, Pramila Patten, zu Wort kam.

Schon damals, Mitte 2022, forderten die Vereinten Nationen eine unabhängige Untersuchung der Vorwürfe von Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen durch russische Soldaten in der Ukraine seit Beginn der Invasion. Patten damals:

Mit Stand vom 3. Juni sind nur 124 Berichte über sexuelle Gewalt überprüfbar und werden von der Menschenrechtsbeobachtung des Büros des Hochkommissars für Menschenrechte untersucht. Der Überprüfungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Und Sie können sich vorstellen, dass der Verifizierungsvorgang aufgrund von Sicherheits- und Zugangsbeschränkungen einige Zeit in Anspruch nimmt. Aber in 102 Fällen soll es sich bei den Tätern um russische Streitkräfte und in zwei Fällen um mit Russland verbundene Gruppen gehandelt haben.

Gewalt auch im Einflussbereich der ukrainischen Streitkräfte muss thematisiert werden. Das betrifft etwa den Umgang mit russischen Kriegsgefangenen und mutmaßlichen Kollaborateuren, aber auch das Thema der Zwangsrekrutierung an, die zuzunehmen scheinen.

Bei dem Thema der Vergewaltigungen – konkreter: von sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe –, gibt es aber auf Basis der UN-Berichte kaum Zweifel – zumindest, wenn man das Vorgehen der ukrainischen Armee im Donbass außer Acht lässt, was in der Ukraine-Debatte ja in der Regel geschieht.

Zur Lage dort hieß es schon 2016 in einem bei der OSZE eingereichten Bericht über das Vorgehen der ukrainischen Kräfte im prorussischen Gebiet: "Die gefangenen Frauen werden häufig vergewaltigt." Das Papier wurde von einem russischen Thinktank verfasst und von der OSZE publiziert. Diese Darstellung von sexuellen Übergriffen durch ukrainische Soldaten im Osten des Landes, die im Netz aufgrund der Quelle wiederholt in Abrede gestellt worden waren, wurden auch von der UNO bestätigt. Der WDR musste einen Faktencheck zur Sendung Hart, aber fair dahingehend korrigieren.


Redaktioneller Hinweis: Die Information zum OSZE-Bericht am Ende wurde ergänzt und durch Informationen zur Quelle präzisiert.