"Die Rechten sind einfach viel besser im Nutzen sozialer Medien"

Seite 2: Es ist gelungen, die Interessen hinter der Identitätspolitik zu verstecken

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Ein wenig steckt hier der Trick dahinter Arme gegen Arme aufzuhetzen.

Karl Öllinger: Absolut. Meine Erzählung in den letzten Jahren war, dass ich mir das "Handbuch der freiheitlichen Politik" genau angeschaut habe, weil dies ein sehr aussagekräftiges Dokument ist über die sozialpolitischen Vorstellungen der FPÖ. Die zwar in erster Linie - wie auch im Regierungsprogramm - über die Ausländer- und Migrationsfrage abgehandelt werden. Trotzdem gibt das Buch einen Einblick, wie sich die FPÖ den Arbeitsmarkt der Zukunft vorstellt. Und der wäre nicht nur für die Migranten und Migrantinnen absolut negativ, sondern durch den Druck aufs Lohnniveau für alle.

Wieso gelingt es an diesen bunten Luftballon "Volksgemeinschaft" ein Riesenpaket Profitinteressen zu hängen und niemand bemerkt es? Die FPÖ bietet eine Gruppenidentität an für "unsere Österreicher" und dahinter verstecken sie ein rein neoliberales "Expertenkabinett", das streng auf ökomische und nie auf soziale Belange achtet.

Karl Öllinger: Da bin ich kein Experte. Es ist aber eine spannende Frage, die Sie stellen: das Überhandnehmen der Identitätspolitik gegenüber der Interessenspolitik und der Versuch, so zu tun, als stünde Identität über den Interessen, die aber nach wie vor bestimmend sind und sichtbar werden. An der Zusammensetzung eines Kabinetts und an einem Regierungsprogramm werden nicht Identitäten sichtbar, sondern Interessen. Trotzdem ist es gelungen, über Identitätspolitik, die teilweise auch von den Linken, wenn auch auf ganz andere Weise, mitbetrieben wurde, so zu tun, als würden Interessen keine Rolle spielen.

Egal welche Identität, als Patriot oder als Schwuler, man hat unterschiedliche Interessen. Ich habe es mir selbst zugeschrieben und gedacht, ich sei hoffnungslos veraltet im Denken, wenn ich mir eine Gesellschaft als von unterschiedlichen Interessen gestaltet vorstelle. Dabei besteht doch jede Person aus verschiedenen Identitäten.

Ein schönes Beispiel hierfür stammt von einer Ethnologin, die das Mühlviertel beforscht hat. Sie hat mit einen typischen Mühlviertler Pendler gesprochen, der nach Linz zur Voest einpendelt. Der hat sich selbst mit drei verschiedenen Identitäten beschrieben: Daheim in seinem Dorf ist er ein Schwarzer, ein ÖVPler, auf dem Weg in die Arbeit ist er ein Roter, ein SPÖler, und in der Firma ist er ein dunkelroter Kommunist. Das ist genial. Er kann seine unterschiedlichen Identitäten in Interessen auflösen. Dieser Mann, der sich selbst in seiner Widersprüchlichkeit beschreibt, ist weiter als die Politik insgesamt momentan.

Sebastian Kurz hatte Kurz in Österreich den Begriff "Willkommenskultur" eingeführt

Die Identität ist das eine, das andere ist das Angstschüren. Auch Erhard Busek, der als das intellektuell differenzierte Aushängeschilde der ÖVP gilt, sieht als Aufgaben der neuen Regierung, "uns zu schützen". Afghanen oder Tschetschenen stehen für "Terrorgefahr" und Religion sei ein Problem. Selbstverständlich nicht die katholische, aber der Islam, weil dieser "politisch instrumentalisiert" würde, was übrigens Busek genau in solchen Momenten selbst tut. Da entsteht scheinbar ein neuer Konsens in Österreich.

Karl Öllinger: Ja, das hat sich leider durchgesetzt in rasanter Geschwindigkeit, und es hat sich durchgesetzt, weil die ÖVP in dieser Frage vollkommen umgeschwenkt ist auf FPÖ-Linie. Dies lässt sich sehr gut nachvollziehen an der Person des neuen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, der als Integrationsstaatssekretär ausgezogen ist mit einem Begriff, den er selbst später madig gemacht hat.

Anfänglich war es Kurz, der in Österreich den Begriff "Willkommenskultur" eingeführt hat. Dies lässt sich nachvollziehen über Pressemeldungen im Jahr 2012/13. In der Bundesrepublik war der Begriff bereits verbreitet, in Österreich aber nicht. Zunächst entdeckt den Begriff die Wirtschaftskammer für sich, in einer - dies muss gar nicht unbedingt abwertend kommentiert werden - eindeutig interessensgeleiteten Haltung. Sie sagten, wir brauchen für Migranten eine Willkommenskultur. Sebastian Kurz ist dann herumgezogen durch Österreich und hat sich seine Lorbeeren als Integrationsstaatssekretär verdient, indem er sagte, wir müssen eine solche Willkommenskultur schaffen.

Er predigte bis 2015 Willkommenskultur, verstummte dann plötzlich und Ende 2015 schickte er seinen Adjutanten Gernot Blümel aus, der von "Willkommenskulturklatschern" sprach und dies heruntermachte. Ab 2016 war, wer noch Willkommenskultur sagte, plötzlich ein Gutmensch. An Kurz und diesem Begriff lässt sich dieser absolute Wandel der ÖVP gut nachzeichnen. Die ÖVP war immer von wirtschaftlichen Interessen geprägt, wenn es um Migration ging, aber auch von dem, was von christlicher Ideologie noch übrig war.

Wie viel ist von den christlichen Überzeugungen noch da? Anders gefragt: Inwieweit ist es Ihnen mit ihrer Aufklärungsarbeit durch die Internetseite "Stoppt die Rechten" gelungen, in ein bürgerlich-konservatives Lager hineinzuwirken?

Karl Öllinger: Nun ja, in erster Linie war unsere Arbeit darauf beschränkt, dass wir eine Informationsplattform bieten, bei der sich die Leute bedienen konnten. Wir haben den Anspruch dann erweitert, weil wir zusehends gemerkt haben, irgendwann stehen wir an. Deswegen haben wir versucht etwas über Bildungsarbeit in der grünen Bildungswerkstatt nach außen zu verbreiten.

Erstaunlicherweise ist es uns auch gelungen bürgerlich-konservative Kreise zu erreichen, was ich nie gedacht hätte. Da war ich vielleicht selbst ein wenig zu vernagelt, um mir vorzustellen jemand von denen würde auf die Informationen von "Stoppt die Rechten" zugreifen. In einer Diskussion mit einer früheren prominenten ÖVP-Abgeordneten rund um die letzte Bundespräsidentenwahl habe ich überrascht festgestellt, dass diese sich, was das freiheitliche Handbuch betrifft, aller unserer Argumente bedient hat. Sie hat auch eingeräumt, dass sie mit unseren Informationen in der ÖVP arbeitet. Das hat ihr gut gefallen. Ich war ganz baff, dass gerade diese Person zu uns kommt, die unter Schwarz-Blau I und II tätig war.

Allerdings muss man leider sagen, die Grünen haben hier aufgrund anderer Fehler völlig versagt, genauso wie die SPÖ. Diese Leute, die aus einem - ich verwende den Begriff ungern - "bürgerlichen Bewusstsein" heraus erstens Van der Bellen gewählt und zweitens sich in der Flüchtlingsbewegung politisiert haben, die hätten man besser erreichen müssen. Das sind ja nicht wenige, die sich auseinandergesetzt haben, die auf die Flüchtlinge zugegangen sind, die selbst initiativ geworden sind, und ich befürchte, die heute noch zu erreichen, dafür ist es jetzt schon wieder zu spät.

Teilweise haben wir versucht mit Leuten Kontakt aufzunehmen, die in ihren Heimatgemeinden von der FPÖ angegriffen wurden und teils massive Anfeindungen erlebt haben. Das waren natürlich nur einzelne, weil es ein Medium wie "Stoppt die Rechten" völlig überfordern würde, auch noch eine politische Plattform schaffen zu wollen. Die einzelnen Kontakte waren aber eine ganz wichtige Erfahrung, weil wir bemerkt haben die von Anfeindungen Betroffenen waren oftmals ehemalige ÖVP-Gemeinderäte, die über die Flüchtlingsbewegung und über die Van der Bellen-Wahlbewegung für sich ein neues politisches Ufer entdeckt haben. Die wurden nicht unbedingt grün oder sozialdemokratisch, die haben einfach gesagt: Ich will nicht so einen Bundespräsidenten wie den Norbert Hofer von der FPÖ.