Chomsky: Wir müssen insistieren, dass ein Atomkrieg eine undenkbare Politik ist
Seite 2: Die wachsende Bedrohung durch einen finalen Atomkrieg
- Chomsky: Wir müssen insistieren, dass ein Atomkrieg eine undenkbare Politik ist
- Die wachsende Bedrohung durch einen finalen Atomkrieg
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Ein zweiter Punkt ist die wachsende Bedrohung durch einen finalen Atomkrieg. Es ist nur allzu leicht, plausible Szenarien zu entwerfen, die zu einem schnellen Aufstieg auf der Eskalationsleiter führen. Um ein Beispiel zu nennen: Die USA schicken gerade moderne Anti-Schiff-Raketen in die Ukraine. Das Flaggschiff der russischen Flotte ist bereits versenkt worden. Nehmen wir an, ein größerer Teil der Flotte wird angegriffen. Wie wird Russland dann reagieren? Und was folgt dann?
Noch ein weiteres Szenario: Bisher hat Russland davon abgesehen, die Versorgungslinien anzugreifen, über die schwere Rüstungsgüter in die Ukraine geliefert werden. Nehmen wir an, die Regierung tut dies und gerät damit in eine direkte Konfrontation mit der Nato – also den USA.
Es kursieren noch andere Vorschläge, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Atomkrieg führen würden – was für uns alle das Ende bedeutet. Aber dem wird nicht wirklich Beachtung geschenkt.
Einer der Vorschläge beinhaltet die weit verbreitete Forderung nach einer Flugverbotszone, was bedeuten würde, dass Flugabwehranlagen innerhalb Russlands angegriffen werden sollen. Das extreme Risiko derartiger Vorschläge wird von einigen erkannt, vor allem vom Pentagon, das bisher in der Lage gewesen ist, gegen die gefährlichsten von ihnen ein Veto einzulegen. Wie lange wird das noch der Fall sein vor dem Hintergrund der herrschenden Stimmung?
Das sind erschreckende Aussichten. Aussichten auf das, was passieren könnte. Wenn wir uns ansehen, was tatsächlich geschieht, wird es noch schlimmer. Die Invasion in der Ukraine hat die viel zu begrenzten Bemühungen zur Bekämpfung der globalen Erwärmung – die bald zu einem globalen Verheizen wird – zunichte gemacht. Vor der Invasion wurden einige Schritte unternommen, um die Katastrophe abzuwenden. Jetzt ist das alles ins Gegenteil verkehrt worden. Wenn das so weitergeht, sind wir erledigt.
Da gibt der Weltklimarat IPCC die nächste eindringliche Warnung heraus, dass wir, wenn wir überleben wollen, jetzt sofort damit beginnen müssen, den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu reduzieren. Jetzt sofort, ohne Aufschub.
Am nächsten Tag kündigt Präsident Joe Biden eine neue Ausweitung der Produktion fossiler Brennstoffe enormen Ausmaßes an. Bidens Aufforderung, die Produktion fossiler Brennstoffe zu erhöhen, ist reines politisches Theater. Sie hat nichts mit den heutigen Kraftstoffpreisen und der Inflation zu tun, wie behauptet wird.
Denn es wird Jahre dauern, bis die fossilen Gifte auf den Markt kommen – Jahre, die genutzt werden könnten, die Welt schnell auf erneuerbare Energien umzustellen. Das ist durchaus machbar, wird aber im Mainstream kaum diskutiert.
Man muss das nicht im Einzelnen kommentieren. Der Wirtschaftswissenschaftler Robert Pollin hat das Thema kürzlich in einem weiteren seiner so wichtigen Beiträge analysiert, wie dringlich diese überlebenswichtigen Frage ist und was, aus fachlicher Sicht, getan werden muss.
Es ist völlig klar, dass die Befriedung der Ukrainekrise von außerordentlicher Bedeutung ist, nicht nur für die Ukraine selbst, sondern auch in Hinsicht auf die katastrophalen Folgen, die sich ergeben, wenn der Krieg weitergeht.
Was können wir also tun, um die Beendigung der Tragödie zu befördern? Beginnen wir mit einer Beinahe-Binsenweisheit. Der Krieg kann auf eine von zwei Arten enden: Entweder es kommt zu einer diplomatischen Einigung, oder eine Seite kapituliert. Der Horror wird weitergehen, wenn er nicht mit einer diplomatischen Lösung oder einer Kapitulation endet.
Zumindest das sollte allgemein geteilt werden.
Eine diplomatische Einigung unterscheidet sich von einer Kapitulation in einem entscheidenden Punkt: Jede Seite akzeptiert sie als tolerierbar. Das ist per definitionem richtig, braucht also keiner weiteren Diskussion.
Eine diplomatische Einigung muss Putin eine Art Fluchtmöglichkeit bieten – was von denjenigen, die den Krieg lieber verlängern wollen, verächtlich als "Ausweg" oder "Appeasement", also "Beschwichtigung" bezeichnet wird.
Diese Logiken sind selbst den größten Russlandhassern klar, zumindest jenen, die Ideen, die über die Bestrafung des geschmähten Feindes hinausgehen, nicht ganz eliminiert haben.
Ein prominentes Beispiel dafür ist der angesehene Außenpolitikwissenschaftler Graham Allison von der Kennedy School of Government der Harvard University, der auch über langjährige direkte Erfahrung in militärischen Angelegenheiten verfügt. Vor fünf Jahren teilte er uns mit, dass feststehe, dass Russland als Ganzes eine "dämonische" Gesellschaft ist und "es verdient, stranguliert zu werden".
Heute fügt er hinzu, dass kaum jemand daran zweifeln kann, dass Putin ein "Dämon" ist, der sich radikal von allen US-Präsidenten unterscheidet, die seiner Meinung nach im schlimmsten Fall Fehler begangen haben.
Doch selbst Allison argumentiert, dass wir unseren gerechten Zorn zügeln und den Krieg mit diplomatischen Mitteln möglichst schnell beenden müssen. Denn wenn der verrückte Dämon
gezwungen ist, zwischen einer Niederlage und einer Eskalation von Gewalt und Zerstörung zu wählen, dann wird er sich, wenn er ein rationaler Akteur ist, für Letzteres entscheiden
– und wir könnten alle tot sein, nicht nur die Ukrainer.
Putin ist ein rationaler Akteur, argumentiert Allison. Und wenn er das nicht ist, ist jede Diskussion sinnlos, denn er kann dann jederzeit die Ukraine zerstören und vielleicht sogar die Welt in die Luft jagen – eine Eventualität, die wir mit keinem Mittel, das uns nicht gleichzeitig mit vernichtet, verhindern könnten.