Warum "für Europa"?

Seite 3: Sezession in Jugoslawien? Ja, bitte! Sezession in Spanien: Nein, auf keinen Fall!

Die Unabhängigkeitserklärungen von Kroatien und Slowenien fasste die jugoslawische Regierung als eine widerrechtliche Sezession auf. Was sie tatsächlich war – und den europäischen Nachbarn geläufig. Jüngstes Beispiel: die Abspaltungspläne in Katalonien, die die spanische Zentralregierung zunichtemachte. Nur mit dem feinen Unterschied, dass die EU weder die katalanische Sezession anerkannte noch mit Gewalt Spanien zu deren Anerkennung zwingen wollte.

Doch genau dies taten die Europäer im Fall Jugoslawien. Ganz vorn Deutschland – anfangs allerdings gebremst von Großbritannien und Frankreich, die als Gegengewicht zum durch die Wiedervereinigung erstarkten Berlin zunächst auf den Erhalt Jugoslawiens setzten. Es folgte ein rund zehn Jahre währender Bürgerkrieg – unter intensiver diplomatischer und am Ende militärischer Beteiligung der europäischen Nato-Mitglieder.

Die führenden Staaten des "Friedensprojekts" Europa mischten im Krieg auf dem Balkan kräftig mit – gegen die Serben und ihr Vorhaben, den Staat zu erhalten, wenigstens als "Groß-Serbien". Allerdings waren die Europäer nicht entscheidend – sondern die USA.

Selbst auf dem eigenen Kontinent konnten sie ihre Ordnungsansprüche nicht durchsetzen, waren auf die überlegene Rüstung der Weltmacht jenseits des Atlantiks angewiesen.

Die Liste der Kriege in der Welt, bei denen EU-Mitglieder maßgeblich beteiligt waren und noch sind, hört beim Fall Jugoslawien nicht auf. Irak, Afghanistan und Syrien sind nur die größten Schlachtfelder, auf denen die friedliebenden Europäer seither mitgemischt haben.

Tatkräftig unterstützt hat die Union auch die Ukraine in den Anstrengungen eines Teils der dortigen politischen Elite, lieber auf die Karte "Westen" zu setzen als auf die bisherige Partnerschaft mit Russland.

In der Frage der Abspaltung östlicher Provinzen steht die EU stramm hinter Kiew – also im Gegensatz zu Jugoslawien ist sie dieses Mal für den Erhalt des Staatsgebiets. Es kommt halt darauf an, welche Sezession in den aktuellen politischen Kram passt. Bei der Situation in der Ukraine ist klar: Es geht gegen die Russen, und das gehört gefördert!

Mitmischen bei Kriegen in aller Welt? Es muss sich aber lohnen!

Generell bemühen sich die EU-Mitgliedsstaaten, im Schlepptau der USA eigene "Akzente" zu setzen. Das kann dann schon mal zur internen Uneinigkeit führen. Beispielsweise nahmen einige europäische Nationen am Irak-Krieg 2003 teil, Deutschland aber nicht.

Berlin wollte durch demonstrative Absenz zeigen, dass man schon einen irgendwie gearteten Nutzen erwartet, wenn man sich den US-Amerikanern bei deren Kriegen unterordnet. Und wenn der sich nicht einstellt, macht man ausnahmsweise mal nicht mit.

Beim Thema "Ukraine" durchkreuzen aktuell die USA den Anspruch der EU, auf ihrem Kontinent die Ordnungsmacht zu sein. US-Präsident Biden spricht über die Europäer hinweg mit seinem russischen Kollegen! Wieder einmal für die so friedliebende EU die schmerzliche Klarstellung, dass man keine ernstzunehmende Gewalt darstellt, wenn es um die Weltmacht geht.

In Zukunft, so der zu Beginn zitierte Leitartikel der Süddeutschen Zeitung, soll das nun anders werden. Dann ist die EU selbstständig, entscheidet eigenmächtig ohne Blick auf die Weltmacht Nr. 1, wo sie ihre Soldaten hinschickt.

Das setzt logischerweise weit mächtigere Streitkräfte voraus, als die EU-Staaten bisher besitzen. Aufrüstung ist also angesagt. Auftakt für neue Rüstungsprojekte wie auch für einen lebendigen Streit über die Verteilung der damit verbundenen finanziellen Lasten.

Gerade Frankreich prescht hier voran, will gern die militärische Führung in Europa übernehmen – wenn es schon die ökonomische und politische den Deutschen überlassen muss.

Wie all das einen mehr "für Europa" einnehmen soll? Das leuchtet nur Leuten wie dem SZ-Journalisten ein, die die EU als Hort des Guten in der Welt sehen. Und die das Gute in der Welt, leider, öfter mal mit Gewalt durchsetzen muss – gegen die Schlechten, das sind dann die mit der großen Rüstung wie Russland und die mit der großen Ökonomie, das sind die Chinesen. Neuerdings können auch die mit beidem Überragenden, Rüstung und Ökonomie, dazu gehören: die USA. Wie ein Friedensprojekt sieht das nicht aus, eher im Gegenteil.