Amok: Der ausschlaggebende Auslöser Antidepressiva?
Seite 3: Der "Batman shooter" James Holmes
- Amok: Der ausschlaggebende Auslöser Antidepressiva?
- "Zusammenhänge nicht nur bei Affekthandlungen, sondern auch bei geplanten Akten"
- Der "Batman shooter" James Holmes
- "Es muss einen auslösenden 'Umweltfaktor' geben für die 'modernen' Amokläufe"
- Gegenläufige Expertenmeinungen
- Warum machen Medien Psychopharmaka nicht zum Thema?
- "Gefühle von Wohlbefinden und Glück" - erfolgreiche SSRI-Antidepressiva?
- Mentale Störungen als ursächlicher Faktor
- Pharmaindustrie und Produktabsicherung
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Gilt das auch für den Amokläufer James Holmes, der am 7. August zu lebenslanger Haft verurteilt wurde ohne Aussicht auf Bewährung?
David Healy: Kürzlich, Mitte Juli, befanden Geschworene in den USA "Batman shooter" James Holmes des Mordes ersten Grades für schuldig. Und einschlägige Quellen belegen, dass Holmes seinen Amoklauf systematisch geplant hatte, und zwar Monate im Voraus. Holmes erlangte unrühmliche Berühmtheit als "Batman Shooter", da er am 20. Juli 2012 in Aurora in Colorado bei einer Kinopremiere des Batman-Films "The Dark Night Rises" 12 Menschen getötet und 70 verletzt hatte.
Doch das Bild, was von Holmes in der Öffentlichkeit gezeichnet wird, ist nicht korrekt. Denn Holmes hatte keinen Plan, irgendjemanden zu töten, bis ihm sein Arzt am 21. März 2012 das SSRI-Antidepressivum Zoloft verschrieb. Dies geschah vier Monate vor seiner Wahnsinnstat. Und in dieser Zeit wurde die tägliche Dosis Zoloft stufenweise von 50 mg auf 100mg und schließlich auf 150mg am Tag erhöht. Und Holmes ging es nicht nur jedesmal schlechter, wenn er die Dosis verändert hat. Auch scheint es, dass bei ihm seine Pläne, anderen Menschen Gewalt antun zu wollen, genau dann begannen sich herauszukristallisieren, als die Zoloft-Dosis erhöht wurde.
Wie ist James Holmes mit der Situation umgegangen?
David Healy: Während er Medikamente wie das SSRI-Antidepressivum Zoloft genommen hat, hat er soweit er konnte versucht, andere auf seine speziellen Pläne, Menschen Schaden zuzufügen, aufmerksam zu machen - doch niemand hat die Veränderungen in ihm registriert. Holmes bezeichnet sich selbst als jemand, der eine manische Dysphorie4 entwickelt hat - was eine gute Beschreibung einer durch Zoloft ausgelösten Akathasie, auch Sitzunruhe genannt, ist.
Auch berichtet Holmes von einer eindeutigen emotionalen Abstumpfung, die er bei sich wahrgenommen hat und die andauerte, nachdem er die Medikamenteneinnahme gestoppt hatte. Bei dieser Art von Absetzungserscheinung handelt es sich um ein gut dokumentiertes Phänomen.
Wann hat er aufgehört, Zoloft zu nehmen?
David Healy: Irgendwann um den 30. Juni 2012 herum, also rund drei Wochen, bevor er seinen Amoklauf vollzog. Wohlgemerkt stoppte er die Zoloft-Einnahme abrupt, und zwar von einer ziemlich hohen Dosis aus: 150 mg am Tag. Dabei war ihm auch nicht bewusst, dass Zoloft abhängig machen oder nach einer abrupten Absetzung Entzugserscheinungen hervorrufen kann. Durch das Absetzen von Zoloft wurde er verwirrt - und er war sowohl stärker als auch weniger stark depressiv. Auch wurde er emotional labil - er selbst redete in diesem Zusammenhang von einer dysphorischen Manie.
Und das verringerte Angstgefühl, das er verspürte, als er Zoloft nahm, bestand weiterhin, als er das Präparat absetzte. Viele Patienten erleben selbst viele Monate, nachdem sie ein SSRI-Antidepressivum abgesetzt haben, eine fortgesetzte emotionale Abstumpfung oder auch Depersonalisierung, also den Verlust oder die Abtrennung von den eigenen Gedanken und Gefühlen.
In einem Artikel der Nachrichtenagentur Associated Press vom 8. August heißt es allerdings, Holmes hätte einem Psychiater "erzählt, dass er schon seit seinem zehnten Lebensjahr heimlich von Mordgedanken besessen gewesen war". Das erweckt den Eindruck, dass in ihm das Potenzial einer Killermaschine schon in jungen Jahren angelegt war.
David Healy: Es ist nicht korrekt, dass Holmes bereits mit 10 Jahren von Mordgedanken "besessen" war. Bis kurz vor März 2012, als er in eine Klinik ging - was vier Monate vor seinem Amoklauf in Aurora im US-Bundesstaat Colorado stattfand -, wurde er von keinem Nervenleiden geplagt. Zu diesem Zeitpunkt war er 24. Erst als er im März 2012 Zoloft nahm, entwickelte er neue Gedanken mit dem Fokus darauf, die Möglichkeit spezieller mörderischer Taten durchzuspielen.
Diese Gedanken waren nicht dieselben wie die vagen Ideen davon, andere zu töten, die er zuvor hatte, wie ich auch in meinem am 15. August dieses Jahres veröffentlichten Kommentar zum Holmes-Fall darlege: "Der Mann, der denkt, er ist ein Monster: Sertralin [= Zoloft] und Gewalt."
Vor diesem Hintergrund könnte man sich fragen, wieso das Verteidigerteam von James Holmes nicht das SSRI-Antidepressivum Zoloft als möglichen Auslöser seines Amoklaufs vor Gericht ins Spiel gebracht hat, zumal es ja schon Gerichtsurteile gibt, bei denen Psychopharmaka wie Antidepressiva sozusagen "schuldig" gesprochen wurden für einen Suizid oder Mord (vgl. hier oder hier oder hier). Brian N. Connors, oberster stellvertretener staatlicher Pflichtverteidiger des Büros der staatlichen Pflichtverteidiger in Denver im US-Bundesstaat Colorado, ließ dazu auf Nachfrage5 verlauten: "Weder Herr Holmes noch einer seiner Verteidiger wird mit Journalisten über den Fall reden." Was könnte aus Ihrer Sicht der Grund dafür sein, dass Holmes‘ Anwälte die "Zoloft-Karte" nicht ausgespielt haben?
David Healy: Das Gesetz ist, was medikamentenbezogene Sachverhalte angeht, nicht eindeutig - und Rechtsanwälte sind, was diesen Punkt angeht, sogar noch verunsicherter. Für sie ist es schwierig, zwischen einer psychischen Erkrankung und medikamentenbedingten Zuständen zu unterscheiden - und sie wissen auch nicht, wie sie diese Dinge den Geschworenen erklären könnten.
Das Verteidigerteam von Holmes fokussierte sich darauf darzulegen, dass James Holmes seinen Amoklauf deswegen begangen hat, weil er eine psychisch kranke Person war, die einen psychotischen Zusammenbruch erlitten hatte. Dadurch entkam Holmes letztlich der Todesstrafe und wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Denken Sie, Holmes Anwälte hätten mehr für ihn erreichen können, wenn sie das SSRI-Antidepressium Zoloft als entscheidenden oder bedeutenden auslösenden Faktor für die Wahnsinnstat ins Spiel gebracht hätten?
David Healy: James Holmes hatte eine gute Verteidigung, was die Medizinaspekte angeht, doch weder das Gesetz noch das Rechtssystem bieten eine adäquate Grundlage für derlei Sachverhalte.
In dem erwähnten Associated-Press-Artikel heißt es auch: "Wie schon in vorherigen gerichtlichen Sitzungen zeigte Holmes, der unter dem Einfluss antipsychotischer Medikamente stand, die seine Antworten betäuben, keine Reaktion [,als das Urteil verkündet wurde]." Doch wie kann es sein, dass Holmes mit Antipsychotika behandelt wurde, die sogar eine gehirnschädigende Wirkung haben und die "seine Antworten betäuben", wo man doch annehmen sollte, dass eine angeklagte Person nicht noch zusätzlich durch die Medikation "benebelt" werden sollte, um bestmöglich in der Lage zu sein dazu beizutragen, die Gründe für den Hergang eines Amoklaufs zu erhellen?
David Healy: Das Problem ist hier, dass es der behandelnde Arzt ist, der darüber entscheidet, welche Medikamente gegeben werden - die Anwälte haben hier nur geringes Mitspracherecht. Ich sah keinen klinischen Grund, bei Holmes die Behandlung mit diesen Medikamenten fortzusetzen.