Was ist und soll eigentlich (unsere) Demokratie?

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Journalismus und gesellschaftliche Verständigung. Hürden der Aufklärung, (Teil 1).

Nachrichten bestimmen unser Leben. Und zwar nicht Nachrichten aus der nächsten Umgebung, sondern medial vermittelte. Selbst wer ohne Tageszeitung und Tagesschau-Ritual lebt, wird mit politischen Meldungen konfrontiert. 24/7 wird gesendet.

Man sollte eine aufgeklärte Gesellschaft erwarten: Gut informiert und über die Jahrzehnte im gepflegten Diskurs geübt. Tatsächlich aber sieht es anders aus: Wir scheitern regelmäßig schon an der Wahrnehmung von Tatsachen und tun uns schwer, in ihrer Bewertung die Meinung eines anderen für treffender zu halten als die eigene.

Gerade wird verstärkt nach einer Aufarbeitung der Corona-Politik und der gesellschaftlichen Corona-Debatten verlangt. Auch bei den Großthemen Klimawandel und Ukraine-Krieg gibt es große Probleme in der Verständigung.

Schlaglichtartig soll im Folgenden auf Probleme geleuchtet werden, die der Aufklärung im Wege stehen. Dabei geht es u.a. um Fehlinterpretationen von Statistiken, die Bewertung von Sprechern statt Argumenten und das Messen mit willkürlichen Maßen.

Aufklärung als demokratische Pflicht

Die permanente Aufklärung der Gesellschaft wird gerne zur Bedingung einer Demokratie erhoben: Nur gut informierte Bürger können sich Meinungen bilden und dann entsprechend entscheiden. Somit wird der Fokus auf "die Medien" gerichtet, also den (mehr oder weniger politischen) Journalismus, der Tatsachen und Bewertungen dazu anbietet.

So betont das Bundesverfassungsgericht immer wieder die Bedeutung der freien Presse und der sich unter anderem darauf stützenden freien Meinungsäußerung. Dass es ums tatsächliche Angebot nicht immer zum Besten steht, deutet eine vielfältige Medienkritik an (und die Kritik an dieser).

Weniger im Fokus steht, was fürs Gelingen zum Angebot noch dazukommen muss: Willen und Vermögen zur Verarbeitung angebotener Informationen. Während das Vermögen wenigstens im Kindes- und Jugendalter teilweise professionell gefördert wird, bleibt der Wille in einer freien Gesellschaft Privatsache, was sehr banal klingt, in seiner Bedeutung aber nicht unterschätzt werden sollte.

Denn: Wenn Aufklärung im weitesten Sinne für eine gesellschaftliche Verständigung notwendig sein sollte, wenn es nicht nur das Angebot von Fakten und Meinungen braucht, sondern auch die Bereitschaft aller, sich mit wesentlichem davon zu beschäftigen, dann ist Informationsverweigerung zumindest immer dann ein Problem, wenn mit ihr nicht der Verzicht auf Diskursteilnahme oder gar Entscheidungen zu Lasten Dritter einhergeht.

Ungeklärte Basics

Dafür, dass wir als Informations- und Wissensgesellschaft bezeichnet werden und Kommunikation unser aller Tagesgeschäft ist, sollte es erstaunen, festzustellen, dass selbst über Grundlegendes keine allgemeine Verständigung besteht.

Und zwar nicht in dem Sinne, dass irgendwelche als Wirrköpfe Bezeichneten ohne inhaltliche Argumentation etablierte Gedankengebäude infrage stellten, sondern offenbart in permanentem Streit auf allen fachlichen und sozialen Ebenen. Der für die nachfolgende Problembenennung relevanteste: Was ist und soll eigentlich (unsere) Demokratie?

Handelt es sich um eine biologisch evolvierte Reproduktionsstrategie (die möglicherweise kurz vor ihrem Ende steht) oder ist es ein wie frei auch immer entschiedenes Bestreben nach Machtbegrenzung und mithin vermutlich ein intellektueller Kampf gegen Teile der biologischen Konstitution? Geht es darum, beste Entscheidungen für alle zu treffen oder darum, die Freiheit des einzelnen zu sichern?

Dass dies alles ungeklärt ist, zeigt ein beliebiger Blick in die Fachliteratur, ein Blick auf die verschiedenen Verfasstheiten von sich demokratisch nennenden Ländern, ein Blick in die kurze Geschichte der sesshaften Menschheit.

Was Gesellschaften miteinander zu verhandeln haben ist grundlegend abhängig von ihrem Grundziel, ihrem Glaubensbekenntnis. Wenn es um (maximale) persönliche Freiheit geht, erübrigt sich jede Debatte um Reglementierungen für ein "gutes Leben".

Es gibt dann unverhandelbare Grenzen, die nur mit Erlaubnis des Betroffenen überschritten werden dürfen, und wo Betroffene nicht verhandeln können gibt es eben keine Erlaubnis (siehe Erläuterungen zu den Grundfragen: Wer will was von wem wozu warum?). Geht es aber um – wie und von wem auch immer beurteilte – "beste Entscheidungen", spielen individuelle Lebensgestaltungswünsche allenfalls noch eine marginale Rolle.

Soll uns "Nachhaltigkeit" mehr sein als ein Schlagwort? Offensichtlich hat der Mensch in Summe bisher nicht so gelebt, dass Nachfolgenden nicht weniger Möglichkeiten zur Verfügung stehen.

Aber um eine Entscheidung zwischen großer Abrissparty ("nach uns die Sintflut") und Reduktion des Lebensstils auf ein "nachhaltiges" Maß ("Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geliehen") haben sich amtierende Herrscher wie der größte Teil der Beherrschten bisher gedrückt. Dabei hängt quasi jede derzeit neu verhandelte Regelung von dieser Grundperspektive ab.

Wir bringen gerade drei Jahre intensivster Pandemiediskussion hinter uns. Doch was ist eigentlich das Ziel einer Seuchenbekämpfung? Man muss sich nur das in Deutschland (und der gesamten EU) praktizierte Vorgehen gegen Tierseuchen (in wirtschaftlich relevanten Bereichen) anschauen und mit der Corona-Diskussion vergleichen, um zu verstehen, wie sehr alle Politik vom Blickwinkel abhängt.

Tierseuchenbekämpfungspolitik jedenfalls folgt dem totalitären Ansatz: Es gibt kein Individuum, das etwas zählen könnte, es gibt nur den Gesamtkörper, und über diesen bestimmen einige wenige Herrscher. Bei der Corona-Bekämpfung hingegen haben wir ein buntes Durcheinander zwischen Totalitarismus und Freiheitsbekundungen erlebt. Aber ist inzwischen mehr Grundsätzliches geklärt? Ganz offensichtlich nicht.

Der russische Angriff auf die Ukraine hat dies deutlich zutage gefördert. Nicht nur Millionen persönliche "Haltungen" drehten sich mit einem Tag um 180 Grad, sondern auch was als gesellschaftlich sicher galt wurde infrage gestellt.

Nichts unterstreicht dies wohl mehr als Bundeskanzler Scholz' Rede von der "Zeitenwende", die uns das "Wort des Jahres 2022" beschert hat. Darf es jetzt noch Pazifismus geben? Waren alle deutschen Kriegsdienstverweigerer tatsächlich Drückeberger (und sollten nachträglich zum Dienst für das Vaterland herangezogen werden, die Bundesregierung mit Ausnahme von Lindner inklusive)?

Oder: Was ist mit dem Föderalismus? Dass er im Grundgesetz steht, ist keine Antwort. Braucht es ihn oder ist er ein Hindernis? Wäre der deutsche Föderalismus intellektuell akzeptiert, spräche niemand mehr von "Flickenteppich", wenn verschiedene Bundesländer eine gleiche Angelegenheit verschieden regeln.

Oder: Welche Eigenverantwortung trägt der einzelne und welche Verantwortung (genauer: Pflichten) kann/ darf/ muss "die Gesellschaft" übernehmen (und wer ist das)? Das betrifft nicht nur das in drei Jahren Corona-Politik reichlich diskutierte Gesundheitssystem und die sie finanzierenden Versicherungspflichten (siehe als Beispiel: Eigenbeiträge bei Corona-Infektionen).

Weil das nicht geklärt, ja nicht einmal an relevanter Stelle diskutiert wird, haben wir parallel Politikerdebatten um die Legalisierung des Canabis-Konsums und des Verbots von E-Zigaretten. Eigenverantwortung oder paternalistischer Staat?

Entscheidung darüber per Mehrheit, Gültigkeit nur bei Zustimmung, im Konsent-Verfahren? Wie und von wem sollen einzelne Sachentscheidungen getroffen werden, wenn Grundlegendes für die Organisation unserer Gemeinwesens wie die Entfaltungsmöglichkeiten des einzelnen ungeklärt sind?