Die Rückkehr der ETA

Anschläge niedriger Intensität sollen nach Verhaftungen von Führungsmitgliedern operative Fähigkeit beweisen, den Friedensvorschlag der Partei Batasuna nicht zerbomben und Druck auf die regierenden Sozialisten in Spanien auszuüben, einen Dialog zur Konfliktlösung aufzunehmen

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Die baskische Untergrundorganisation ETA meldet sich wieder verstärkt bewaffnet zu Wort. Hatte sie nach den verheerenden Anschlägen von Islamisten am 11. März (Blutiger Wahlkampf in Spanien) zunächst für Monate die Waffen ganz ruhen lassen, begann sie im Sommer damit, vereinzelte Kleinstbomben zu legen. Diese Anschläge niedriger Intensität mit Päckchen, deren Inhalt aus 200 bis 300 Gramm Sprengstoff besteht, hat die ETA in den letzten Wochen verstärkt. Allerdings kommt es auch wieder zu Attacken auf Firmen, Strommasten oder Militäreinrichtungen, die Sachschaden verursachen, wie am vergangenen Sonntag bei zwei Firmen im Baskenland.

So mussten vor dem verlängerten Wochenende im Freitagabendverkehr die Ausfallstraßen um die Hauptstadt Madrid gesperrt werden. Die ETA hatte eine Stunde im voraus vor fünf Bomben an Tankstellen gewarnt. Die Bomben geringer Sprengkraft, in Papierkörben deponiert, richteten kaum Sachschaden an, führten aber zu einem Verkehrschaos. Am 6. Dezember zündete sie nach dem gleichen Muster Bomben in sieben verschiedenen Städten. Dass am Sonntag 70.000 Menschen aus dem Stadion von Real Madrid evakuiert werden mussten, geht wohl nicht auf ihr Konto. Bei der Bombendrohung eines anonymen Anrufers im Namen der ETA geht die Polizei von einem Trittbrettfahrer aus, berichtete die Zeitung El Periódico.

Dass die ETA ihre Aktivitäten verstärkt, dürfte auf zwei Faktoren zurückgehen, die eng miteinander verknüpft sind. Nach dem Wahlsieg der spanischen Sozialisten im März waren zunächst Hoffnungen aufgekeimt, es könnte zum Dialog über eine Lösung des seit Jahrzehnten schwelenden Konflikts kommen. Die konservativen Vorgänger der Volkspartei (PP) waren acht Jahre lang mit massiver Repression vorgegangen. Sie hatten Kommunikationsmedien, politische Gruppen und Parteien verboten, ohne damit einer Lösung näher zu kommen. Die versprochene Zerschlagung der ETA blieb aus, die sich durch die massive Repression in ihrem Kampf nur bestärkt sah.

Nach dem Regierungswechsel verstärkten sich die Hoffnungen auch, weil der neue Ministerpräsident José Luis Rodruigez Zapatero sein Versprechen umsetzte und die spanischen Truppen aus dem Irak abzog. Die ETA begrüßte den Schritt und fordert von dem Sozialisten (PSOE) "mutige Gesten“ auch im Baskenland. Sie hoffte, die neue Regierung bringe "mehr gesunden Menschenverstand auf“, um einen Frieden zu erreichen, "der auf einem Dialog und der Anerkennung unserer Rechte basiert“.

Doch statt Gesten der Entspannung passierte genau das Gegenteil. Im September wurde ein schwerer Schlag gegen die Führung der ETA geführt. Dabei werden Mikel Albisu (alias Mikel Antza), seine Lebensgefährtin Marixol Iparragirre (alias Anboto) und weitere ETA-Mitglieder im französischen Baskenland verhaftet. Große Mengen Sprengstoff und zum Teil modernste Waffen, wie Boden-Luft Raketen, wurden beschlagnahmt. Die Operation war kein Zufall, wie zunächst behauptet, sondern das Ergebnis langer französisch-spanischer Ermittlungen.

Es war das Signal, dass ein Dialog von Zapatero nicht geplant ist. Denn mit Albisu wurde der Verhandlungsführer der ETA verhaftet, mit dem sich sogar die konservative Regierung 1999 in Zürich getroffen hatte. Beteiligungen an Anschlägen werden ihm nicht zur Last gelegt, weshalb ihn die französische Justiz nicht nach Spanien ausliefert.

Mit der Ausweitung ihrer Aktionen versucht die ETA nun Stärke und operative Fähigkeit zu beweisen, um dem Tenor nach den Verhaftungen zu begegnen, sie sei schwer getroffen. Gleichzeitig versucht sie, sich vom islamistischen Terror abzugrenzen, der wahllos Menschen zum Ziel macht und den sie verurteilt ("Das ETA-Dementi passt Madrid nicht in den Kram"). Die Art ihres Vorgehens zeigt: Sie will die Tür zu Verhandlungen offen halten, versucht der massiven Kritik an vielen mörderischen Aktionen der letzten Jahre Rechnung zu tragen, versucht aber gleichzeitig mit den Anschlägen, Druck auf die Sozialisten auszuüben, einen Dialog aufzunehmen. In dieser merkwürdigen Form stellt sich die ETA hinter den Friedensvorschlag der Partei Batasuna, auch wenn sie sich offiziell dazu noch nicht geäußert hat. Die in Spanien verbotene Partei), die der ETA politisch nahe steht, hatte im November im spanischen Baskenland mehr als 15.000 Anhänger versammelt, um einen Vorschlag für eine friedliche Beilegung des Konflikts zu unterbreiten.

Hervor sticht darin, dass die Partei "ausschließlich“ für den Einsatz "friedlicher Mittel“ wirbt. In einem Spagat fordert sie die ETA unterschwellig zur Waffenruhe auf, grenzt sich politisch von ihr ab, vermeidet aber ihre klare Verurteilung, wie es allseits von Batasuna gefordert wird. Gemäß des Vorschlags sollen alle sozialen und politischen Akteure im Baskenland "ohne Vorbedingungen“ untereinander eine Konfliktlösung aushandeln, die der Bevölkerung in einem Referendum zur Abstimmung vorgelegt werden soll. Die ETA wurde erstmals in die zweite Reihe verwiesen. Statt die Basken in Verhandlungen zu vertreten, sollte die mit Spanien und Frankreich nur über die Demilitarisierung, Gefangene, Flüchtlinge und Opfer verhandeln.

Dass die ETA den Vorschlag trägt, haben am Wochenende ihre Gefangenen deutlich gemacht. In einem Schreiben an die Tageszeitung Gara stellt sich das Gefangenenkollektiv weitgehend hinter den Plan. Bedingung sei aber, die repressive Politik gegenüber den Gefangenen zu beenden. Neben den Misshandlungen (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/12/12359/1.html) sprechen sie vor allem die Zerstreuung an. Obwohl das Strafgesetz eine heimatnahe Strafverbüßung vorsieht, sind sie fast alle Hunderte Kilometer vom Baskenland entfernt inhaftiert.

Eigentlich sind die Bedingungen für eine friedliche Lösung derzeit objektiv so günstig wie nie zuvor. Die radikale Unabhängigkeitsbewegung ist in ihrer Gesamtheit bereit, weitgehende Konzessionen zu machen, um den für alle schmerzhaften Konflikt beizulegen. Nun müsste sich vor allem auch in der spanischen Regierung die Minderheitsposition durchsetzen, dass der Konflikt militärisch/polizeilich nicht zu lösen ist. Sonst wird er so lange gewalttätig weiter schwelen, bis der Bevölkerung im Baskenland das Recht erhält, in einer freien und fairen Abstimmung demokratisch über ihre Zukunft zu bestimmen.