"Die Rechten sind einfach viel besser im Nutzen sozialer Medien"

Seite 3: "Wer FPÖ wählt, ist kein Trottel"

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Der Eindruck den man in den letzten Jahren bekommen konnte ist: Es ist nicht gut gelaufen.

Karl Öllinger: (lacht) Milde ausgedrückt.

Q; Illustrieren wir das einmal mittels des unverfänglicheren Terrains der USA. Dort zeigt sich spektakulär, dass man einen Präsidenten oder jüngst einen Kandidaten für den Senat mit Roy Moore hat, die beide eindeutig multiples Fehlverhalten an den Tag gelegt haben. Eines, das auch gut dokumentiert ist, das aber von der Hälfte des Elektorats nur wahrgenommen wird als Argumente in einer Debatte. Aufklärungsarbeit erweist sich als ohnmächtig, wenn sich zeigt, dass wer im republikanischen Lager ist, beispielsweise sexuelle Übergriffe zwar für falsch hält, diese aber bereitwillig ausblendet im Falle des eigenen Kandidaten. Ähnlich war es mit den sprichwörtlichen "Einzelfällen" rechtsradikaler Umtriebe in der FPÖ, von denen viele in Österreich schlicht nichts mehr hören wollen und die Aufdeckung als Anfeindungen des gegnerischen Lagers sehen.

Karl Öllinger: Gefehlt hat hier, diese Einzelfälle einzubetten in eine etwas konsistentere und zusammenhängende Argumentation. Beziehungsweise man kann die FPÖ nicht nur damit angreifen, dass sich bei ihr immer wieder Neonazis und Rechtsextreme finden. Genauso wenig kann sie nur damit angegriffen werden, dass ihre Spitzenfunktionäre immer wieder mit Korruption in Verbindung waren.

Was mir über die Jahre insbesondere als Sozialsprecher der Grünen gefehlt hat, war, dass die Grünen in sozialen Fragen nie eine umfassendere Linie entwickelt haben und somit die Auseinandersetzung mit der FPÖ nie auf die, wenn man so will, großen Fragen der Menschheit gekommen ist. Also auf die soziale Frage und auf die ökologische Frage und hier hätte dann das eine mit dem anderen in Verbindung gebracht werden müssen.

Wenn jetzt, wie eingangs erwähnt, ein Hass auf FPÖ-Wähler entsteht, weil sie uns angeblich in das Schlammassel gebracht haben, dann greift dies viel zu kurz. Wer FPÖ wählt, ist kein Trottel, und die Partei hat - leider - eine gar nicht so wenig intelligente Wahlkampfstrategie verfolgt. Im Vergleich dazu waren wir Grünen fetzendeppart. FPÖler für dumm zu halten, wird dem Problem nicht gerecht. Die SPÖ hat das leider auch teilweise konterkariert, in dem ich mich mit SPÖ-Funktionären streiten musste, die mich fragten: "Warum greifst Du schon wieder den [damals dritten Nationalratspräsidenten] Martin Graf an. Lass ihn doch mal in Ruhe."

Der tut eh was für Tierschutz.

Karl Öllinger: (lacht) Genau. Meine Antwort war hier nicht, dass ich jetzt auf das im Einzelnen eingehe, sondern der SPÖ vorwerfe, dass sie der FPÖ in sozialen Fragen die Mauer macht. Denn auffälligerweise hat es immer genügend in der SPÖ gegeben, die behauptet haben, dass die FPÖ ihnen in sozialen Fragen die nächststehende Partei sei. Diese Einschätzung war fatal.

Natürlich gibt es Strömungen in der Sozialdemokratie, die sehr national orientiert sind. Sozialpolitik nur für unsere Leut'. Da kann man sich treffen. Das war Jahrzehnte lang auch das Programm der Gewerkschaften, aber Gottseidank hat man sich dann irgendwann einmal, zumindest schleichend, mit seiner eigenen Vergangenheit in der Sozialpolitik auseinandergesetzt. Leider gab es nie eine offene Debatte, wie es sie in Deutschland gab.

Hoher Moral, aber ohne politische Programmatik: Die Versäumnisse der Grünen in Österreich

Den Grünen konnten bei der Bundespräsidentenwahl Van der Bellens gewisse Sympathien für ein Weltbild der Offenheit und Toleranz verankern, das dann bei der Nationalratswahl, bei der es nur mehr 3,8% der Stimmen gab, plötzlich weg war. Gerade haben Sie anklingen lassen, dass der Grund dafür vielleicht in einer zu geringen ideologischen Arbeit gelegen sein könnte und alles nur an einzelne Personen gebunden blieb.

Karl Öllinger: Nein, nicht nur Personen. Zu geringe ideologische Arbeit lasse ich auf alle Fälle gelten. Allein der Umstand war fatal, dass die Grünen sich pausenlos auf die Schulter geklopft haben, weil sie in vier konservativen, von der ÖVP geführten Landesregierungen sitzen. Beziehungsweise in Kärnten auch mit der SPÖ, nur ist die Kärntner SPÖ wieder ein ganz eigenes Kapitel. Aber nur in einem einzigen Bundesland, nämlich in Wien, gibt es eine andere, eine rot-grüne Koalition. Dies prägt und diese Koalitionen verändern eine Partei, vor allem wenn sie die kleinere ist.

Ich sage nicht, dass es falsch war, solche Koalitionen mit Konservativen einzugehen, aber es herrschte allzu oft der Geist "Hauptsache wir sind irgendwo dabei". Das ist ein Fehler, denn es muss sichtbar gemacht werden, wofür man steht, und geschaut werden, was können wir von unseren Zielen auch umsetzen. Die Grünen haben sich hier sehr abschleifen lassen. Sie waren immer eine Partei, die von hoher Moral zwar, aber nicht von politischer Programmatik getragen wurde. Und das verdampft leider sehr schnell in solchen Kooperationen.

Wenn man als Funktionär einmal ein Jahrzehnt im Abseits war und nicht beachtet wurde, was den Grünen oft genug in Gemeinden und auf Landesebene passiert ist, und wenn man dann plötzlich wer ist und ein Regierungsamt hat, das verändert viel. Die deutschen Grünen haben, anders als die österreichischen, sehr viel früher die Möglichkeit gehabt, sich auch über Arbeit in den Gewerkschaften zu erden. In Österreich wäre es nicht vorstellbar, dass der Vorsitzende einer großen Gewerkschaft ein Grüner ist, das ist hierzulande exklusiv sozialdemokratisches Territorium.

Die SPÖ hat uns sogar Deals angeboten. Wenn ihr uns diese oder jenes überlasst, für das wir gemeinsam keine Mehrheiten finden werden, dann machen wir das gemeinsam mit der FPÖ und holen uns deren Zustimmung. Dafür verschaffen wir dann euch einen Zugang in die Gewerkschaft. Damit wurde also wie mit einem Gut gehandelt. Diese Verbindung wäre wichtig und nicht nur jene zu Bürgerbewegungen, die ja leider oft sehr diffus sind und die die Grünen ohnehin immer wieder gesucht haben, aufgrund ihrer Herkunft aus ökologischen Bewegungen, der Frauenbewegung und der Friedensbewegung. Das war ja in Österreich alles ähnlich wie in Deutschland, nur bei uns sind diese Quellen sehr schnell wieder versiegt. Die Friedensbewegung in Österreich ist tot, in Deutschland gibt es zumindest noch Rudimente.

Wenn sie nicht von Rechten gekapert wurden.

Karl Öllinger: Na klar. - Die Frauenbewegung detto. Die Bewegungen, aus denen sich die Grünen gespeist haben, sind nur mehr Rinnsale. Sich da eine neue Basis zu suchen und sich zu erweitern, ohne das Vergangene über Bord zu werfen, das haben die Grünen in Österreich versäumt. Es ist nicht leicht, ich komme selbst von einer alternativen Gewerkschaft und es gibt Fraktionen, die auch dieses Gedankengut in der Gewerkschaft pflegen und die ein zähes Leben am Rande führen, das aber sehr viel ausmacht.

Das Tragische ist, dass die Grünen im letzten Jahr es nicht einmal gespürt haben, dass sie abgekoppelt und abgekapselt sind und sich selbst abgenabelt haben von ihrer eigenen Jugend. Welche Partei schafft es innerhalb von zehn Jahren zwei Jugendorganisation abzuspalten? Man sagt denen einfach: "Schleichts Euch!" Das hat man nicht zu ein paar Funktionären gesagt, mit denen man vielleicht oder ziemlich sicher nicht mehr klar kommt, sondern man hat es zu allen gesagt.

Das Gleiche hat man dann mit den älteren gemacht. Da ist es nicht nur um den Peter Pilz gegangen, da ist es nicht nur um Männer gegangen, die Gabriela Moser ist schließlich kein Mann, sondern man hat verdiente und sehr engagierte Mandatare der Grünen mit einem bestimmten Alter verabschiedet. Dies wurde dann von vielen Älteren als Kriegserklärung aufgefasst. Erst haut ihr die Jungen raus und dann die Alten. Wer bleibt da über?

Da herrschte ein Selbstverständnis es gäbe eine ganz agile Generation, die zwischen dreißig und vierzig Jahren alt ist und die allein die Zukunft der Grünen wird gestalten können. Das kann nicht funktionieren und das wurde nicht einmal bemerkt. Bis zum Schluss hat man noch davon geträumt, dass man sich irgendwie in einer Aufholjagd befindet und sich bei 8 bis 10 Prozent bewegt. Das war jenseitig. Ich versteh, dass man in Wahlbewegungen wegdriftet und dass man sich von Negativem abschirmt, aber das geschah in viel zu hohem Maß.