Aufrufe zum Aufstand wegen "Souveränitätsverlust" durch Finanzpolitik

Seite 2: Diebstahl am kleinen Mann

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Manche wissen es, viele haben es nie gewusst, etliche wollten es nie wissen und immer mehr können es sich kaum vorstellen: Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland jedweden Geschlechts leben in einem demokratischen und sozialen Bundesstaat. Dort geht alle Staatsgewalt vom Volke aus, das diese Gewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besonderer Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausübt (oder auch nicht).

Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht. So gebietet es das regelmäßig hochgelobte Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das man gelegentlich auch als "Verfassung" bezeichnet. Die genannten "Verfassungsgrundsätze" sind in Artikel 20 Absätze 1, 2 und 3 GG nachzulesen. Die Bestimmung hat aber auch noch einen Absatz 4:

Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Diese Rechtsgewährung an "alle Deutschen" entfaltet in jüngerer Zeit eine inspirierende Wirkung. Das ist einer Entwicklung geschuldet, die sich in den vergangenen Jahren immer weiter zugespitzt hat: Vor dem Hintergrund der aktuellen Probleme in Schwellenländern wie Brasilien, Türkei, Südafrika, Indien, Russland, der durch den Ukraine-Konflikt verursachten Irritationen und vor allem der Herausforderungen durch Flüchtlingsströme ist die Finanzkrise zunächst aus den Schlagzeilen verschwunden.

In einer Zeit, in der sich illegale Zuwanderung zur größten sicherheitspolitischen Problem der Bundesrepublik Deutschland seit ihrer Gründung entwickelt, scheinen wohlbestallte Funktionsträger wie der Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, allen Ernstes daran zu glauben, dass das massenhafte Eindringen in deutsches Staatsgebiet Chancen bietet, die umso größer sind, je besser es "uns" gelingt, die Menschen, die dauerhaft zu "uns" kommen, in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt zu integrieren, weil Deutschland aufgrund des demografischen Wandels zusätzliche Arbeitskräfte benötige, um seinen Wohlstand halten zu können.

Immerhin erkennt dieser Amtsträger noch, dass Deutschland langfristig vor beträchtlichen Herausforderungen steht und dass in "unserem" Finanzsystem nicht immer alles rund läuft, gehörten deutsche Banken 2007 doch zu den ersten Opfern der Finanzkrise, während aktuell nicht nur die deutschen Lebensversicherungen die Belastungen des Niedrigzinsumfelds spüren und der Immobilienmarkt unter verschärfter Beobachtung steht. Dem Präsidenten der EZB konzediert Weidmann, er habe signalisieren wollen, dass sich (schon wieder) "unsere" Geldpolitik an den Inflationsaussichten orientiert und der EZB-Rat bereit ist, auf veränderte Daten zu reagieren.

Der Bundesbankpräsident ist gleichzeitig der Auffassung, dass sich die Konjunkturerholung im Euro-Raum aber gefestigt habe, die schon Anfang 2015 überzogenen Deflationssorgen verblasst seien und "wir" ein nie dagewesenes Kaufprogramm gestartet hätten, das sich noch mitten in der Umsetzung befinde. Die Geldpolitik sollte sich seiner Meinung nach nicht vom Auf und Ab einzelner Indikatoren treiben lassen, solange die geldpolitische Einschätzung im Kern weiter gültig ist.5

Sei’s drum: Man scheint Europa und die Weltwirtschaft "über den Berg" zu wähnen. Insgesamt wird das Management der Finanzkrise in Europa von etlichen Beobachtern als erfolgreich bewertet. Dahinter steckt aber nur Zweckoptimismus. Das wirtschaftliche Wachstum in Europa, Nordamerika und Japan ist immer noch schwach. In vielen Ländern ist die Staatsverschuldung auf zuvor nie gekannte Höhen geklettert. In der Euro-Zone beträgt sie immerhin 92, 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Gleichzeitig haben Bruttokapitalbildung und die Wirtschaftsleistung das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht.

Untrügliche Indizien für die Fortdauer der Krise sind vor allem die Anleihekäufe und die anhaltend lockere Geldpolitik der Notenbanken. Die Realzinsen sind negativ. Konventionelle Geldanlagen auf Spar- oder Geldmarktkonten oder in Anleihen verlieren also an Wert. Infolge der "Rettungsmaßnahmen" sitzen Banken und Staaten auf einem Berg von faktisch uneinlösbaren Vermögensforderungen. Ein aus der Krise herausführendes realwirtschaftliches Wachstum in den entwickelten Ländern ist nicht in Sicht. Die Debatten der letzten Jahre haben die zentralen Fragen in diesem Zusammenhang nicht beantwortet. An der Fixierung auf "Gläubigerländer" und "Schuldnerländer" hat sich nichts geändert, ein Grund für das Wiederaufleben innereuropäischer Nationalismen. Die Kontroversen unter Experten haben den Blick auf die sozialen Verwerfungen in ganz Europa versperrt. Die europäische Gesellschaft erscheint so gespalten wie nie zuvor.

Erst die Berücksichtigung dieser und weiterer Tatsachen würde ein realistisches und aktuelles Bild der Krise ergeben. Es könnte die Einsicht ermöglichen, dass die Euro-Krise gar nicht in erster Linie auf die Widersprüche in der institutionellen Konstruktion der Gemeinschaftsführung zurückzuführen ist, sondern dass es sich dabei um eine Folge der internationalen Finanzkrise handelt, die ihrerseits vor allem auf die exzessiv angewachsenen Ungleichheiten in der Verteilung der Vermögen und Einkommen in Europa und anderen Teilen der Welt zurückgeht. Das könnte der Ausgangspunkt für Auswege aus der Krise sein, die mit einem europaweit koordinierten Abbau der völlig überbewerteten Vermögensforderungen beginnen müssten.6

In diesem hier nur fragmentarisch beschreibbaren finanzpolitischen und europapolitischen Umfeld gewinnt das Handeln der Europäischen Zentralbank (EZB) samt ihrer Verankerung im europäischen Institutionengefüge offensichtlich eine besondere Bedeutung für die Frage einer fortgesetzten Integration des Kontinents. Es sollte schon deutlich geworden sein, dass jedenfalls die Euro-Zone vor einer Zerreißprobe steht. Ihr Ausgang dürfte über das Schicksal der europäischen Einigung entscheiden. Die Alternativen sind klar:

Wird die EWU eine Wachstumszone sein und bleiben können und damit den Konkurrenten auf den Weltmärkten erfolgreich gegenüberstehen oder degeneriert sie zu einer Transferunion, die früher oder später ihre globale Wettbewerbsfähigkeit verlieren muss?

Eine mehr oder minder voraussetzungslose Alimentierung des Südens durch den Norden zum Beweis einer falsch verstandenen Solidarität könnte in mehrfacher Hinsicht ins Verderben führen. Der Süden Europas wird irgendwann dem Norden nicht verzeihen, dass ihm geholfen werden muss, eine Paradoxie der menschlichen Psyche, die immer wieder auftritt. Die Konkurrenten auf den asiatischen Weltmärkten werden unterdessen ihre Mittel zur Stärkung der eigenen Konkurrenzfähigkeit einsetzen können und die "mildtätigen" (Noch-)Konkurrenten im vergreisenden Norden Europas ins wettbewerbspolitische Abseits manövrieren.

Die bisherige währungspolitische Handlungsmaxime des Nordens scheint chancenlos geworden zu sein. Von einer erstklassigen Besicherung von Geld und Kredit zur Erlangung von Währungsstabilität für Investitionen, die bekanntlich zurückzuzahlende Schulden sind, ist nicht mehr viel zu sehen.

Im Süden hat man sich unterdessen angewöhnt, die Mittel für öffentliche Ausgaben durch die Zulassung schlecht bedienbarer Staatstitel als Pfänder bei den Zentralbanken zu beschaffen und dafür den dauernden Verfall der Währung durch verschlechterte Wechselkurse hinzunehmen.

In Weichwährungsländern ist Sparen immer ein schmerzhafter Einschnitt in liebgewordene Gewohnheiten.

In Hartwährungsländern gilt Inflation als "Diebstahl am kleinen Mann". Vor diesem Hintergrund stellt sich u. a. die Frage, ob zukünftig das Ende des Euro eingeläutet werden muss, wenn man die EWU zu einem Verbund umbaute, dem nur noch solche Zentralbanken angehörten, die etwa beim Eigenkapital gleiche Standards einhalten können.

Offensichtlich will jetzt keiner mehr über das Ausmaß an Betrug nachdenken, mit dem sich Griechenland seinerzeit den Eintritt in die EWU erschlichen hatte.7

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