Aufrufe zum Aufstand wegen "Souveränitätsverlust" durch Finanzpolitik

Seite 6: Widerstand und Aufstand

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An die zitierten Überlegungen knüpfen sich höchst brisante Fragen. Zum einen will Kerber wissen, warum die gewählten Repräsentanten des deutschen Volkes dieser "Kapitulation ohne Krieg" mit Zwei-Drittel-Mehrheit ihre Zustimmung gaben. Zum anderen (und noch viel wichtiger):

Können die Bürger als Träger der Souveränität diesem Prozess Einhalt gebieten, ggf. mit welchen Mitteln?

Die Gedanken gelangen in mehrfacher Hinsicht zu einem Gipfelpunkt. Unter Bezugnahme auf den Staatsrechtslehrer Carl Schmitt wird daran erinnert, dass den Bürgern als "pouvoir constituant" das Widerstandsrecht gemäß Artikel 20 Absatz 4 GG bleibt, also die Befugnis angesichts des Versagens ihres Staates, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und zur Verteidigung des deutschen Staates sowie des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen Widerstand zu leisten.

Kerber hält die Zitierung des umstrittenen Rechtsgelehrten insofern für legitim, als das Bundesverfassungsgericht am 12. September 2012 demonstriert habe, dass Recht schließlich doch in der Macht seine Wurzeln hat, eine Einsicht, die übrigens nicht ganz neu und überraschend ist, wie auch Blaise Pascal deutlich gemacht hatte, als er schon vor geraumer Zeit darauf hinwies, dass man auf die Macht verfallen ist, weil man das Gerechte nicht finden konnte. Auch heute gilt das Recht manchen zwar als wichtiges "Überbauphänomen". Meist sei es aber die Basis, die entscheidet: Die Machtverhältnisse.13

Kerber fordert, dass solche Einsichten zu einem "Weckruf" für die Organisation von Bürgermacht werden mögen, die zur Offensive übergeht, um staatliche Ämter von ihren Usurpatoren zu befreien. Mit dem Ruf "Wir sind das Volk" könne der Weg vorwärts zum Selbstbestimmungsrecht der Völker beginnen. Sollte dieses Abwehrrecht gegen Fremdherrschaft nur deshalb nicht funktionieren, weil weder Parlament noch Regierung ihre Pflicht und Schuldigkeit tun, sei das verfassungsrechtliche Widerstandsrecht alternativlos. Das Grundgesetz berechtige zum Widerstand gegen jeden - also auch und gerade die Staatsgewalt - der es unternimmt, die verfassungsgemäße Ordnung zu beseitigen. Genau davon geht Kerber aus:

Der Finanzbeistand für Griechenland, der "ertüchtigte" Rettungsfonds und die EZB-Politik beseitigen die finanzielle Substanz der verfassungsmäßigen Ordnung.

Kerber

Aber nicht nur die angebliche Veruntreuung von Bürgerinteressen durch die Europapolitik der Bundesregierung gilt ihm als ein "Symptom für die Pathologie der deutschen Republik". In seinen Augen ist Deutschland nicht nur ein Land ohne Regierung, sondern ein Land ohne parlamentarische Opposition. Die Bürger hätten den feierlichen Zusagen der Politik zu Unrecht vertraut. Das Misstrauen gegenüber der politischen Klasse habe sich in Abneigung verwandelt.

Kerber vertritt die Auffassung, dass die Europapolitik der "Merkel-Schäuble-Regierung" nichts anderes als Trug und Täuschung darstelle. Deshalb müsse die Antwort des europäischen Deutschlands von nun an aktiver Widerstand sein. Die Begründung lautet:

Deutschland gehört seinen Bürgern und nicht nur einer sich selbst genügenden Clique von Parteipolitikern.

Kerber

Sollten sich die Bürger nicht schnell und massiv genug gegen das "Umverteilungsmonster EZB" wehren, wird nach seiner Vorhersage alles im Kollaps enden. Von der EZB gingen kurzfristig die größten Gefahren für Freiheit und Wohlstand aus, da sich die Bank einen Dreck um Recht und Regeln schere und wie ein souveräner Diktator handle. Die Deutschen wüssten mittlerweile, dass das Euro-Experiment unwiderruflich gescheitert ist, es sei denn man pfeift die "Veranstaltung Deutschland" ab und überträgt die Entscheidung über die Ressourcen des Landes einem europäischen Finanzminister. Kerber selbst geht von einer "Verirrung der EU in Gestalt der EZB" aus.

Seine "Forderung des Tages" lautet:

Volksabstimmung über das Euro-Projekt

Europa stehe am Scheideweg. Zur Bewahrung des europäischen Einigungswerks müsste der Euro schnellstens begraben und die EZB liquidiert werden. Die EU ende im Abgrund, wenn sie für den Euro die Demokratie opfert und damit die Bürger verliert. Wiederum unter Berufung auf Carl Schmitt, stellt Kerber fest, dass wir heute vor der Herausforderung stehen, dem eigenen Staat nicht länger zu gehorchen, um ihn daran zu hindern, unsere unveräußerlichen Bürgerrechte einem Brüsseler Zentralstaat und einem Umverteilungsmonster namens EZB zu verpfänden. Ganz im Gegensatz zu Carl Schmitt meint Kerber aber, dass es hierbei auf den Wert des Einzelnen und eben nicht auf die Bedeutung des Staates ankomme und dass damit die "Geburtsstunde der Bürgermacht" markiert werde.14

Die Berufung auf Artikel 20 Absatz 4 GG ist jedenfalls bemerkenswert und gleichzeitig beunruhigend. Die Ausübung des Widerstandsrechts mag theoretisch als die Vollendung demokratischer Souveränität erscheinen. In Wahrheit geht ihr natürlich die Bankrotterklärung des Systems parlamentarischer Repräsentation voraus. Gerade diejenigen, die zum Widerstand aufrufen, müssen sich rechtzeitig klarmachen, dass sich damit das Problem der eigenen Glaubwürdigkeit in besonderer Weise stellt. Vom Katheder und aus der warmen Studierstube heraus sind Aufrufe zum Widerstand leicht zu formulieren. Aber gerade das von Kerber wiederholt zitierte Beispiel des Carl Schmitt zeigt, dass man nicht schon deshalb "fronttauglich" ist, wenn man akademisch gewonnene Einsichten verbreitet. Dazu braucht es in mehrfacher Hinsicht -physisch und geistig - eines gewissen Mutes, der sich nicht alleine in der Abfassung von Verfassungsbeschwerden zu beweisen ist.

Carl Schmitt ist jedenfalls Ende 1932/Anfang 1933 zurückgezuckt, als er befürchten musste, dass aus manchen Gedanken auch Ernst werden könnte. Sein weiteres Schicksal im Dritten Reich war nicht gerade ein Heldenepos des Widerstands. Kerber wird sicher in der Restlaufzeit seiner Beamtenkarriere als Hochschullehrer hin und wieder Gelegenheit finden, den gesamten Art. 20 GG und einige andere Verfassungsbestimmungen immer wieder noch einmal in Ruhe zu lesen ("repetitio mater studiorum est"). Sollte es ihm darüber hinaus sogar noch möglich sein, sich Carl Schmitt etwas umfassender zu widmen, dann wird er ungeachtet seiner klugen Anmerkungen über Souveränität lernen oder sich vielleicht daran erinnern, dass "souverän" derjenige ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet und dass alleine diese Definition dem Begriff der Souveränität als einem Grenzbegriff gerecht werden kann.15

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