Chomsky: Wir müssen insistieren, dass ein Atomkrieg eine undenkbare Politik ist

Seite 3: Zynismus: Mal schauen, ob Putin sich leise davonschleichen wird

Sich einer diplomatischen Lösung zu widersetzen oder gar darauf hinzuwirken, sie zu verzögern, bedeutet, zur Verlängerung des Krieges mit seinen düsteren Folgen für die Ukraine und darüber hinaus aufzurufen.

Diese Haltung enthält ein schreckliches Experiment: Mal sehen, ob Putin sich in seiner totalen Niederlage still und leise davonschleichen wird, oder ob er den Krieg mit all seinen Schrecken verlängern oder sogar die Waffen einsetzen wird, über die er zweifellos verfügt, um die Ukraine zu verwüsten und die Bühne zu bereiten für einen endzeitlichen Atomkrieg.

All das scheint offensichtlich zu sein, sollte es zumindest. Aber das ist es nicht im gegenwärtigen Klima der Hysterie, in dem diese Beinahe-Binsenweisheiten eine Flut völlig irrationaler Reaktionen hervorrufen: Das Monster Putin wird nicht zustimmen, das ist Appeasement, was ist mit München (Münchner Abkommen von 1938, womit Nazi-Deutschland befriedet werden sollte, Telepolis), wir müssen unsere eigenen roten Linien festlegen und uns daran halten, egal, was das Monster sagt, usw.

Derartige Äußerungen sollte man nicht noch mit einer Antwort aufwerten. Sie laufen alle darauf hinaus zu sagen: Lasst uns erst gar nicht versuchen, den Konflikt zu deeskalieren. Lasst uns stattdessen das grausame Experiment wagen.

Das Experiment ist operative US-Politik und wird von einem breiten Meinungsspektrum unterstützt, immer von der heldenhaften Rhetorik begleitet, dass wir für Prinzipien eintreten müssen und nicht zulassen dürfen, dass Verbrechen ungestraft bleiben.

Wenn wir so etwas von überzeugten Befürwortern von US-Verbrechen hören, was häufig der Fall ist, können wir es als reinen Zynismus abtun. Es ist das westliche Gegenstück zu den Apparatschiks der Sowjetzeit, die wortgewandt die westlichen Verbrechen anprangerten und die ihrer eigenen Regierung inbrünstig unterstützten.