Coke vobiscum

Coca-Cola als buddhistische Metapher und andere Erleuchtungserlebnisse der Reklameherrscher

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Eines der vielen ungelösten Menschheitsrätsel bleibt, dass Konsumenten Produkte kaufen, obwohl für sie jenseits des Erträglichen geworben wird. Die alltäglichen Zumutungen an die Intelligenz, die ästhetische Sensibilität und andere Tugenden des aufgeklärten Kulturmenschen müssen Käufern erst so einmassiert werden, bis sie sich in das vermeintlich Unvermeidliche fügen, um etwa jene Waschmittel, Brotaufstriche und Zahncremes zu kaufen, die auch nicht besser, dafür aber - vor allem wegen ihrer kostspieligen Inszenierungen - teurer als ihre unbeworbenen Konkurrenten sind.

Reklame führt sich seit längerem als eine hochspezialisierte Unterabteilung der Psychoanalyse, Physiologie, Philosophie und Kunst auf, wenn sie nicht gleich als Ersatzreligion verehrt wird, die angeblich alle Weltübel verwinden lässt und den Glauben an das Gute, Wahre und Schöne hochhält. Mit anderen Worten: Es geht darum, mit neoalchimistischen Erfolgsrezepten aus Blech Gold zu machen. Nun tritt die Werbealchimie seriös auf. Von Neurowissenschaften, Kognitionstheorien und Verhaltensforschung ist sie so tief durchdrungen, dass Werbung dann gleich als "schlüssigste Selbstbeschreibung unserer Kultur" (Norbert Bolz) glaubt, sich jeder Kulturkritik entziehen zu dürfen (Was die Kunden wirklich kaufen wollen).

Gegenwärtig schwören viele Megaunternehmen bei ihren Werbefeldzügen auf die "Zaltman Metaphor Elicitation Technique" (ZMET). Gerald Zaltman, Marketingprofi der Harvard Business School und begehrter Werbezampano in Diensten vieler Imperien verabschiedete die klassischen Kundenbefragungen, die Produkteigenschaften lediglich verbalisieren, etwa Coke als "durststillendes spaßiges Beachgebräu" in seiner vollen Bedeutung nicht erfassen. Auch die Methode, die den erregten Konsumenten daraufhin untersucht, ob er auf die allfällige Produkterotik mit erweiterten Pupillen reagiert, hat für Zaltmann längst "ausgenoggert". Seine Maxime: Wovon man nicht reden kann, davon soll man sich Bilder machen. Bilder, die das Unbewusste anspült und die dann in Collagen zum komplexen Produktverständnis heranreifen.

Nicht nur in Afri-Cola steckt also alles in einer Flasche, auch Coke ist eine braune Brause für viele Seelenlagen des distinguierten Zeitgenossen. Zaltmann glaubt fest an das Unbewusste im Konsumenten, das sich nicht versprachlichen, aber abbilden lässt. "Bilde Künstler, rede nicht" hat bereits lange vor den Zeiten ennervierender Reklameimages Johann Wolfgang von Goethe allen Werbefuzzis in die Produktlinie eingraviert. Nach Weimar gab es dann etwa in den fünfziger Jahren den berühmten Streit über die Zulässigkeit subliminaler Werbung (Subliminale Werbung - die geheime Verführung?), kurze Spielfilmeinblendungen des Produkts, die nicht bewusst wahrgenommen, aber unbewusst goutiert werden konnten. Vance Packard denunzierte diesen Kampf um das konsumkollektive Unbewusste als orwellianische Methode, unwürdig einer Demokratie, die vorgibt, den freien Willen des Bürgers und Verbrauchers zu wahren.

Wer bei Reklame den freien Willen anmahnt, muss inzwischen wieder ein Zyniker, mindestens aber ein Spaßvogel sein. Denn eine geläuterte Werbung, die sich ihrer Verführung begibt, wäre doch keine. Mittlerweile werden wieder alle Register gezogen, dem Konsumenten angeblich biografische Erinnerungen an das Produkt eingeflüstert, seltsamste Werbefiguren wie Hitler an die Verkaufsfront geschickt oder mit Entsetzen globale Aufmerksamkeitsherrschaften hergestellt.

Das Zaubermittel ZMET setzt auf hirnpenetrierende Images, die mit dem Produkt assoziiert werden. So lässt Zaltman von seinen Versuchspersonen Bilder aus Magazinen dem jeweiligen Produkt zuordnen. Und der nun vollzogene Paradigmenwechsel könnte für Cokeabhängige nicht fundamentaler sein: Cola ist nicht nur ein simples Fungetränk, sondern die Quelle meditativer Zustände, eine Herz und Nerven stärkende Medizin gegen die rasenden Zeitläufte, ein Wundermittel des stressgeschädigten Zeitgenossen. Für die Limohersteller sprang dabei ein buddhistischer Mönch aus dem Werbelabor, der nun auf einem hektischen Fußballfeld meditiert.

Seitdem sich auch der Dalai Lama verapplen ließ, ist unser reklameptolemäisches Weltbild empfindlich erschüttert worden. Zaltman ist von seiner Methode begeistert. Bisher wäre nur eine vordergründige Eigenschaft von Cola beworben worden. In dieser faustischen Ursuppe aus Atlanta stecken aber mindestens zwei Seelen, wenn nicht gar ein veritabler Vollschizo. Beide Eigenschaften von Coke müssen vermarktet werden, wenn man nicht nur die halbe Scheuer einfahren will.

Frau Ferres vielsagendes Eon-Dekolletee wäre danach wohl der unbewusste Ausdruck der Rundumversorgung des oral fixierten Energiekonsumenten? Experten sind sich indes einig, dass Zaltmans un(ter)bewusste Reklamebildchen auch nur ein vorübergehender Trend für die nächsten fünf bis zehn Jahre in einer Branche sind, die leider noch nicht der No-Logo-Tod eingeholt hat. Bis dahin muss sich die Welt weiterhin zwischen Naomi Campbell und Naomi Klein entscheiden. Adbusters, der Kampf geht weiter!