Die Schuldenbremse funktioniert noch besser als erwartet
Die Schuldenbremse begrenzt den Handlungsspielraum politischer Entscheidungsträger. Doch ist das wirklich schlecht? Unser Gastautor hat dazu eine klare Meinung.
Die Schuldenbremse stellt eine demokratisch auferlegte Einschränkung des Handlungsspielraums politischer Entscheidungsträger dar. Obgleich sich der deutsche Staat am Markt problemlos höher verschulden könnte, gilt die Schuldenbremse als eine Begrenzung, die verhindern soll, dass die politischen Entscheidungsträger genau dies tun. Deshalb kann die Regierung nicht alle ihre Projekte realisieren, sondern nur jene, die auf ihrer Prioritätenliste weiter oben stehen.
Eine Einschränkung wie die Schuldenbremse ist sinnvoll, wenn man davon ausgeht, dass Politiker nicht nur das Wohl der Bürger im Auge haben, sondern auch ihre eigenen Interessengruppen, ihre eigene Karriere sowie ihre eigene Ideologie.
Viele politische Entscheidungsträger mögen überzeugt sein, dass ihre Projekte besonders wichtig sind und daher vorrangig bedient werden müssen. Tatsächlich mag manch angestoßenes Projekt das Potenzial haben, den Wohlstand für alle langfristig zu fördern.
Die Schuldenbremse bremst daher sowohl potenziell schlechte als auch leider manche für die Bürger gute Projekte aus, denn letztere stehen nicht immer hoch oben auf der Prioritätenliste der politischen Entscheidungsträger.
Wer glaubt, dass politische Entscheidungsträger mit zusätzlichen Finanzmitteln eher ineffiziente und schlechte Projekte realisieren, befürwortet eine strikte Schuldenbremse, möglichst ohne Ausnahmen und fest verankert in der Verfassung, wie dies in Deutschland der Fall ist.
Wer eher glaubt, man könne fortwährend Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Politik haben, mag gegen eine strenge Schuldenbremse sein.
Reduktion des Problems der Zeitinkonsistenz
Doch ein wie immer gearteter Glaube allein greift zu kurz. Wer auf Regeln wie der Schuldenbremse besteht, hat oft einen realistischeren Blick auf die Akteure im politischen Prozess.
Der Zeitraum, in dem Politiker Regierungsverantwortung tragen, ist eher kurz, mitunter sogar kürzer als eine reguläre Wahlperiode. Auch wenn eine Regierung gute Projekte und hehre Ziele hat, leiden die Entscheidungsträger unter Zeitinkonsistenz: Wie ganz normale Menschen mögen sie gute Vorsätze haben, aber es fällt ihnen schwer, sich daran zu halten.
Sie wollen zwar langfristig solide Staatsfinanzen, doch im Hier und Jetzt ist ihnen einfach etwas anderes wichtiger. Zu groß ist die Versuchung, in der Gegenwart mehr auszugeben, weil es auch für ihren nächsten Wahlkampf von Vorteil sein könnte.
Das Problem der Zeitinkonsistenz wird durch die zunehmende Polarisierung der Politik noch verstärkt. Polarisierung bedeutet mitunter, dass es wahrscheinlicher wird, dass alsbald andere Politiker mit ganz anderen Zielen in der Regierung sein werden. Dann aber ist es für die heute Regierenden besser, jetzt viel Geld auszugeben, da die Lasten der heutigen Entscheidungen die politischen Gegner tragen müssen und so deren Spielraum eingeschränkt wird.
Möglicherweise erklärt dies, warum manche politischen Entscheidungsträger der aktuellen deutschen Regierung gerne die Schuldenbremse missachten würden, da sie wissen, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit in der nächsten Legislaturperiode nicht die Kosten der höheren Schuldenlast tragen müssen.
Eine Schuldenbremse wie in Deutschland reduziert das Problem der Zeitinkonsistenz der Politik. Sie verhindert, dass die Regierung übermäßig Schulden macht, und zwingt sie dazu, bereits heute etwas disziplinierter zu haushalten. Insofern funktioniert die Schuldenbremse so, wie man es gemäß der einschlägigen polit-ökonomischen Fachliteratur erwarten kann.
Informationen durch Schuldenbremse im politischen Prozess
Doch leistet die Schuldenbremse sogar mehr, als gemäß der Literatur zu erwarten wäre. Erstaunlicherweise vereinfacht sie es den Bürgern, die Kompetenz der Regierenden und deren Umgang mit der Verfassung zu beurteilen. Im polit-medialen Prozess führt sie zu etwas besserer Information der Bürger.
Die Bürger sind in der Regel nicht besonders gut über Politik informiert und es fällt ihnen schwer, die Kompetenzen politischer Entscheidungsträger einzuschätzen.
Schlimmer noch: Es ist für den einzelnen Bürger sogar rational, ignorant gegenüber der Politik zu sein und sich nicht über Details wie Haushaltsverhandlungen zu informieren. Denn es kostet viel Zeit und Mühe, gut informiert zu sein, und selbst ein gut informierter Bürger kann den Wahlausgang nicht entscheidend beeinflussen.
Rationale Uninformiertheit ist das Ergebnis. Doch die polit-mediale Diskussionen über den Haushalt und den Haushaltsstreit, die durch die Schuldenbremse laufend präsent sind, dienen den Bürgern als grober Indikator für die Kompetenz der Regierenden und deren Ernsthaftigkeit im Umgang mit der Verfassung.
Jedem Bürger, auch dem uninformierten, leuchtet ein, dass Geld auf Pump auszugeben relativ einfach ist und damit vielleicht kurzfristig mancher Erfolg erkauft werden kann.
Gleichzeitig wissen die Bürger auch, dass es nicht so einfach ist, einen ordentlichen Haushalt unter Einschränkungen wie der Schuldenbremse zu erstellen. Wird der Haushalt ohne großen Streit erstellt, wäre das ein Indikator für die Kompetenz und Arbeitsfähigkeit der Regierung.
Auch wissen die Bürger, dass im Budget immer ein gewisser Spielraum für kreative Buchführung besteht. Während ein Betreten der Grauzone der Verfassungskonformität nachvollziehbar ist, da politische Entscheidungsträger Geld zur Erfüllung ihrer Projekte wollen, bietet bereits die Diskussion über einen möglicherweise nicht verfassungskonformen Haushalt einen Indikator, wie ernst es die Regierung mit der eigenen Verfassung nimmt.
Kommt noch ein Urteil wie jenes des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2023, stellt dies einen weiteren Hinweis dar, mit welchen Varianten von kreativer Buchführung sich die politischen Entscheidungsträger mehr Geld zu verschaffen suchten.
All diese Hinweise dienen dem rational uninformierten Bürger als Indikatoren, die sehr günstig verfügbar sind und dazu noch ein leicht anrüchiges Element haben – so geht es ja umgangssprachlich nicht um "kreative Buchführung", sondern um "Trickserei".
Damit spricht die generierte Information im Haushaltsstreit auch die Emotionen der Bürgen an und wird so für den Medienkonsumenten besonders konsumwürdig, weshalb die Medien auch gerne und ausgiebig berichten. So trägt der Streit um den Haushalt erstaunlicherweise zu einer besseren Informiertheit der Bürger über die Kompetenz und Ehrlichkeit der politischen Entscheidungsträger und der Politik insgesamt bei.
Herausforderung: Investitionen
Nun ist es aber so, dass der Erfolg der Schuldenbremse neue polit-ökonomische Probleme mit sich bringt. Es herrscht eine gewisse Einigkeit in der Gesellschaft, dass eine Reihe sinnvoller Investitionen in die Infrastruktur und Verteidigung nötig wären, die mittel- und langfristig positive Effekte zeigen könnten beziehungsweise notwendig sind.
Doch kreditfinanzierte Investitionen werden aufgrund der geltenden Buchführungsregeln auf das aktuelle Defizit angerechnet, und für diese gilt die Schuldenbremse. Also müsste die Regierung ihre Konsumausgaben, wie zum Beispiel Sozialleistungen, senken, wenn sie mehr investieren möchte, denn Investitionen in Infrastruktur stehen auf ihrer Prioritätenliste offenbar nicht so weit oben.
Investitionen in Infrastruktur induzieren ein neues Problem mit der Zeitinkonsistenz, das insbesondere mit der zunehmenden Polarisierung in der Politik schwerwiegender wird.
Sowohl die Regierung als auch große Teile der Opposition behaupten zwar, dass Infrastrukturinvestitionen wichtig seien. Doch bevorzugen die Entscheidungsträger verständlicherweise eher kurzfristige Ausgaben, die ihnen unmittelbar im nächsten Wahlkampf zugutekommen könnten, anstatt in die Infrastruktur zu investieren und dafür wegen der Schuldenbremse beim Staatskonsum zu sparen.
Das ist verständlich, denn von den mittel- und langfristigen Vorteilen von Investitionen würden vor allem zukünftige Regierungen profitieren. Und je polarisierter die Politik ist, desto eher setzt sich die zukünftige Regierung aus anderen Parteien zusammen, denen die derzeitig Regierenden die Vorteile der Investitionen nicht gönnen.
Was also tun? Die Lösung ist bekannt und läge sowohl an Opposition als auch Regierung: So könnte gemeinsam ein Sondervermögen verabschiedet werden, das es der Regierung erlaubt, tatsächlich in die Infrastruktur zu investieren.
Diese Lösung würde die langfristigen Vorteile von Infrastrukturinvestitionen anerkennen und gleichzeitig die kurzfristige Haushaltsdisziplin mit Schuldenbremse formal wahren. Die derzeitige Regierung wäre weniger eingeschränkt und die zukünftige Regierung zöge die Vorteile aus den Investitionen, hätte aber auch das Problem der Schulden.
Doch was so einfach klingt, ist nicht leicht umsetzbar. Denn nicht jede Partei erachtet die gleichen Ausgaben als sinnvolle Investitionen. Die einen wollen eher Straßen sanieren und bauen, die anderen die Bahn ausbauen.
Ob eine Transformation hin zu einer klimaneutraleren Wirtschaft als "Investition" oder eher als Veränderung des Kapitalstocks zu betrachten ist, ist ebenfalls unklar.
Angesichts der vielen Abgrenzungsschwierigkeiten, der politischen Realitäten und des oft eigennützigen Verhaltens der Entscheidungsträger kann es weiterhin zweckmäßig sein, dass auch bei Investitionen die Schuldenbremse gilt.
Prof. Dr. David Stadelmann ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth (Deutschland); Senior Fellow am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik; Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Management and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.