Der Parlamentarismus als Anachronismus

Seite 4: Die Versprechen von Demokratie sind Täuschung

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Die Wahl zu einem Parlament soll dafür sorgen, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, wie es der Artikel 20 des Grundgesetzes und ähnlich auch die Länderverfassungen vorschreiben. Wenn alle Staatsgewalt vom Volk ausgehen soll, dann müssten eigentlich alle maßgeblichen Amtsinhaber in allen Staatsorganen vom Volk gewählt werden. Es würde nicht genügen nur den Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten der Länder zu wählen, sondern auch alle Minister, alle Amts- und Gerichtspräsidenten und sonstige Funktionsträger mit erheblicher Kompetenz.

Man hat diese Privilegien den Parlamenten sowie den Spitzen der Administration überlassen, die ihre Position aber nicht einer Ermächtigung durch das Volk, sondern einem undurchsichtigen Netzwerk von Berufspolitikern verdanken. Demokratie, die Selbstherrschaft des Volkes, ist in der politischen Wirklichkeit Deutschlands nur eine Worthülse. Wahlen dienen vorwiegend als Zeremonie der formalen Machtlegitimation der gewählten Obrigkeit. Das Volk, von dem angeblich alle Staatsgewalt ausgeht, ist von gehaltvoller Beteiligung an der Staatsgestaltung ausgeschlossen und kann dem politischen System in vorgesetzten Wahlen entweder nur seine Zustimmung geben oder auf seine -ohnehin nur symbolischen- demokratischen Rechte verzichten. Das entmündigte Volk wurde nie gefragt, ob es die daher gewucherte Scheindemokratie der korrupten und unfähigen Parteioligarchen will oder vielleicht eine echt demokratische, weil volksunmittelbare Alternative bevorzugt.

Das Recht der politischen Teilhabe des Volkes mithilfe von Wahlen ist ein politisches Scheinrecht - denn damit können die Bürger nur entscheiden, von welcher Politclique sie nach der nächsten Wahl belogen, betrogen, ausgeplündert und administrativ schikaniert werden. Das Volk kann durch Ausübung des Wahlrechts keine Abgeordneten, und auf Bundes- und Landesebene keine Amtsinhaber zur Verantwortung ziehen. Über einen Wechsel der Regierung entscheidet nicht das Volk, sondern die Nomenklatura der Parteien. Ein Politikwechsel aufgrund von Wahlen ist illusorisch. Allenfalls Bürgermeister sind greifbar. Abstimmungen des Volkes sind auf Bundesebene nicht möglich, weil der Bundestag noch kein entsprechendes Gesetz erlassen hat, obwohl der fundamentale Artikel 20 des Grundgesetzes dies vorsieht.

Wenn die Bürger nur die Wahl zwischen Pest und Cholera haben, kann von einer Freiheit der Wahl keine Rede mehr sein. Die Gleichheit der Wahl beschränkt sich auf das Wahlverfahren, aber nicht auf das erzielbare Ergebnis. Die Wahlgesetze privilegieren die etablierten Parteien und halten neue Parteien von der politischen Teilhabe fern; darüber hinaus vernichten sie alle Stimmen für Parteien unter der 5%-Marke. Das Wahlrecht der Bürger ist insofern wertlos, als diese bei der Wahl keine substanzielle Entscheidungsfreiheit haben. Sie dürfen für eine Liste stimmen, auf der aber die Parteioligarchie schon -meist unbekannte- Kandidaten in der Reihenfolge ihres Parteigehorsams platziert hat. Auch die Direktkandidaten der Parteien werden fast ausschließlich von der Parteiobrigkeit bestimmt. Unabhängige Kandidaten haben so gut wie keine Chancen, weil sie in der Regel nicht bekannt genug sind und vor allem über keine Organisation verfügen, die ihren Wahlkampf unterstützt. Die bereits gewählten Mandatsinhaber können hingegen auf reichliche staatliche Ressourcen zurückgreifen. Eine Auswechslung unfähiger Politiker und eine Rekrutierung politischer Talente, auf die eine Demokratie angewiesen ist, kann der Wähler nicht erreichen.

Wählen hat also nur begrenzte Auswirkungen. Deshalb muss man sich wundern, dass immer noch so viele Bürger wählen gehen. Vermutlich handelt es sich dabei um einen Verzweiflungsakt zur Beruhigung des politischen Gewissens. Dann ist die Zustimmung für eine bestimmte Partei eher die Amnestie für begangene Fehler und die irrationale Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Die Parteien, denen das obrigkeitliche Grundgesetz eine privilegierte Stellung einräumt, leiden an einem auffälligen Mitgliederschwund, und sie haben kaum noch Rückhalt in der Bevölkerung. Die etablierten Parteien sind aber darauf gar nicht angewiesen, da sie direkt und indirekt vom Staat alimentiert werden und zusätzlich Spenden aus der Wirtschaft erhalten. Die Selbstversorgung der Parteien mit Staatsgeldern steht natürlich nicht im Grundgesetz, sondern ist die Frucht langjähriger parlamentarischer Wühlarbeit. Das gilt auch für die Fünf-Prozent-Klausel bei den Wahlen, die unerwünschte Konkurrenz von den Parlamenten fernhält, und ebenso für Listenwahlen, die den höheren Chargen der etablierten Parteien einen Parlamentssitz verschafft, noch bevor die Wahl stattgefunden hat.

Die Mandatsträger der Parteien in den Parlamenten sind in der politischen Wirklichkeit überwiegend Angehörige des öffentlichen Dienstes bzw. staatsnaher Organisationen oder staatsnahe Dienstleister, jedoch keine Vertreter des ganzen Volkes, wie es das Grundgesetz in Artikel 38 fordert. Daran könnte nur ein Aufstellungsverbot für Angehörige des öffenlichen Dienstes als Kandidaten etwas ändern, was auch dem Verfassungsgebot der Gewaltenteilung nach Artikel 20 Genüge tun würde. Die größte Zustimmung für das politische System kommt nicht zufällig von Bürgern, die dem öffentlichen Dienst angehören oder von ihm profitieren.

Die Freiheit des Gewissens, welche der Artikel 38 jedem Abgeordneten zubilligt, war 1949 eine Überreaktion des Verfassungsgebers auf Mißstände in der Frühzeit des Parlamentarismus, als man von Mandatsträgern eine gewisse Weltanschauung oder einen bestimmten moralischem Standpunkt erwartete. Wenn aber das Volk die Quelle der staatlichen Souveränität sein soll, dann darf eigentlich keinem Abgeordneten eine vom Volkswillen gelöste Entscheidung, auch nicht unter Berufung auf das private Gewissen erlaubt werden. Dieser Widerspruch ist gundsätzlich unauflösbar, d.h. allein schon deshalb ist ein Parlament untauglich, das Volk zu repräsentieren.

Die Gewaltenteilung, die in einer parlamentarischen Demokratie notwendig und vom Grundgesetz geboten ist, lässt sich nur dann lupenrein verwirklichen, wenn kein Regierungsmitglied zugleich auch ein Mandat im Parlament innehaben darf, was aber in der politischen Praxis eben nicht der Fall ist. Vielmehr verhilft die Doppelbeschäftigung in Parlament und Regierung einigen privilegierten Parteivertretern zu einem willkommenen Zubrot und illegitimer Macht. Weder der Bundestag noch die Länderparlamente haben sich mit diesen demokratiewidrigen Umständen jemals auseinander gesetzt, und für die öffentlichen Kundmittel ist dies ebenfalls nicht der Rede wert. Die Politikwissenschaft rechtfertigt alles, was nützlich ist oder scheint. Den Rest an wissenschaftlichen Zweifeln beseitigt die normative Kraft des Faktischen.

Die Kontrolle der Regierung durch das Parlament, wie es das Grundgesetz und die Länderverfassungen vorsehen, ist auch deshalb praktisch unmöglich, weil die Regierung von der regierungsnahen Parlamentsmehrheit auf Anweisung der zukünftigen Regierung gewählt wird. Zwar erfolgt die Wahl des Bundeskanzlers geheim, aber seine Gefolgsleute im Parlament werden durch die Aussicht auf Teilhabe an der Macht und lukrative Pfründe dizipliniert. Die Opposition geht bei der Verteilung der parlamentarischen Posten trotzdem nicht leer aus. Beim Zugriff auf die Staatskasse kennt das Parlament keine Opposition mehr und bildet eine faktische Allparteienkoalition.

Damit wird das Parlament, das nur in den Regierungsfraktionen politisch wirksam wird, zum Hilfsorgan der Regierung, die ihre Gesetzesvorhaben den Regierungsfraktionen aufdrückt. Die gesetzgeberische Arbeit des Parlaments ist bekanntlich mangelhaft, was sowohl die ordentliche Gerichtsbarkeit als auch das Verfassungsgericht regelmäßig bescheinigen. Mit einer unglaublichen Mischung aus Unfähigkeit und Dreistigkeit werden immer wieder Gesetze verabschiedet, bei denen unabhängige Fachleute schwere handwerkliche Fehler oder sogar Verfassungswidrigkeit feststellen, was dann später von den Gerichten bestätigt wird. Weil die Abgeordneten ihrer gesetzgeberischen Aufgabe -trotz üppiger Ausstattung mit Mitteln- scheinbar nicht gewachsen sind, holt sich die Regierung legislative Leiharbeiter aus der Wirtschaft, die oft komplette Gesetze im Sinne der Wirtschaft dem Parlament in die Feder diktieren. Damit wird die parlamentarische Demokratie ad absurdum geführt.

Die Volksvertreter machen sich die (keineswegs selbst verschuldete) Unmündigkeit des Volkes zunutze, um die scheinbaren Vorzüge des bestehenden Systems und seine Alternativlosigkeit zu rechtfertigen, wobei der -im internationalen Vergleich- immer noch beachtliche Wohlstand (den aber die Arbeitnehmer und nicht die politsch Verantwortlichen erarbeitet haben) als Legitimation für das System herhalten muss. Dieser Wohlstand beginnt mittlerweile dahin zu schmelzen, vor allem haben die Arbeitnehmer in den letzten Jahren reale Einkommensverluste hinnehmen müssen, während die Kapitalbesitzer, geschützt durch käufliche Volksvertreter, satte und unverdiente Gewinnzunahmen verzeichnen konnten.

In einer Demokratie sind alle gleich, erfährt man in der Schule, aber nur Wahlbürger werden von der parlamentarischen Demokratie vor der Wahl ernst genommen. Die Interessen der nicht wahlberechtigten Jugend werden hingegen ignoriert, und junge Erwachsene vernachlässigt. Kinderbetreuung, Schulbildung, Ausbildung und Studium sind zwar lebenswichtige Staatsaufgaben, welche die für die Zukunft des Landes sichern, aber unsere "Verantwortlichen" denken nur an die nächste Wahl.

Seit vielen Jahren weiß man, dass die Zukunft unserer Sozialsysteme, vor allem die Kranken- und Altersversicherung aus finanziellen Gründen keine Zukunft hat, wenn man sie ausschließlich aus Abgaben auf unselbständige Erwerbsarbeit finanziert, doch die Volksvertreter stehen wie gelähmt vor diesem Problem, erhöhen lieber die Beiträge und das Renteneintrittsalter, machen Schulden ohne Ende. Man beklagt fälschlich den Geburtenrückgang und die Langlebigkeit der Rentner als Ursache der drohenden Leistungsunfähigkeit. Es gibt genug Geld in Deutschland, jedoch ist es in den falschen Händen. Mit der Hälfte der leistungslosen Gewinne aus Kapitalertrag könnte man den ganzen Sozialstaat finanzieren. Für die Arbeitnehmer würde sich dann Leistung wieder lohnen, die Wirtschaft würde wegen der Kaufkraft des Volkes blühen, und es gäbe keine Arbeitslosen.

Gegen Gewinne, die auf einer wertschöpfenden wirtschaftlichen Leistung beruhen, ist nichts einzuwenden. Sobald aber Gewinne hauptsächlich dadurch erzielt werden, dass die Leistungsträger (das sind überwiegend Arbeitnehmer) durch Steuern, Abgaben, Gebühren, Provisionen und Zinsen, unter knebelnden und betrügerischen Bedingungen enteignet werden, kann man nicht mehr von einer legitimen Verteilung von Einkommern und Vermögen reden. Dazu muss auch der skandalöse Umstand gerechnet werden, dass Kapitaleinkommen seit Jahrzehnten steuerlich derart verschont werden, dass die heutigen Vermögen das Ergebnis einer illegitimen Umverteilung von unten nach oben darstellen. Das Parlament hat immer nur die Interessen des Kapitals, jeodch so gut wie nie die der Arbeitnehmer vertreten.

Für unsere Staatsbemächtigten und ihr nachgeordneten Netzwerke ist die parlamentarische Demokratie eine unantastbare, ja anbetungswürdige politische Errungenschaft, weil diese Usurpateure darin leben wie die Maden im Speck. Da man in Deutschland über die forschrittliche Alternative, die direkte Demokratie, so gut wie nichts hört, und wenn doch, nur skeptisch oder herablassend oder gar diffamierend, weiß das Volk gar nicht, wie sehr es um seine demokratischen Rechte als Souverän dieser Republik geprellt wird. Die arglosen und hilflosen, weil desinformierten Bürger können sich gar nicht vorstellen, dass man einen Staat auch volksunmittelbar aufbauen und verwalten kann, und dass man dazu keine unfähige Parlamente, keine korrupten Volksvertreter und auch keine demokratiefeindlichen Parteien als Träger der Staatsgewalt braucht. Es müssen nur alle Inhaber bedeutender staatlicher Gewalt direkt vom Volk gewählt werden und jederzeit auch wieder abwählbar sein.