"Ausstieg aus der gesamten moralischen Geschichte"
Seite 2: "Die anderen sind noch viel schlimmer"
- "Ausstieg aus der gesamten moralischen Geschichte"
- "Die anderen sind noch viel schlimmer"
- Schuld sind die "neuen Nazis"
- Schuld ist das letzte Konzil
- Die persönliche Verantwortung des Papstes
- Wo bleibt die theologische Betrachtung?
- Die ins Auge stechende Homophobie
- Die rätselhafte Vergötzung des Priesterzölibats
- Kultur des Stillschweigens und Wegsehens: Alle sind mitverantwortlich
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Zu Beginn der Debatte war von Kirchenverteidigern – darunter Bischof Mixa – zu hören, dass die Kleriker-Skandale ja nur einen Bruchteil der pädosexuellen Verbrechen insgesamt ausmachten (vgl. auch den FR-Bericht Bischof Mixa soll geprügelt haben). Nun man wird schwerlich in Abrede stellen können, dass mit einer sehr hohen Dunkelziffer in Familienumfeldern, Pflege-, Betreuungs- und Erziehungseinrichtungen, Jugendarbeit und anderen gesellschaftlichen Bereichen zur rechnen ist. Doch war jemals zu beobachten, dass sich die Kirche bezüglich einer Sensibilisierung für diesen Schatten der Gesellschaft besonders profiliert hätte? Und sollte, wer das Balkenwort Jesu über das Zeigen auf andere kennt, so an das Thema herangehen?
Kirchentreue Rechenkünstler versuchten im gleichen Atemzug auch, den ganzen Komplex mit Prozentzahlen klein zu reden. Dazu bemerkt Hans Küng, der Altmeister des Reformkatholizismus:
Die katholische Kirche der USA zahlte im Jahre 2006 die Summe von 1,3 Milliarden Dollar, in Irland vereinbarte die Regierung 2009 mit kirchlichen Orden einen Entschädigungsfonds von ruinösen 2,1 Milliarden Euro. Diese Summen sagen mehr als der abwiegelnd in die Diskussion eingebrachte statistische Anteil zölibatärer Täter an der Gesamtheit der Sexualtäter!
Hans Küng
Und soll etwa der häufiger zu hörende Hinweis auf den ephebophilen Hintergrund vieler Fälle eine Entschuldigung sein? Auch nach der – wirklich überreifen – Reform des Sexualstrafrechts sind Sechszehnjährige für einen Seelsorger weiterhin Schutzbefohlene und nicht potentielle Liebespartner.
Doch man muss viel früher – beim Alltagsbewusstsein – ansetzen. Im Witze-Kanon des so genannten Volksmundes gehören Priester, die sich an kleine Jungen heranmachen, zum festen Inventar. Die Messdiener erhalten etwa abgestufte Belohnungen für besondere "Dienstleistungen", und bei der Beichtstuhlvertretung muss sich der evangelische Kollege über die entsprechenden Gepflogenheiten erst von Ministranten aufklären lassen. Aus Sicht der Opfer ist das alles andere als lustig.
In Ulla Hahns Roman "Das geheime Wort" müssen die Kniekehlen eines weiblichen Beichtkindes gleichsam im Vorübergehen zur Triebabfuhr eines Klerikers herhalten. Bei diesem Buch handelt es sich um das wohl bedeutsamste literarische Zeugnis über das katholische Milieu im Deutschland der Nachkriegszeit.
Pedro Almodóvar, dessen Werk mit dem Franco-Katholizismus abrechnet und dabei doch überall hoch katholisch bleibt, hat sich seinen Film "La mala educación" wohl kaum aus den Fingern gesogen. Kultur und Leutemund legen Zeugnis ab über unser Thema, und das nicht erst seit gestern. Schließlich kann man schon mit im Internet eingestellten Dokumentationen Tage verbringen.