Aufrufe zum Aufstand wegen "Souveränitätsverlust" durch Finanzpolitik

Seite 5: Souveränitätsverlust und Dekadenz

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Hinter den zitierten Gedanken steht die Einsicht, dass unter "Souveränität" das Recht eines Volkes zu verstehen ist, über grundlegende Fragen seiner Identität konstitutiv zu entscheiden. Darin liegt für Kerber jedoch nicht die Renaissance von überkommenem Nationalstaatsdenken, sondern die Definition von Souveränität als Abwehrrecht eines Volkes gegen die Fremdbestimmung durch supranationale Organisationen.

Nach seiner Interpretation der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung wollte die bisherige Judikatur das "Selbstermächtigungsregime in Brüssel" einhegen und habe daher Rekurs auf das "Souveränitätsabwehrrecht" genommen, um die Grenzen der Integration und ihrer demokratischen Legitimation zu ziehen, ein Recht, das die vereinigten politischen Klassen Frankreichs und Deutschlands gar nicht mehr zu kennen scheinen. Stattdessen nehme das "Tandem Lagarde/Schäuble" faktisch für sich in Anspruch, der EWU ein neues Design zu geben, noch bevor sich die Bürger zu diesem institutionellen Quantensprung äußern könnten.

Den Abgeordneten der nationalen Parlamente spricht Kerber das Recht ab, dem neuen Design der EWU zuzustimmen. Sie betrieben dennoch mit "europäischer Inbrunst" die Veruntreuung (!) von Steuergeldern bzw. die mittelfristige Degradierung der Bonität Deutschlands und Frankreichs.

In Deutschland habe das demokratische politische System so seine Legitimationsbasis inzwischen verloren. Bei den Bürgern erkennt Kerber ein Ohnmachtsgefühl gegenüber einem politischen System, dessen "Irrlauf" nur noch durch eine Katastrophe aufzuhalten sei. Nach seinem Eindruck sind weder die "ordnungspolitisch kompasslose" Bundeskanzlerin noch der auf "Einkesselung Deutschlands zielende Monsieur Hollande" bereit, ihre Irrtümer seit der fahrlässigen, stets wiederholten Garantieerklärung für Griechenland einzugestehen.

Für Kerber sind die Genannten zusammen mit dem "Gewaltenkonglomerat in Brüssel" Gefangene ihrer tragischen Irrtümer bei der Beurteilung der gegenwärtigen Schuldenkrise. Letztlich würden die Bürger Deutschlands, Frankreichs, Finnlands, Österreichs, der Niederlande und Luxemburgs alleine übrig bleiben, um den Schuldenberg der Finanznotstaaten abzutragen.

Die Einrichtung eines "Euro-Erblastenfonds" gilt diesem Finanzwissenschaftler als unvermeidlich. Die EZB selbst hält er für die schlimmste institutionelle Erblast. Zu seinen Schlussfolgerungen gehört, dass sich der demokratische Staat so -über den Umweg Europa- zum Reparaturbetrieb des Finanzkapitalismus macht, statt darüber nachzudenken, ob man für die Realwirtschaft Wertpapieremissions- und Handelshäuser, wie sie sich zu Investmentbanken entwickelt haben, überhaupt noch benötigt.

Die gigantischen Boni für Investmentbanker sind für Kerber ein "krasser Fall sozialer Sünde". Gleichwohl haben die Regierungen der Euro-Zone sie nicht als solche angeprangert. Vielmehr vermieden sie die notwendige Marktbereinigung im Finanzsektor und hätten die EZB erfolgreich genötigt, durch Aufkäufe von Staatsanleihen bzw. ihre Refinanzierung Konkursverschleppung zu betreiben.

Dennoch scheint der Weg zurück zur DM versperrt zu sein. Als Alternative kommt nach der Überzeugung des streitbaren Kritikers in Betracht, dass die Niederlande, Österreich, Finnland, Luxemburg, Deutschland die Euro-Zone verlassen. Diese Kernländer seien nach Wettbewerbsfähigkeit, Leistungsbilanz und Haushaltspolitik vergleichbar und sogar nachhaltig homogen. Es zeuge von Realitätssinn, wenn dabei entgegen der politischen Korrektheit Frankreich, der "Trittbrettfahrer der EWU und Heckenschütze gegen die Marktwirtschaft", aus dieser neuen "Nord-Währungsunion" ausgeschlossen bliebe.

Setzt aber die Mehrheit der politischen Mandatsträger - wie etwa bei der dritten Griechenland-Rettung - entgegen allen bisherigen Erfahrungen wider die ökonomische Vernunft das Abenteuerprojekt fort, dann hätten die Bürger das Recht, ihr Anliegen nicht nur dem Bundesverfassungsgericht vorzutragen, sondern diesen "einmaligen Fall von Veruntreuung von Steuergeldern und Unwahrhaftigkeiten" anzuprangern und nach neuen Wegen zu suchen, ihre Empörung politisch wirkmächtig werden zu lassen.

Kerber sieht sich immerhin vor die Frage gestellt, ob mittlerweile die Republik auf der Kippe steht und Gefahr läuft, unter EU-Verwaltung zu geraten. Er hält auch die "Absegnung" des OMT-Programms durch den EuGH für einen "Etikettenschwindel" und kündigt an, dass sich angesichts der marktfremden ökonomischen Erwägungen dieses Gerichts die Diskussion über die Grenzen des Mandats der EZB verschärfen wird. Die EZB sei zur "Finanzdiktatur" eingeladen worden.

Schreitet man auf diesem Wege fort, beginne irgendwann die "EZB-Diktatur". Die Bank werde so zum ersten Bestandteil einer großen staatlichen europäischen Metastruktur, die sich über Bürger und Völker erhebe und ihr eigenes Reich baue. Mit Blick auf die Deutsche Bundesbank, wird empfohlen, den bisherigen fachlichen Dialog durch eine machtpolitische Betrachtungsweise zu ersetzen. Andernfalls werde der Weg zum "totalen Sieg" für Draghi geebnet, weil dem Bundesbankpräsidenten und seinen Beamten im entscheidenden Moment der "Wille zur Macht" fehlen könnte.

Der angebliche Niedergang des im Wirken von Bundesbank und Bundesverfassungsgericht manifesten Konzepts der politischen Neutralität signalisiert nach dem Empfinden von Kerber die "Dekadenz des deutschen Verfassungsstaats schlechthin", auch wenn dessen "Kapitulation vor den Brüsseler Zwingherrn und ihrem privilegierten Kollaborateur Schäuble" im Ausland als "Aufgehen Deutschlands in Europa" gedeutet werden mag. Aus seiner Sicht handelt es sich -25 Jahre nach Wiedererlangung nationaler Souveränität- hingegen um die Aufgabe des fiskalischen Selbstbestimmungsrechts der Deutschen.

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