"Ausstieg aus der gesamten moralischen Geschichte"

Seite 7: Die ins Auge stechende Homophobie

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Gottlob werden heute die pädosexuellen Verbrechen in keinem seriösen Medium mehr in einem Atemzug mit Homosexualität in Verbindung gebracht. Zu einer Hetzjagd auf schwule Priester gibt es angesichts der aktuellen Enthüllungslawine keinerlei Anlass. Männliche Homosexualität hat mit einer Vorliebe für kleine oder heranwachsende Jungen soviel zu tun wie männliche Heterosexualität mit einer Vorliebe für kleine oder heranwachsende Mädchen.

Hingegen haben z.B. "Ersatzhandlungen" in Form sexualisierter Gewalt an Kindern und Schwächeren sehr wohl etwas mit Werdegang und Lebensbedingungen der Täter zu tun. Und an dieser Stelle muss auch das Thema "Homosexualität" zur Sprache kommen. Vorab sei angemerkt, dass der Verfasser dieses Beitrages – ausgewiesen durch das theologische Buch "Das Lieder der Liebe kennt viele Melodien" (2001) – sich nicht ganz uneigennützig für die kirchlichen Rechte von homosexuell liebenden Christen einsetzt.

Förmlich ins Auge sticht die Homophobie, die ausgeprägte Angst vor der Homosexualität, in der gesamten Ratzinger-Ära. Dies reicht kontinuierlich vom Schreiben der Glaubenskongregation "über die Seelsorge für homosexuelle Personen" (30.10.1986) bis hin zum Novum eines Priester-Berufsverbotes4 für alle homosexuell orientierte Männer direkt nach dem Amtsantritt von Benedikt XVI.

Von den schrillen Weltuntergangstönen angesichts des europäischen Wandels hin zur Achtung der Menschen- und Bürgerrechte von Schwulen und Lesben war schon oben die Rede. Wie eine Hysterie nimmt sich der ganze Komplex aus (die zahlreichen Kardinalausfälle der hochwürdigen Hetze gegen Lesben und Schwule – auf der Grundlage eines aberwitzigen Naturrechtsverständnisses – sparen wir uns an dieser Stelle; zumindest in diesem Jahr werden wir davon vermutlich verschont bleiben).

Somit hat speziell Joseph Ratzinger über einen sehr langen Zeitraum systematisch eine angstfreie Kultur der Offenheit, Wahrhaftigkeit, Reifung und Selbstfindung im Raum der Kirche unmöglich gemacht. Jegliches Forschreiten nach dem Reformkonzil – in Moraltheologie, Pastoral, Priesterausbildung und Gemeindeleben – sollte spätestens ab Mitte der 1980er Jahre wieder abgewürgt werden. Zum Großteil ist dies gelungen. Das daraus resultierende Klima der Angst in der Kirche ist einer der Nährböden für Unwahrhaftigkeit und sexualisierte Gewalt.

Zahlreiche reifungs- und beziehungsfähige schwule Priesteramtskandidaten und Priester gingen unter den neuen Bedingungen der gesellschaftlichen Emanzipation zusammen mit den heterosexuellen Heiratskandidaten weg. Es blieben vor allem viele, die – prädestiniert für ein gespaltenes Persönlichkeitsprofil und bereitwillige Funktionstüchtigkeit innerhalb des Systems – sich nicht in der Lage sahen, außerhalb des Amtes ihren eigenen Weg zu finden. Doch das gespaltene Dasein, in welchem das eigene Leben nicht ungeteilt am Altar der Danksagung dargeboten werden darf, gehört zu den größten Dramen des Priesterberufes.

Die Kehrseite der Medaille: klerikale "Travestie"

Nun werden prominente Vertreter der kirchlichen Homophobie wie der Kölner Kardinal Joachim Meisner, der sich in seiner Zeit als DDR-Bischof noch nicht so durch mutiges Auftreten hervorgetan hat, oder eben der Papst in der Öffentlichkeit ja keineswegs als besonders "männlich" wahrgenommen. Auf viele wirken sie vielmehr eher feminin. Gleichzeitig fördert der von Traditionalisten, restaurativen Bischöfen und römischer Kurie forcierte Rückgriff auf die feudale Kleiderkammer ausgesprochen feminine Accessoires zutage: Seidenröckchen mit Spitzen, Käppchen, Fellbehang, lang wallende Cappa Magna, Handschühchen, Pantöffelchen, Umhängeschmuck und dergleichen mehr.

Die Vorliebe für besonders extravagante Paramente wird spätestens seit Oscar Wilde mit Homosexualität assoziiert. Stefan Andres stellt sich im Anschluss an eine Klage des Kirchenvaters Hieronymus über "feines Zeug aus Arras und Laodicea" bestimmte Kleriker schon der Alten Kirche in seinem Synesios-Roman so vor:

Wie Kurtisanen und Millionärswitwen laufen sie umher: in Stöckelschuhen, die Löckchen vorne in die Stirn gekämmt, hinten um die Tonsur herumgelegt, und duften nach Rosen und Sandelholz – diese Nachkommen der Märtyrer!

Auch die Liebhaber des Reformkonzils verachten schöne liturgische Gewänder keineswegs, und das ist gut so. Doch ihre Ästhetik unterscheidet sich erheblich von jenem Tand, der für Eugen Drewermann weitere Hinweise liefert auf "eine geheime Komplizenschaft zwischen der katholischen Kirche und gewissen Formen der Homosexualität" (Kleriker 1989, S. 586).

In der neuen, restaurativen Phase des lateinischen Ritus schreibt nun die Klatschpresse der "Vatikanspezialisten" etwa über Eifersüchteleien zwischen Josef Clemens, dem langjährigen Privatsekretär des Präfekten Joseph Kardinal Ratzinger, und dem weltmännisch schönen Privatsekretär des dann zum Papst Gewählten, so dass man sich fragen muss, ob man es hier noch mit erwachsenen Männern zu tun hat.

Meldungen über Callboys und Seminaristenprostitution im Vatikan, Enthüllungen über Netzwerke in Konvikten, Homogazetten mit Klerikerberichterstattung oder Kalender mit "gut aussehenden Priestern" im schwulen Buchladen ergänzen das Bild. Bisweilen aber wird auch die Öffentlichkeit Zeuge, wie die Karriereleiter eines konservativ angepassten Priesters bei Bekanntwerden seiner doppelten Lebensbuchführung jäh abbricht. Wissen ist Macht. Im Fall des Falles kann es unter Umständen über eine Bischofsbesetzung entscheiden.

Der amtliche römisch-katholische Umgang mit Homosexualität, der alle Erkenntnisfortschritte und Lernprozesse der Gesellschaft hartnäckig ignoriert, kommt für die Kirche einer tickenden Zeitbombe gleich. Dass der prozentuale Anteil von Homo- und Bisexuellen im Priesterberuf deutlich über dem gesellschaftlichen Durchschnitt liegt, darüber kann es bei Kenntnis des kirchlichen Lebens und längst vorliegender Studien keinen Zweifel geben. Es soll sich nur niemand der Illusion hingeben, innerhalb dieser Gruppe seien die Fortschrittlichen der "römischen Kirche" überrepräsentiert.

Der Ausschluss von Frauen und Eltern

Homosexuell – gleichgeschlechtlich – im soziologischen Sinn ist Roms Hierarchie auf jeden Fall, wie Uta Ranke-Heinemann anmerkt. Frauen, Mütter und – zumindest offiziell – Väter sind von der Kirchenleitung ausgeschlossen (zum Thema "Frauenpriestertum" gibt es seit der Ära Wojty?a/Ratzinger ein amtliches Diskussionsverbot).

Was aber bedeutet es, wenn Eltern von Kindern in der Kirchenleitung überhaupt nirgendwo vorkommen? Diese Anfrage an den reinen Männerbund unter dem Schutzmantel einer unsichtbaren "Mutter Kirche" drängt sich gegenwärtig förmlich auf.