Alle gegen Brockhaus
Seite 5: Wiki-News und Wiki-Sex
Auch in anderen Bereichen ist Wikipedia klassischen Werken um einiges voraus. Encarta kann bestenfalls über das Internet nachträglich aktualisiert werden, gedruckte Werke haben noch größere Aktualitätsprobleme. Wikipedia ist dagegen oft minutenaktuell, Wikipedianer werden oft durch Meldungen auf News-Websites und Weblogs zu Artikeln inspiriert. Es gibt in Form der Current Events sogar eine Art Wiki-Tageszeitung, die täglich relevante News zusammenfasst und auf Hintergrundartikel verweist. Die Selektion ist teilweise recht willkürlich, was an der noch relativ geringen Zahl der hier beteiligten Redakteure liegt.
Nach Monatsende werden die jeweiligen News archiviert und bleiben so im Gegensatz zu den meisten Online-News-Angeboten für historische Zwecke erhalten. Die meist als Quellen genannten URLs werden jedoch nach gewisser Zeit ablaufen, was langfristig zu Belegzwecken eine zusätzliche Quellenrecherche erforderlich macht.
Auch an Artikeln über Sex-Praktiken fehlt es bei Wikipedia nicht. Sex-Stellungen und sexuelle Fetische werden im Detail behandelt. Über Themen wie Sado-Masochismus findet man um Größenordnungen mehr Material als in jeder klassischen Enzyklopädie. Bizarre Neigungen wie Zoophilie werden ebenso diskutiert wie größere gesellschaftliche Probleme - Schwangerschaften, sexueller Missbrauch und die beides umgebende Hysterie. Selbst über "Nackte Promis im Internet" gibt es einen eigenen sachlichen Artikel, der vor allem durch entsprechende Suchmaschinen-Anfragen inspiriert wurde und täglich einige Sucher zu Wikipedia leitet, die wahrscheinlich nicht zu dauerhaften Wikipedia-Autoren werden.
Was fehlt
In der englischen Wikipedia sind die meisten Themenbereiche zumindest mit Basisinformationen gefüllt. In der deutschen klaffen dagegen noch riesige Lücken, wie man schnell feststellt, wenn man Kategorien wie z.B. Bildende Kunst durchblättert. Eine Spezialfunktion der Software zeigt an, welche Artikel von vielen anderen verlinkt werden, aber noch nicht existieren. Auf der deutschen Wikipedia sind dies derzeit so elementare Dinge wie Magen, Kreislauf, Emanzipation, Mystik, Realismus, Supermarkt, Befruchtung, Kalk, Sinai, Hermes, Zeremonie, Rationalismus.. Von einer vollständigen Enzyklopädie kann hier also noch nicht annähernd die Rede sein - bisher sind es ja auch nur rund 15000 Artikel.
Ganz anders auf der englischen Wikipedia - die "most wanted" sind hier meist Detailartikel wie "Grammy Awards des Jahres 1988", die von vielen Seiten referenziert werden (in diesem Fall als Teil einer Navigationshierarchie). Andere fehlende Artikel wie "James A. Michener" oder "University of Leipzig" sind zwar leicht irritierend, aber ähnlich verzeihlich wie manche Encarta-Lücken.
Der Artikelstatistik nach befindet sich die deutsche Wikipedia im Mai 2003 dort, wo die englische schon im Oktober 2001 war. Realistische Prognosen sind angesichts der technischen Situation von Wikipedia schwer möglich - die Software und der Server werden mit dem Benutzeransturm kaum noch fertig, und es ist unklar, wie lange diese Probleme noch andauern.