Aufrufe zum Aufstand wegen "Souveränitätsverlust" durch Finanzpolitik

Seite 7: Souveränität und Ausnahmezustand

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"Ausnahmezustand" ist als Begriff nicht konfus wie in der unsauberen Terminologie populärer Literatur. Es handelt sich um einen Begriff der "äußersten Sphäre". Deshalb kann seine Definition nicht an den Normalfall anknüpfen, sondern an einen Grenzfall.

In diesem Zusammenhang ist unter "Ausnahmezustand" ein allgemeiner Begriff der Staatslehre zu verstehen, nicht irgendeine Notverordnung oder jeder Belagerungszustand. Der Ausnahmezustand ist im eminenten Sinne aus einem systematischen, rechtslogischen Grund für die juristische Definition der Souveränität geeignet:

Die Entscheidung über die Ausnahme ist nämlich im eminenten Sinne Entscheidung.

Eine generelle Norm, wie sie der normal geltende Rechtssatz darstellt, kann eine absolute Ausnahme niemals erfassen. Sie kann daher auch die Entscheidung, dass ein echter Ausnahmefall gegeben ist, nicht restlos begründen. Das abstrakte Schema, das als Definition der Souveränität aufgestellt wird (Souveränität ist höchste, nicht abgeleitete Herrschermacht) kann man gelten lassen oder nicht, ohne dass darin großer praktischer oder theoretischer Unterschied läge.

In der Geschichte der Souveränität wird am wenigsten im allgemeinen um einen Begriff an sich gestritten. Man streitet um die konkrete Anwendung: Wer entscheidet, worin das öffentliche oder staatliche Interesse, die öffentliche Sicherheit und Ordnung, usw. besteht.

Der Ausnahmefall, der in der geltenden Rechtsordnung nicht umschriebene Fall, kann höchstens als Fall äußerster Not, Gefährdung der Existenz oder dergleichen bezeichnet, nicht aber tatbestandsmäßig umschrieben werden. Erst dieser Fall macht die Frage nach dem Subjekt, das heißt die Frage nach der Souveränität überhaupt, aktuell. Es kann weder mit subsumierbarer Klarheit angegeben werden, wann ein Notfall vorliegt, noch kann inhaltlich aufgezählt werden, was in einem solchen Fall geschehen darf, wenn es sich wirklich um den extremen Notfall und um seine Beseitigung handelt. Voraussetzung wie Inhalt der Kompetenz sind hier notwendig unbegrenzt.

Im rechtsstaatlichen Sinne liegt daher überhaupt keine Kompetenz vor. Die Verfassung kann höchstens angeben, wer in solch einem Fall handeln darf. Ist dieses Handeln keiner Kontrolle unterworfen, wird es nicht, wie in der Praxis der rechtsstaatlichen Verfassung, in irgendeiner Weise auf verschiedene, sich gegenseitig hemmende und balancierende Instanzen verteilt, so ist ohne weiteres klar, wer der Souverän ist. Er entscheidet sowohl darüber, ob der extreme Notstand vorliegt, als auch darüber, was geschehen soll, um ihn zu beseitigen. Damit steht er außerhalb der normal geltenden Rechtsordnung und gehört doch zu ihr, denn er ist zuständig für die Entscheidung, ob die Verfassung in toto suspendiert werden kann.

Carl Schmitt war zu der Einsicht gelangt, dass alle Tendenzen der modernen rechtsstaatlichen Entwicklung dahin gingen, den Souverän in diesem Sinne zu beseitigen:

Aber ob der extreme Ausnahmefall wirklich aus der Welt geschafft werden kann oder nicht, das ist keine juristische Frage.

So überwiegend wörtlich: Carl Schmitt, Politische Theologie, 3. Aufl. Berlin 1979 (Unveränderter Nachdruck der 1934 erschienenen zweiten Auflage), S. 11, 12, 13.

Die Debatte über den Souveränitätsbegriff ist hier leider nicht fortzusetzen. Es bleibt nur daran zu erinnern, dass es für die empfohlene Selbstrettung der Souveränität qua Ausübung des Widerstandsrechts nach Art. 20 Absatz 4 GG trotz der fulminanten Vorstellungen von Bundesregierungen, Gerichten, der EU und der EZB vielleicht doch noch etwas zu früh ist.

Natürlich ist Professor Kerber in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht gehindert, in und vor Hörsälen, in Gerichtssälen und in TV-Studios für die Entzündung der Fackel des Widerstands gegen den "Moloch EU" und die Regierungen ihrer Mitgliedstaaten zu werben. Losgelöst von der Frage, ob die Ausübung des verfassungsrechtlichen Widerstandsrechts eine demokratische "ultima ratio" ist, sollte er aber noch ein einmal (oder erstmals?) darüber nachdenken, welche Konsequenzen aus der Tatsache zu ziehen sind, dass an den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2014 im Hinblick auf die Beteiligung der souveränen Bürger eine historische Tiefstmarke von knapp 43 Prozent zu verzeichnen war. Da ist offenbar noch etwas "Luft nach oben" im europäischen Haus der Demokratie.

Entscheidungen im skizzierten Sinn könnten auch im Normalmodus demokratischer Wahlen getroffen werden. Ein Souverän, der auf die Manifestation seiner Souveränität in einem derartigen Umfang verzichtet, mag zwar von Widerstandsgeist, wenn auch in einer reichlich passiven Variante, beseelt sein. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob ein gleitender Übergang von der Wahlenthaltung zum Widerstand ihn besonders glaubhaft macht.

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