Der Nomos der Erde

Die "neue Weltgewaltkriegsordnung" wird in Washington D. C. entschieden

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Die Statuen sind gestürzt, die Tempel geplündert, die Götzenbilder zerstört. Unter dem Jubel einiger hundert herbeigerufener Jungiraker ist der Diktator am Fardo-Platz mediengerecht vom Sockel geholt werden. Das Fernsehen war da, und viele werden später sagen: Wir sind live dabei gewesen. Gottlob hat noch einer der Veranstalter des Spektakels der Statue das Sternenbanner rechtzeitig vom Kopf gerissen. Nicht auszudenken, wenn mit Saddam auch die amerikanische Flagge in den Staub gesunken wäre.

Weenies, Weedies, Weakies

Für einige Feuilletonisten ist "der Sturz" zum Fanal geworden, es allen Weichlingen so richtig zu zeigen. Überschüttet der eine das US-Imperium mit Lob (Lob des Imperiums), zeiht der andere all jene, die den Bushies nach wie vor misstrauen und nicht in das Triumphgeheul einstimmen wollen, des Antiamerikanismus und des westlichen Selbsthasses (Die Schmerzen der Befreiung), oder rechnet genüsslich vor, wie viele Tote durch den Krieg präemptiv verhindert worden sind (Wie schön wäre Rom ohne Römer).

This type of modern life is not for me,
this type of modern life is not for free.

Madonna, American Life

"Noch nie hat ein Krieg von solcher Dimension so wenige Opfer gefordert wie dieser", lässt der Dichter Enzensberger in der F.A.Z vom 15.4.2003 verlauten (Normative Trümmer und solche aus Stein). Vom "humansten Kampf in der Geschichte" schwärmt Richard Myers, der Generalstabschef der US-Streitkräfte. Damit meinen können beide die nur ca. 122 amerikanischen Opfer, denen das Vaterland jetzt höchstselbst mit Bild, Namen und Ehrabzeichen für ihren heroischen Kampf gegen das Böse dankt. Nicht jedoch jene Abertausend irakische Leichen (ein britischer Sprecher nennt die Zahl 30.000), die unbekannt, anonym und ehrlos den Weg der US-Militärmaschine nach Bagdad pflastern. Und sicherlich auch nicht jene Toten und Verwundeten, die von Streubomben und Sperrfeuer zerfetzt, verstümmelt und traumatisiert wurden.

Ist ein toter Amerikaner also mehr wert als ein Toter anderer Nationalität? Spielen Ethnie oder Nationalität eine viel größere Rolle als gemeinhin zugegeben wird? Haben die Irakis und andere von Willkürherrschaft zu befreienden Völker den "neuen Kolonialismus" nur noch nicht als "ihre einzige Chance" erkannt (F.A.S. vom 20.4.2003)?

The Winner Takes It All

Auf dieses Mehr, Nur oder Noch ist zu achten. Der Blick zurück lehrt das. Ausgerechnet Carl Schmitt, der "furchtbare Kronjurist der Nazis", liefert nämlich die beste Munition gegen die "neue Weltgewaltkriegsordnung", die sich das neue Rom für den Planeten ausgedacht hat.

Schmitts gallige Kritik am "modernen Imperialismus", die er am Vorabend der Machtergreifung Adolf Hitlers formuliert, entkleidet noch heute die Semantiken all jener, die von Befreiung, Autonomie und Teilhabe sprechen, damit aber die Sicherung von Rohstoffreserven, die Ausweitung von Macht- und Einflusszonen und die schwunghafte Einführung von Markt, Freihandel und den Free Flow of Information meinen. Sie führt aber auch diejenigen auf den Boden des Politischen zurück, die in Recht (ius gentium) und Moral (Normativismus) jene Medien zu finden hoffen, um Gulliver zu binden und seine Macht und seinen Expansionsdrang einzuhegen. Und schließlich zeigt Schmitts bissige Kritik, dass die Sieger nicht nur die Geschichte schreiben, sondern letztlich auch noch über das Vokabular und die rechtliche Terminologie bestimmen.

Markt und Handel sind Medien des Politischen

Schmitt bezweifelt die "friedlichen Absichten", die Wirtschaft, Handel und Verkehr hegen. Für ihn sind sie Medien des Politischen, die von "rechtlichen Begriffen und Formeln", von "Redensarten" und "Schlagworten" begleitet und legitimiert werden.

Beispielsweise ist das Völkerrecht bis weit ins 19. Jahrhundert christlich geprägt. Erst mit der Aufnahme der Türkei 1856 kehrt dort die Unterscheidung "christlich vs. nicht-christlich" ein. Dies ist nötig, um etwa die "Kapitulation" zwischen Staaten oder die Exterritorialität der Europäer in "exotischen" Ländern zu regeln. Nach und nach wird dieser Code durch die Unterscheidung "zivilisiert, nichtzivilisiert und halbzivilisiert" ersetzt. Dies kommt den Methoden des europäischen Imperialismus entgegen. Findet man für halbzivilisierte Völker das Statut des "Protektorats" oder "Mandats", firmieren unzivilisierte Völker rechtlich als "Kolonien".

Wie sich diese juristische Neudefinition politisch auswirkt, zeigt Artikel 22 der Völkerbundsatzung von 1919, die auf Initiative des damaligen US-Präsidenten Woodrow Wilson in Genf ins Leben gerufen wird. Darin heißt es: Völker, die "noch" nicht in der Lage sind, sich selbst zu leiten, sind von zivilisierten Völkern "so zu erziehen", dass sie sich selbst leiten können. Das Recht dazu liegt also nicht nur auf Seiten der Zivilisierten, es ist auch ihre "heilige Aufgabe", die Halb- oder Unzivilisierten durch Mandate, Protektorate oder Kolonien zu zivilisieren. Die Bushdokrin, in der Nationalen Sicherheitsstrategie 2002 niedergelegt, greift diesen Grundsatz auf. Ihr Ziel ist es, die "Welt nicht nur sicherer, sondern auch besser zu machen."

Testfall einer neuerlichen Befreiungs- und Umerziehungsaktion ist derzeit der Greater Middle East. Von Marrakesch bis Bangladesh machen US-Strategen Staaten ausfindig (The New Transatlantic Project), die modernitäts- und globalisierungsfeindlich sind, unter einer latenten "Krise der Unregierbarkeit" leiden und sowohl Terrorismus als auch die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen fördern und/oder finanzieren. "Es geht vor allem darum," schreibt James Woolsey, früherer CIA-Direktor, "Demokratie in jene Teile der arabischen und moslemischen Welt zu bringen, die unsere freiheitliche Zivilisation bedrohen." Dieser "neue Weltkrieg" werde vielleicht "nicht so lange dauer[n] wie der Dritte Weltkrieg. Aber er wird sicherlich länger dauern als der Erste und der Zweite Weltkrieg, vermutlich Jahrzehnte."

Mit der Verwandlung des "halbzivilisierten" Iraks in ein Protektorat oder US-Mandat, ist der Anfang gemacht. Die Tür für eine Zivilisierung der gesamten Region steht offen. Ein zivilisierter Irak kann nun auf andere "halbzivilisierte" Staaten (Syrien, Iran, Saudi-Arabien...) ausstrahlen. Gelingt diese Demokratisierung wider Erwarten nicht, dann kann ihr notfalls durch preemptive strikes nachgeholfen werden. Mit der Stationierung von US-Streitkräften an den Grenzen zu Syrien, dem Iran und Saudi-Arabien hat das Imperium diese Bereitschaft bereits deutlich unterstrichen.

Recht ist, wer darüber souverän befindet

Streng genommen handelt es sich bei der Neuordnung des Greater Middle East um einen Rückfall in den Imperialismus des 19. Jahrhunderts. Nach Schmitt müssten die Vereinigten Staaten nämlich "über dieses Stadium längst hinaus sein". Zwar unterhalten auch sie Kolonien in Übersee und bedienen sich der Methoden und des "Vokabulariums der 'Zivilisation'". Gleichzeitig haben sie aber einen qualitativ neuen Code in das Völkerrecht eingeführt, einen, der zwischen "Gläubigerstaat und Schuldnerstaat" unterscheidet.

Kern dieses "modernen Imperialismus" ist für Schmitt die Monroedoktrin von 1823. Sie besagt, dass keine "raumfremde Macht" sich in amerikanische Verhältnisse einmischen darf und umgekehrt die USA nicht in europäische. Neu an ihr ist, dass die USA dieses Verbot zur Intervention von sich aus verkünden. Es handelt sich dabei also um keinen Vertrag zwischen Partnern, sondern um eine Kriegserklärung der USA an die Welt.

Nach und nach ist diese Doktrin konzentrisch ausgeweitet worden, zunächst über den eigenen Kontinent, dann nach Mittel- und Südamerika. Im Zeitalter der Fernlenkwaffen und globalen Datennetze bieten auch die Meere den USA nicht mehr ausreichend Schutz vor "raumfremden Mächten". Der elfte September hat das noch mal deutlich gemacht. Spätestens seitdem gehören auch Zentralasien, der Mittlere Osten und der asiatische Raum quasi zum Vor- und Hinterhof des Imperiums.

In jeder Ecke und in jedem Winkel der Erde, aber auch zu Hause, auf dem Land oder in den Häuserschluchten der US-Metropolen, könnte der Feind lauern und das Land mit Massenvernichtungswaffen bedrohen. Weswegen das "Prinzip der Selbstverteidigung", auf dem die Monroedoktrin gründet, präemptiv ausgelegt und auf den gesamten Planeten ausgedehnt wird. Jürgen Habermas liegt falsch, wenn er in der F.A.Z. vom 17.4.2003 die Bushdoktrin als "revolutionäre" Umorientierung der US-Außenpolitik deutet. Im Prinzip handelt es sich allenfalls um eine Neuanpassung und Fortentwicklung der Monroedoktrin an neue Bedrohungen, technische Gegebenheiten und geopolitische Lagen.

Was beide Glaubenslehren jedoch auszeichnet, ist ihr "dehnbarer" und "widersprüchlicher" Charakter. Was als Interventionsverbot, Selbstverteidigung oder präemptive Maßnahme zu gelten hat, wann und wo die USA mit Waffengewalt intervenieren, entscheidet das Imperium in souveräner Eigenregie von Fall zu Fall. Schmitt macht deutlich, dass es den USA obliegt festzustellen, "was genau der Inhalt der Monroedoktrin ist". Sie gestehen sich damit etwas zu, was sie anderen verweigern. Diese Verfügungsgewalt spiegelt auch die Bushdoktrin wieder. Das Imperium entscheidet höchst selbst, wohin es den Krieg tragen will.

Ein Netz von Abhängigkeiten und Verpflichtungen

Mit der Weiterentwicklung des "Prinzips der Nichtintervention" wird aus dem einstigen Schuldnerstaat USA ein Gläubigerstaat. Der "Imperialismus" erhält so sein modernes Gesicht. Statt "Kuba, Haiti, San Domingo, Panama, Nikaragua usw." in Kolonien, US-Protektorate oder neue Bundesstaaten zu verwandeln, schließen die USA mit diesen Staaten so genannte "Interventionsverträge". Dadurch bleiben diese Staaten offiziell zwar frei und souverän. Sie besitzen eine eigene Regierung, führen unabhängige Wahlen durch und können folglich auch Mitglied im Völkerbund werden. Aber trotz formeller völkerrechtlicher Gleichberechtigung unterstehen sie der Kontrolle der USA.

Mit anderen Worten: Das "Do, ut des", das im Mittelalter zwischen Lehensherrn (Schutz) und Lehensmann (Treue) geschlossen wird, übertragen die USA auf das zwischenstaatliche Verhältnis und verschärfen es nochmals einseitig. Im Zweifelsfall hebt nämlich der Schutz die Freiheit und Unabhängigkeit des Beschützten auf. Das Imperium entscheidet, wann dieser Ernstfall gegeben ist, darüber, ob ihm eine Regierung dort legal oder illegal erscheint, und ob es dort eingreifen will oder nicht.

Im Laufe der Jahrzehnte haben die USA dieses "System" verfeinert und flexibilisiert. Zu Recht spricht Brzezinski von einer "Hegemonie neuen Typs", die sich in allen ihren Begründungen und Rechtfertigungen "pluralistisch" "durchlässig", und "flexibel" zeigt. Ob internationale Verträge, Protokolle oder Vereinbarungen eingehalten werden oder nicht, bestimmt das Imperium. Und ob ein Staat Protektorat oder Vasall, Tributpflichtiger oder Militärstützpunkt wird, entscheidet das Imperium nach den jeweiligen geografischen, kulturellen und politischen Gegebenheiten und Möglichkeiten. Die NSS 2002 schreibt auch diesen Gedanken fort.

"Um die Gefahren für unsere Sicherheit unter Kontrolle zu halten, benötigen die Vereinigten Staaten Basen und Stützpunkte in Westeuropa, Nordostasien und darüber hinaus, ebenso wie zeitweise Zugangsmöglichkeiten für die Entsendung amerikanischer Streitkräfte in weit entfernte Gegenden."

Noch in der Zwischenkriegszeit beginnen die USA dieses "System" über den ganzen Erdball auszudehnen. "Faktisch sind die Vereinigten Staaten", so Schmitt schon damals, "die Schiedsrichter der Welt". Im Völkerbund (wie später in der UN) agieren Satelliten, die über weltpolitische Angelegenheiten mitbestimmen, zugleich aber verhindern, dass andere Staaten sich in die inneren Angelegenheiten des Imperiums einmischen. Die jüngste Niederlage des Imperiums im UN-Sicherheitsrat, als Staaten, die am finanziellen Tropf der USA hängen, sich der Verabschiedung einer zweiten Irak-Resolution verweigert haben, ist darum nicht hoch genug zu veranschlagen.

Ächtung des Krieges

Dem Völkerbund sind die USA zwar nicht beigetreten, dessen Entscheidungen haben sie aber nachhaltig geprägt. Auf ihre Initiative ist beispielsweise der Krieg geächtet worden. Bemerkenswerterweise nicht in Genf, sondern in Washington, wie Schmitt süffisant anmerkt. Im so genannten Kelloggpakt, benannt nach dem damaligen US-Staatssekretär Kellogg, wird der Krieg verurteilt, nicht als solcher, aber als "Instrument der nationalen Politik". Als Mittel "internationaler Politik" hingegen ist er weiter erlaubt und folglich gerecht.

Für Schmitt ist diese Unterscheidung nur logisch. Schließlich behauptet der "moderne Imperialismus", im Namen der Menschheit zu handeln. Er führt nur "Kriege, die einer internationalen Politik dienen", oder gar keinen Krieg. Es agieren allenfalls "Frieden erzwingende Truppen", die "humanitäre Operationen", "vorsorgende Maßnahmen" oder "friedliche Besetzungen" durchführen. Zwar werden sie von Einschüchterungen, Repressalien und Embargos begleitet, von Beschießungen, Bombardements und Landnahmen ebenso. Aber mit Krieg haben diese Operationen nichts zu tun. Bis heute weigert man sich beharrlich, die Kosovo-Kampagne als kriegerischen Akt zu bezeichnen. Und die Schließung der Pipeline vom Irak nach Syrien, die die US-Regierung soeben verfügt hat, beinhaltet nur die Aufforderung zur "engen Kooperation" mit den USA.

Man sieht: Die Grenzen zwischen Krieg und Frieden, Krieg und Nicht-Krieg, Intervention und Nicht-Intervention verschwimmen nicht erst mit den nichtstaatlichen Kriegen, sondern schon damals. Zwar ist mit Ende des Zweiten Weltkrieges der Verzicht auf das ius ad bellum in die UN-Charta aufgenommen worden. Erlaubt ist danach der Einsatz militärischer Gewalt nur, wenn a) ein Staat von einem anderen widerrechtlich angegriffen wird, oder wenn b) ein autorisierter Beschluss des UN-Sicherheitsrates nach Kapitel 7 der UN-Charta (Nothilfe) vorliegt. Doch nicht erst mit der Bushdoktrin ist diese Definition Makulatur. Schon der Kelloggpakt gab laut Schmitt den USA die Möglichkeit, souverän darüber zu befinden, "wann etwas Krieg ist oder [...] ein friedliches Mittel zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit in einem Staat, der selber dazu nicht imstande ist."

Den Frieden wünschen alle. Die Frage ist nur, wer entscheidet, was Krieg und was Frieden, "was ein erträglicher und was ein unerträglicher Zustand" ist. Die Antwort, die Schmitt darauf gibt, ist heute noch die gleiche wie damals: "Die Regierung der Vereinigten Staaten." Es ist die Elastizität und Flexibilität des Vokabulars, die Allgemeinheit und Offenheit der Terminologie, worin Carl Schmitt, nicht ohne Bewunderung, "die erstaunliche politische Leistung der Vereinigten Staaten" entdeckt.

Dieses Faktum sollte all jene beunruhigen, die jetzt dem Völkerrecht nachtrauern, es reformieren, wieder herstellen oder an die neuen, "irregulären Kriege" anpassen. Indirekt und ungewollt könnten sie nämlich, ganz im Sinne des Imperiums, daran mitwirken, "die ganze Erde in das Schlachtfeld ihrer Interventionen" zu verwandeln.

Großräume treten gegeneinander an

Noch während WK I gelingt den USA eine Umdefinition. Die Monroedoktrin wird zur "Weltdoktrin". Es ist schließlich Präsident Woodrow Wilson, der das "Interventionsverbot" auf andere Räume ausdehnt, es mit idealistischen Zielen (Markt, Freiheit, Demokratie) überhöht und den USA auf diese Weise "die grenzenlose Ausdehnung liberaldemokratischer Prinzipien auf die ganze Erde und die ganze Menschheit" eröffnet.

Um der "ungeheuren Machtausdehnung" der USA Paroli zu bieten, verfällt Schmitt auf den Begriff der "Großraumordnung". Nach Schmitt gründet er auf dem "Reichsgedanken". Danach sind Reiche "die führenden und tragenden Mächte, deren politische Idee in einen bestimmten Großraum ausstrahlt" und Interventionen fremder Mächte in diesen Räumen prinzipiell ausschließen.

"Raummissachtende Universalisierungen" unterscheiden ein Imperium grundsätzlich von einem "Reich". Ein Imperium ist nach Schmitt ein "übervölkisches Gebilde", das Welt und Menschheit zugleich umfasst, während ein Reich einen "konkreten Großraum" beansprucht, der explizit "nichtuniversalistisch" und "wesentlich volkhaft" ist. Noch kurz vor Ausbruch von WK II lobt Schmitt den "Führer", weil dieser die Monroedoktrin für das "Deutsche Reich" reklamiert und eine "schiedlich-friedliche Abgrenzung der Großräume" vornimmt.

Das Imperium setzt das Recht

Wie dieser Abgrenzungsversuch ausgeht, wissen wir. Das Reich wird zerstört, die Führerclique beseitigt, die Bevölkerung befreit. Dank Réeducation, Wirtschaftshilfe und der Installierung US-freundlicher Regierungen gelingt die Neuordnung Europas und des südostpazifischen Raums. Deutsche und Japaner schwören ihren militaristischen und rassistischen Ideologien ab. Sie mutieren zu Pazifisten und laufen ins universalistische Lager über.

Mit dem Sowjetreich, das nach Westen expandiert und sich zum Imperium auswächst, entsteht jedoch ein neuer Konkurrent und Feind. Jetzt steht das sowjetische Großreich dem Versuch im Wege, "die Erde in einen einzigen, allen angelsächsischen Interventionen offen stehenden Raum" zu verwandeln. Atomwaffen und das "Gleichgewicht des Schreckens" verhindern, dass die Rivalität um Macht, Einfluss und Dominanz in Europa mit Waffengewalt ausgetragen wird. Für diesen "relativen Frieden" müssen Afrika, Asien und Süd- und Mittelamerika bluten. Sie werden mit diversen Stellvertreterkriegen überzogen. Eine kluge Mischung aus Hard und Soft Power sorgt dafür, dass auch WK III erfolgreich gestaltet wird. James Woolsey dazu:

"Die Zivilisation, die wir aufgebaut haben, musste bereits im 20. Jahrhundert in drei Weltkriegen - den Kalten Krieg mitgezählt - verteidigt werden."

Das "Reich des Bösen" verschwindet anno 1989 sang- und klanglos. Die Geschichte scheint zuende, der Weg zu mehr Frieden, Freiheit und Demokratie geebnet, die Anbindung auch entfernter Regionen "an den abstrakten Geld- und Kapitalverkehr" nur eine Frage der Zeit.

Während Deutschland seine Souveränität zurückbekommt, die Europäer ihre politische Einigung vorantreiben und die Friedensdividende in Gestalt wirtschaftlicher Dynamik und Prosperität einstreichen wollen, ist das Ende der Bipolarität für die Vereinigten Staaten kein Anlass, eine "geostrategische Verschnaufpause" (Robert Kagan) einzulegen. Noch ehe das sowjetische Imperium 1991 endgültig kollabiert, formuliert Charles Krauthammer, Kolumnist der Washington Post, in der Winterausgabe der Foreign Affairs das "unipolare Moment". Fortan obliegt es der "Stärke Amerikas und seiner Willenskraft, eine unipolare Welt zu führen und ohne Scham die Regeln der Weltordnung festzulegen und sie auch durchzusetzen."

In der sog. "Defense Planning Guidance" (DPG), die Paul Wolfowitz und Lewis Libby im Jahr drauf verfassen und die zehn Jahr später Grundlage der Bushdoktrin wird, werden die imperialen Ambitionen der USA formuliert und der Dreiklang zu ihrer globalen Durchsetzung: US-Hegemonie, Prävention und Regimewechsel festgeschrieben.

Spätestens seitdem besitzt die "neue Weltgewaltkriegsordnung" Namen und Adresse. Das Wurzelgeflecht der Globalisierung, das versuchs- und wechselweise mal "Weltgesellschaft" (Luhmann), "Netzwerkgesellschaft" (Castells) oder "Empire" (Hardt und Negri) heißt, ist der US-Imperialismus.

Das Imperium findet zu sich

Mit dem Antritt der Bush-Administration nehmen diese Leitlinien und Grundsätze, die durch das Ende des Ost-West Gegensatzes in Gang gekommen sind und von der Clinton-Regierung nur halbherzig oder hinter vorgehaltener Hand vertreten werden, Gestalt an. Der elfte September wird schließlich zur Initialzündung. Durch ihn findet das Imperium zu sich und endgültig seine historische Mission. Fortan will es weltweit für Recht und Ordnung sorgen und den Planeten Zug um Zug "verwestlichen" (R. Rorty).

"Wer nicht für uns ist, ist gegen uns" lautet die simple, Komplexität reduzierende Botschaft. "The mission defines the coalition; not the coalition the mission", nennt Richard N. Haass, Planungsdirektor des Brookings Institute, diesen "Multilateralismus à la carte". Und in What we're fighting for bekennen sich über sechzig führende US-Intellektuelle zu den Ideen dieses "gerechten Krieges".

Mit den Entwaffnungskriegen am Hindukusch und im Irak sind die ersten Ausrufezeichen gesetzt. Mit Siebenmeilenstiefeln nähern sich die USA ihrem historischen Auftrag, die Welt von allen Übeln zu befreien und sie nach ihren Regeln und Prinzipien zu gestalten. Sowohl in Kirgisien und Usbekistan als auch in Georgien, Tadschikistan und Kasachstan, Regionen, die einst dem sowjetischen Machtbereich unterstellt waren, haben sie Truppen stationiert und Stützpunkte errichtet. Nach der Eroberung Bagdads werden sie im Mittleren Osten Fuß fassen und Militärbasen errichten. Fortan wird dort nichts mehr gegen den Willen des neuen Rom geschehen. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Iran und zum Risikostaat Saudi-Arabien werden sie die Politik in der Region dominieren und als Verwalter der irakischen Ölreserven die Preispolitik der OPEC künftig entscheidend mitbestimmen.

Die alten Bündnisse liegen in Trümmern...

Erneut gelingt es Charles Krauthammer, diese Politik der letzten zehn Jahre auf den Punkt zu bringen:

"Amerika hat den Kalten Krieg gewonnen, Polen und Tschechien in die Tasche gesteckt, Serbien und Afghanistan pulverisiert und ganz nebenbei gezeigt, dass Europa nichts ist."

Die prominentesten "Opfer" dieses Alleingangs sind die alten Bündnisse. UN, Nato und EU liegen in Trümmern. Sie haben sich als irrelevant und überflüssig erwiesen. "Die UN sind ein Garant des Nichts", hieß es schon in The Unipolar Moment. Über eine Dekade später dankt Richard Perle Gott "für den Tod der UN" und bezeichnet sie als "Schwatzbude vom Hudson River" ("Dank sei Gott für den Tod der UN"). Für die künftige Weltgewaltkriegsordnung werden sie nicht mehr gebraucht. Zumal sie sich in der Vergangenheit (Nazi-Deutschland, Südkorea, Ruanda, Balkan) als unfähig erwiesen haben, Recht und Ordnung im US-amerikanischen Sinn durchzusetzen und sich den neuen Herausforderungen und Bedrohungen (Proliferation, Terrorismus, Entwaffnungskriege ...) nicht gewachsen zeigen. Über den neuen "Nomos der Erde" wird allein in Washington D.C. entschieden, und zwar nach amerikanischen und nicht nach internationalen Regeln.

Künftig will das Imperium sich der UN nur noch von Fall zu Fall bedienen. Etwa dann, wenn es um die Organisierung humanitärer Hilfe, um die Aussetzung und Aufhebung von Sanktionen oder ums Aufräumen geht. Dann sind burden sharing und Multilateralismus erwünscht. Und künftig wird das Imperium sich Koalitionen nach Gutdünken zusammenstellen. Schließlich will man nicht von der Zustimmung "so unbedeutender Staaten wie Guinea, Kamerun oder Angola" abhängig sein, wenn es gilt, "andere Länder vom Joch grausamer und gefährlicher Tyrannen zu befreien und das Leben amerikanischer Soldaten zu riskieren." Ein "Recht auf eine andere Meinung" will Richard Perle anderen Ländern zwar weiter zugestehen, ein "Vetorecht" aber nicht mehr (Im Moment sind wir mit dem Irak beschäftigt).

Neben der UN liegt auch die Nato am Boden. Das Bündnis ist nicht mehr zu retten, wie lautstark und wortreich sich Henry Kissinger auch für seine Rettung einsetzen mag. Die List der Schwachen und Ohnmächtigen hat nicht verfangen. Ihnen ist es nicht gelungen, den Koloss einzubinden und ihn zu einer echten transatlantischen Partnerschaft zu bewegen.

Zug um Zug wird klar, dass die Nato immer schon der verlängerte Arm der USA gewesen ist. Das beweisen Meldungen, in denen schon wieder davon die Rede ist, ob nicht vielleicht doch die Nato die Scherben im Irak zusammenkehren und Truppen und Aufbaukräfte entsenden wird.

Am Boden liegt schließlich auch die EU. Dem Imperium ist es gelungen, einen Keil zwischen das alte und neue Europa zu treiben und so die alte Welt zu spalten. Seitdem acht europäische Regierungschefs in einem gemeinsamen Aufruf ihre Solidarität und Unterstützung für den Irak-Feldzug erklärten, ist das Klima zwischen Paris und London vergiftet. Und mit der Ost-Erweiterung, die das Imperium gefördert hat, "um Westeuropa einzudämmen" (Ruth Wedgewood), wird sie auf Jahre politisch und wirtschaftlich gelähmt sein. Vom neuen Byzanz, zu dem Europa von manchen bereits hochgeschrieben wurde, ist weit und breit nichts zu sehen.

Das bunte Konglomerat, welches das Gruppenbild ihrer Führer nach dem Athener Gipfel dem Zuschauer geboten hat, legt Zeugnis davon ab. Es spiegelt jenen postmodernen "geopolitischen Pluralismus" wider, den Brzezinski sich an allen geostrategischen Dreh- und Angelpunkten der Welt wünscht, damit nirgends ein neue Rivale entstehen kann.

Die Prognose Dirk Schümers in der F.A.Z. vom 8.4.2003, wonach Europa und die UN langfristig aus den Ruinen der alten Bündnisse als Sieger hervorgehen, ist also äußerst kühn und verwegen. Eher ist zu vermuten, dass einige der "Unwilligen" sich an das Imperium wieder heranrobben werden. Die Anzeichen und Signale dafür mehren sich. Vor allem in Berlin, aber auch in Paris.

...und die Autorität der Kosmopoliten auch

Kosmopoliten sollten sich daher nicht täuschen. Es gibt weder ein gutes noch ein böses Amerika. Es gibt nur die "großartige", "einmalige" und "unverzichtbare Nation", die zugleich "Ausnahme", "Zukunft" und "Vorhut der menschlichen Geschichte" ist. Diesen "Mythos" Amerikas haben wir in Telepolis genügend oft "gewürdigt" (Und was tust Du für Dein Land?). Und dass das Imperium zwischen nationalen und globalen Interessen nicht unterscheidet, ausschließlich nach Maßgabe eigener Regeln und Prinzipien handelt, ebenso.

Folglich hat keine böse "neokonservative Clique" das Imperium handstreichartig genommen, wie Habermas im Gleichklang mit Pat Buchanan, Zbig Brzezinski und anderen uns glauben machen will. Dass das mehr ist, als eine "kleine Gruppe von Amerikanern, die glauben, die Kontrolle über die gesamte US-Strategie zu haben" (Brzezinski), ist inzwischen sogar Richard Rorty klar (Kabale und Liebe).

Die Politik der konzentrischen Machtentfaltung ist weder Ausnahme noch Unfall, wie die Geschichte der Monroedoktrin eindrucksvoll zeigt. Schon für Benjamin Franklin war "die Sache Amerikas [...] die Sache der ganzen Menschheit". Und laut Robert Kagan ist die "territoriale Expansion und Ausweitung der Einflusssphäre [...] die unleugbare Realität der amerikanischen Geschichte [und] tief im amerikanischen Charakter verwurzelt."

Was die laut Dany Cohn-Bendit "rechten Bolschewisten" (Cohn-Bendit debattiert mit Richard Perle) derzeit tun, ist nichts anderes als die Revitalisierung des "Amerikanischen Traums". Sie legen nur aggressiv und expansiv-missionarisch aus, was die Gründerväter vor fast einem Vierteljahrtausend der Nation ins Stammbuch geschrieben haben. Das bessere Amerika, das Habermas vor Augen hat, repräsentiert er selbst. Vermutlich hat der US-Soziologe Mark Lilla recht: Die Réeducation war viel erfolgreicher als die meisten Intellektuellen und Leitartikler zugeben wollen.

"Heute umfasst Amerika die ganze Welt", stellt Brzezinski bereits 1970 fest. "Wir sind alle Amerikaner", sinniert Le Monde am Tag nach dem Anschlag. Vielleicht hat so mancher Amerikas Idealismus missdeutet, seinen Messianismus unterschätzt und beides von seinen imperialistischen Implikationen getrennt. Diese Leute sitzen nun natürlich tief enttäuscht auf den Trümmern ihrer kantischen Weltfriedensordnung. Aber schon der Königsberger Philosoph Kant wusste, dass der "Ewige Frieden", den er annoncierte, ein schrecklicher sein würde. Über sechs Milliarden Menschen über den gleichen Kamm zu scheren, muss zu permanenten Befriedungs- und Entwaffnungskriegen führen. Und die Statistik scheint diese Sorge zu bestätigen. Seitdem nehmen die Kriege erheblich zu.

Kontrafaktisch zu denken, heißt: Macht und Moral, Politik und Philosophie und Gewalt und Recht voneinander zu entkoppeln und das eine ständig gegen das andere auszuspielen. Carl Schmitt ist da viel eindeutiger und klarer. Mit Habermas teilt Schmitt zwar den Glauben an die Macht des Rechts. Dem Recht muss es gelingen, Macht, Politik und Gewalt einzuhegen. Im Gegensatz zu Habermas weiß Schmitt aber, dass das eine nicht ohne das andere zu haben ist. Nicht das Recht, sondern Gewalt setzt Recht. Der Neo-Imperialismus erfindet sich "seine eigenen Begriffe". Ein im Schmittschen Sinne "falscher Normativismus und Formalismus führt nur dahin, dass am Ende niemand weiß, was Krieg und was Frieden ist".

Die Trümmer, die Habermas dem Land seiner universalistischen Sehnsüchte nun vor die Füße wirft, sind seine eigenen. Der Philosoph spürt das insgeheim. Auch er ahnt, dass alle säkularisierten Begriffe der Moral und der modernen Rechtslehre theologischen Ursprungs sind, deren Sprengkraft durch Rationalisierungen nicht einzuhegen sind.

Die Neokonservativen wissen das längst. Leo Strauss hat ihnen das beigebracht. Über ihn dürften sie auch mit den Schriften Carl Schmitts in Berührung gekommen sein. Zeitlebens hielt nämlich der deutsch-jüdische Politphilosoph, der 1938 in die USA emigrierte, regen Kontakt mit dem deutschen Staatsrechtler. Von ihm stammt die bis auf den heutigen Tag bedeutendste Auseinandersetzung mit dem "Begriff des Politischen". Auf sie wird zu einem späteren Zeitpunkt zurückzukommen sein.

Neue Großraumbildung

Karl-Otto Hondrich hat recht. Mit Multilateralismus allein lassen sich gewalttätige Konflikte nicht lösen. Das Kantische Paradies ist nicht von dieser Welt. Er hat aber unrecht, wenn er glaubt, dass Ordnung, Sicherheit und Freiheit sich nur mittels Gewalt herstellen lassen. Die Welt braucht weder einen Leviathan noch einen Katechonten, der andere niederhält oder ihren Fall in Anarchie und "Heillosigkeit" aufhält. Was die Welt vielmehr braucht, ist Machtgleichgewicht.

Macht wird allein begrenzt durch Gegenmacht. Im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen schließt das den Besitz von Atomwaffen nicht aus, sondern ein. Das Gebot der Stunde heißt daher nach wie vor Abschreckung. Nordkorea exerziert es vor. Sicherer, besser und friedlicher wird die Welt dadurch gewiss nicht, wie einem Bericht der New York Times zu entnehmen ist. Demzufolge gibt es bereits US-Pläne zum Sturz Kims. Aber vielleicht wird sie unabhängiger, vielfältiger, vielstimmiger.

Darum werden alle diejenige, die, in Abwandlung eines Bonmots von Carl Schmitt, nicht sous l'aeil des Americains leben möchten, um die Bildung einer alternativen Großraumordnung nicht herumkommen. Sam Huntington hat sie jüngst im Begriff der "Bruchlinie" neu belebt. Danach stehen sich an diesen Linien verschiedene Kulturkreise gegenüber. Sie leben in territorial abgegrenzten Räumen und ko-existieren schiedlich-friedlich miteinander.

Auch Huntingtons "Kulturkreise" sind "vom konkreten Raum her gedacht". Auch ihm ist klar, dass "ein die ganze Erde und Menschheit umfassendes, universalistisches Weltprinzip [...] naturgemäß zur Einmischung aller in alles [führt]." Selbstverständlich muss man die von Schmitt und Huntington ins Auge gefassten "Großräume" ihres "völkischen" Charakters entkleiden und ihnen einen postmodernen, nicht universalistischen Anstrich geben.

Alternativer Großraum

Nachdem die EU dafür nicht mehr in Frage kommt, weil für London der Ärmelkanal breiter ist als der Atlantik, kann das nach Lage der Dinge nur eine eurasische Macht sein, die Kerneuropa (Paris-Berlin) mit Moskau verbindet, eine Option, die schon Karl Haushofer in der Zwischenkriegszeit vorschwebte.

Warum osteuropäische Staaten (insbesondere Polen) darüber in Panik verfallen sollten, vermag ich nicht zu sehen. Die territoriale Nähe und die Kraft des Euro werden sie mittelfristig sowieso an die Seite Kerneuropas "zwingen", und das zu ihrem eigenen Vorteil. Geschichte wiederholt sich zwar, aber nicht immer gleich.

Ist es ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet rotgrüne Linke diese Option nun ernsthaft in Erwägung ziehen? "Amerika zerstört im Augenblick den Begriff des 'Westens'" und die dahinter liegende "Wertegemeinschaft", meint Gernot Erler, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender. Heute sei dieser Begriff "kein transatlantischer Identitätsbegriff mehr."

Vorerst meiden Sozialdemokraten und Grüne noch die Rede von einer "Achse Paris-Berlin-Moskau". Doch soll Russland in diesem "neuen Europa" künftig eine weitaus größere Rolle spielen als bisher. "Putin will Russland zu einem europäischen Staat machen und die EU will diesen Putinschen Weg nach Kräften unterstützen." Als Langzeitperspektive sieht Erler eine Partnerschaft, die auf "gemeinsamen ökonomischen, politischen und kulturellen Interessen" beruht.

Auch der konservative Strippenzieher Werner Weidenfeld sieht langfristig die Achse "Paris-Berlin-Moskau" als einzige, nennenswerte Alternative zur US-Hegemonie. Er bezweifelt allerdings, ob die genannten Länder ihre unterschiedlichen Interessen jemals bündeln und sich auf das Ziel: Einhegung des Imperiums verständigen werden können. Immerhin beginnen Paris und Berlin, zusammen mit einigen kleineren Staaten Kerneuropas (Belgien, Luxemburg), über den raschen Aufbau einer gemeinsamen Streitmacht (EVU) nachzudenken. Stürzt Schröder jedoch über seine "Agenda 2010", dann ist dies alles Schnee von gestern. Dann sind in Berlin wieder die Merkels und Schäubles am Zug, die Kräfte des alten Europas.

Der kommende Schlachtfeld der Welt

Bei all diesen Überlegungen sollte man den asiatisch-pazifischen Raum aber nicht vergessen. Spätestens Mitte des Jahrhunderts wird er Zentrum des Welthandels sein und die volle Aufmerksamkeit des Imperiums beanspruchen. Die Claims dafür werden soeben abgesteckt.

Der Nordkorea-Konflikt und die Diskussion um die künftige Rolle Japans (Atommacht oder bloße Wirtschaftsmacht) sind erste Vorboten. Bislang versuchte das Imperium abzuwiegeln und das Problem möglichst niedrig zu halten. Schließlich will es erst im Greater Middle East für Ordnung und Sicherheit sorgen. Für einen Zweifrontenkampf ist man trotz der in der NSS 1996 erhobenen Forderung weder militärisch noch politisch gerüstet (Der Koloss schwächelt).

Doch nach dem Eingeständnis Nordkoreas, im Besitz von Atomwaffen zu sein, scheint das Problem nicht auf die lange Bank verschiebbar. Statt mit Pjöngjang den von ihm gewünschten Nichtangriffspakt zu schließen, scheinen die Bushies zum Regimewechsel entschlossen. Die Schwelle von der Diplomatie zum Krieg wird offenbar gerade überschritten. Traut man Berichten, dann erwägt das Imperium bereits "Land- und Seeblockaden", wobei es auf die Mithilfe Chinas und Japans hofft. Für Nordkorea käme das allerdings einer Kriegserklärung gleich.

Ob hier nur geblufft wird oder ein neuer, diesmal viel blutigerer Krieg bevorsteht, ist noch nicht auszumachen. Noch will das Imperium den arabischen Raum zur Demokratie bekehren und dort Freihandel und Free Flow of Information einführen. Erst danach gedenkt man sich dem asiatisch-pazifischen Raum zuzuwenden, der von den aufstrebenden Mächten Indien und China dominiert werden wird. Erst in der Konfrontation mit diesen "überdimensionierten" Völkern und ihren Märkten wird sich zeigen, ob die Geschichte der Aufklärung mit dem Imperium Americanum zuende geht, ob seine Macht "ewig" dauern wird, oder ob es sich doch nur um eine kurze Episode der Geschichte gehandelt hat.

I'm just living out the American dream.
And I just realized that nothing is what it seems.

Madonna, American Life

Kriege sind Kriege um Ideen

"Alle großen Kriege sind Glaubenskriege", stellt Werner Sombart anno 1915 in Händler und Helden fest, "waren es in der Vergangenheit, sind es in der Gegenwart und werden es in der Zukunft sein."

Nicht anders sehen es die Bushies. Auch für sie der Krieg ein "ewiger "Kampf zwischen dem Bösen und dem Guten." Mit Leo Strauss teilen sie die Überzeugung, dass nur Ideen die Welt verändern. Gut ist, wenn sie sich mit globalen Interessen decken, mit einer historischen Mission, wie sie die Demokratisierung der Welt à la americain vorgibt. Diese Wahrheit zu erkennen, ist nach Strauss nur wenigen bescheiden.

So beharrlich kann demnach Geschichte sein. Und so dauerhaft können macht- und geopolitische Kontinuitäten wirken. Optionen, Drehbücher und Arrangements kehren auf die weltpolitische Bühne zurück, wie sie vor, während und nach WK I, WK II und WK III in Europa mit jeweils unterschiedlichen Gegnern, Rivalen und Darstellern uraufgeführt worden sind. Nur einer ist bei all diesen Tragödien immer der gleiche Spieler und Gewinner: die Vereinigten Staaten von Amerika. Werden sie auch WK IV erfolgreich beenden, den Krieg des einen gegen alle anderen?

Literatur