Die Sieger auf Beweissuche im Morgenland
Noch fehlt ein wirklicher Beweis zur Kriegslegitimation, die britische und amerikanische Regierungen üben sich schon in der Rhetorik des Verschwindens, aber auch al-Qaida ist stumm geworden
Mit den angeblich im Irak befindlichen Massenvernichtungswaffen, dem offiziellen Kriegsgrund der Alliierten, sieht es noch immer schlecht aus. Obgleich schon bald vier Wochen im Land wurde von Amerikanern oder Briten noch immer nichts gefunden. Vermutlich sollen auch deswegen keine unabhängigen UN-Inspektoren ins Land (Poker um die Sanktionen). Immerhin versprach der britische Außenminister Jack Straw, dass man keine Funde vortäuschen werde. Aber wer soll das eigentlich noch glauben, hatte doch etwa sein Chef ebenso wie US-Präsident Bush immer von zweifelsfreien Beweisen für das Vorhandensein von Waffen gesprochen. Seltsam ruhig ist es auch um Bin Ladin und al-Qaida geworden.
US-Präsident warb erst am Donnerstag wieder für den militärischen Erfolg im Irak und den "historischen Tag für die Sache der Freiheit". Man habe nicht nur einen grausamen Diktator gestürzt, sondern auch die Welt sicherer gemacht. Hussein habe mit Terroristen kooperiert: "Und das Regime war bewaffnet mit Massenvernichtungswaffen." Die habe das Regime 12 Jahre lang versteckt, weswegen nun Zeit notwendig ist, sie zu finden. Die gab es aber vorher nicht für die UN-Waffeninspektoren, was Bush geflissentlich übergeht.
Besonders effektiv scheint man die Suche allerdings nicht zu betreiben. Von den vorgesehenen 20 "mobile exploitation teams" sind erst zwei im Einsatz. Die bislang befragten Wissenschaftler, die an der irakischen Rüstungsproduktion beteiligt waren, haben sich freiwillig gemeldet und erklärt, der Irak habe keine Massenvernichtungswaffen. Es gab zwar letzte Woche eine Meldung, dass ein Wissenschaftler die US-Experten an ein Versteck geführt haben soll. Überdies habe er gesagt, es seien Massenvernichtungswaffen zerstört worden. Seitdem hat man aber nichts mehr gehört (Geheime Machenschaften und verdächtige Zeugen).
Die Washington Times berichtet heute zwar, dass man in Naiji in der Nähe von Tikrit 14 Tonnen mit einer Flüssigkeit gefunden habe, die zur Herstellung von chemischen Waffen dienen könnten. Angeblich habe man Sarin- und Senfgas-Elemente in einem Fass entdecken können. Mitteilungen solcher Art, die dann doch nicht den schlagenden Beweis ergaben, gab es allerdings schon öfter.
Nissar Hindawi, der in den 80er Jahren und bis Mitte der 90er Jahre am irakischen Programm für biologische Waffen beteiligt war und vor einiger Zeit vom Hussein-Regime ins Gefängnis gesteckt wurde, soll am Freitag berichtet haben, dass die UN-Inspektoren angelogen worden waren. Zu seiner Zeit habe man große Mengen von Botulinus und von flüssigem Milzbrand hergestellt. Später seien Teile oder alles vernichtet worden. Der Irak habe aber nicht die Möglichkeit gehabt, Milzbrand als Pulver herzustellen. Flüssiges Anthrax aber wird schnell unwirksam. Allerdings scheint Hindawi, der sagt, er sei zur Mitarbeit beim Waffenprogramm gezwungen worden, kein sehr glaubwürdiger Zeuge zu sein.
Wenn keine Massenvernichtungswaffen gefunden werden, wurden sie zu gut versteckt oder zerstört
Aber Bush hat auch schon eine Antwort, wenn man Massenvernichtungswaffen nicht finden sollte. Der Diktator hat sie dann vernichtet: "But we know he had them. And whether he destroyed them, moved them, or hid them, we're going to find out the truth." Dass die Version, Hussein habe die Waffen zerstören lassen, zur rhetorischen Rechtfertigung zu werden scheint, klang auch bei Ari Fleischer durch, der versicherte, der Irak habe Massenvernichtungswaffen zumindest bis zum Beginn des Krieges gehabt: "We can't explain why they may have destroyed some of them. Perhaps over time we will find out what drove them to do that. Perhaps it was the fear of actually being discovered, caught red-handed with the very weapons we said they had."
Die "Logik", eher schon "Rhetorik", scheint so zu gehen: Hussein hatte Massenvernichtungswaffen. Wenn wir sie nicht finden, hat er sie gut versteckt oder zerstört. Und dass er sie so gut versteckt oder rückhaltlos zerstört hat, zeigt erst recht die Gefährlichkeit des Regimes. Oder, in Worten von Ari Fleischer, der auf die Frage antwortete, ob es möglicherweise keinen wirklichen Beweis gebe: "Only if you presume that it's possible to destroy something that you never had."
Es gibt freilich einen Haken über die immanente Schwäche der Beweisführung hinaus, die man im Pentagon schon früher gut jesuitisch ausgefeilt hatte (Rumsfeld und der Gottesbeweis): Wenn Hussein sie vernichtet hätte, wäre der Irak schon keine Bedrohung mehr für die Welt und die USA gewesen - oder hat er sie gar zerstören lassen, um die britische und amerikanische Regierung womöglich aus dem Grab heraus noch zu ärgern? Aber das wären Feinheiten, die nach einem Sieg keine Rolle mehr spielen. Man kann erwarten, dass die fehlende Rechtfertigung der geschichtlichen Amnesie und der Realpolitik anheim fallen wird.
Auch die britische Regierung windet sich
Besonders stark hatte sich der britische Regierungschef Tony Blair für den notwendigen Krieg gegen den Irak gemacht. Die Faktenzauberei schien jedoch selbst den Geheimdiensten gelegentlich zu weit zu gehen (Lesen Sie den CIA-Bericht noch einmal!). Schon im September des letzten Jahres hatte er, um die Weltgemeinschaft und den Sicherheitsrat zu überzeugen - was ihm auch später mit seinem aus dem Internet abkopierten Dossier nicht recht gelang (Geheime Cut-and-Paste-Informationen) - ein Dossier über Massenvernichtungswaffen vorgelegt. "Jenseits allen Zweifels" hätten die Geheimdienste den Beweis erbracht, schrieb er damals, dass "Saddam weiterhin chemische und biologische Waffen produziert hat" (Beweise jenseits allen Zweifels ...). Zudem war alles ganz gefährlich, denn nach dem Dossier und Blair wäre Saddams Regime in der Lage, innerhalb von 45 Minuten nach Befehl diese einzusetzen.
Noch Außenminister Powell versuchte in seiner UN-Präsentation am 5. Februar die die Gefährlichkeit der irakischen Massenvernichtungswaffen zu demonstrieren (Nichts als die Wahrheit oder Onkel Powells Märchenstunde?). Auch bei ihm natürlich alles Beweise: "Jede Aussage, die ich heute mache, wird unterstützt durch Quellen, solide Quellen. Das sind keine Behauptungen. Wir geben Ihnen Fakten und Schlussfolgerungen, die auf soliden geheimdienstlichen Erkenntnissen basieren." Hans Blix hat vor kurzem erst wieder deutlich gemacht, dass es sich dabei im Wesentlichen um Behauptungen und sogar um Fälschungen gehandelt hatte. Nach Powell könnte das Irak-Regime in einem Monat genügend biologische Agenten herstellen, um Hunderttausende von Menschen zu töten. Zeit genug bis zum Beginn der Krieges wäre gewesen. Überdies besitze der Irak - "nach unseren konservativen Schätzungen" - "100 bis 500 Tonnen Substanzen für chemische Waffen". Wenn es nur 100 Tonnen wären, so Powell, so könne Hussein auf 100 Quadratmeilen "mass casualities" verursachen.
BBC hat beim britischen Außenminister nachgefragt. Jack Straw versicherte, dass es wesentlicher einfacher sein würde, den Krieg zu rechtfertigen, wenn man Massenvernichtungswaffen finden würde. Gleichzeitig sei das Finden von Waffen aber nicht die Rechtfertigung der militärischen Aktion. Überdies bestehe die Verletzung der UN-Resolution 1441 und der vorhergehenden Resolutionen in der ungenügenden Kooperation, weswegen die Massenvernichtungswaffen eigentlich unerheblich wären, wie Straw unterstellt.
Der Nachweis von Massenvernichtungswaffen als Kriegsrechtfertigung lässt sich aber nach allen Äußerungen der britischen und amerikanischen Regierung nicht ganz ableugnen. Straw ist sich klar, dass ohne unabhängige Experten jeder Fund stets bezweifelt werden würde. Aber die US-Regierung will diese bekanntlich nicht wieder ins Land lassen. Für Straw ist das Finden eines materiellen Beweises auf jeden Fall "schwer", weil das Regime seit dem Beginn der Warnungen Monate Zeit hatte, diese zu verstecken. Und dazu hatte es auch "unbezweifelbare Fähigkeiten". Straw bleibt jedoch dabei, dass der Irak solche Waffen besessen habe.
Seltsam freilich ist, warum das Regime, mit dem Untergang vor Augen, die Waffen nicht eingesetzt hat, wie dies oft prophezeit wurde. Möglicherweise ist der Grund, so fragt etwa auch die britische Times, dass Hussein eben keine hatte. Dass aber darf nicht sein, weswegen der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon beispielsweise BBC am Donnerstag sagte, dass die Massenvernichtungswaffen in der Zeit, als die Waffeninspektoren im Land waren, "über den ganzen Irak hinweg verstreut und gut versteckt waren". Daher sei auch gar nicht erstaunlich, wenn man noch nichts gefunden habe, obgleich er auch sagt, man kenne die "Lagerorte der Massenvernichtungswaffen". Dass man sie aber nicht, wenn sie übers ganze Land verteilt wurden, innerhalb von 45 Minuten einsetzen könne, wie das im Dossier der britischen Regierung behauptet wurde, liegt auf der Hand.
Daraufhin von BBC gefragt, kann sich Hoon nicht so ganz mehr an das Dossier erinnern. Kurz vor dem Krieg meinte er freilich noch, dass die Massenvernichtungswaffen "heute eine sehr ernsthafte Gefahr" darstellen. Und nur weil der Angriff plötzlich die Kommandostrukturen zerstörte, wären sie nicht eingesetzt worden. Zeit genug hätte es zur Vorbereitung zwischen Ankündigung des Krieges und der ersten Bombardierung allerdings schon gegeben, schreibt ironisch die Times. Überdies sei es seltsam, dass das Regime so gut organisiert gewesen sei, die Waffen so gut zu verstecken, dass die Befreier bis heute noch keine Spur von ihnen gefunden haben, während es gleichzeitig so desorganisiert gewesen war, keine einsetzen zu können. Aber Hoon ist überzeugt: "We certainly will find WMD - that was the primary reason for invading Iraq and bringing down the regime - but at the same time, the beneficial consequences cannot be under-estimated to the people of Iraq."
Wurden die Massenvernichtungswaffen vielleicht nach Syrien geschafft? Das ist tatsächlich unwahrscheinlich. Nicht nur, weil man dort sicherlich angesichts der Kriegsvorbereitungen vorsichtig gewesen wäre, sondern auch, weil dies durch Satellitenüberwachung auch festgestellt worden wäre. Schließlich ging es möglicherweise um Dutzende von mobilen Labors und vielen Tonnen von chemischen Waffen mitsamt Sprengköpfen und Trägerraketen. Terroristen hingegen, so vermutet die Times, könnten die chemischen oder biologischen Waffen vermutlich deswegen schon nicht gebrauchen, weil man nicht nur große Mengen für einen Anschlag benötigen würde, sondern auch die notwendigen Mittel wie teure Trägerraketen oder Flugzeuge. Bliebe vielleicht radioaktives Material für eine "schmutzige Bombe".
Das aber könnte man auch anderweitig erhalten, zudem ist die wohl einzige Nuklearanlage in Tuwaitha von den Inspektoren genau und wiederholt untersucht und versiegelt worden. Möglich wäre allerdings, dass nicht waffenfähiges, aber für eine schmutzige Bombe zu gebrauchendes Uran etwa nach Kriegsbeginn von Plünderern geraubt worden ist. Dazu liegt noch keine Überprüfung vor, aber das wäre schwerlich dem Irak-Regime selbst zuzurechnen. Und mitgenommen haben die flüchtenden Regime-Angehörigen die Waffen, falls es sie gegeben haben sollte, wohl auch nicht, wenn sie schon Millionen von Dollar in Cash versteckt zurückgelassen hatten, weil sie es wohl nicht transportieren konnten.
Ist der Internationale Terrorismus bereits handlungsunfähig?
Aber da ist auch noch al-Qaida. Noch immer konnte kein Nachweis erbracht werden, dass es tatsächlich zwischen dem Hussein-Regime und der Terrororganisation nähere Kontakte gegeben hatte. Für Bush aber war dies eine der Rechtfertigungen des Krieges, da al-Qaida mit dem 11.9. die unmittelbare Bedrohung deutlich gemacht habe. Die Festnahme des ehemaligen Geheimdienstchefs Farouk Hijazi soll nun wenigstens den Beweis erbringen, dass das Hussein-Regime in Kontakt mit al-Qaida gestanden hat. Die Chancen aber stehen auch hier nicht gut für überzeugene Nachweise.
Auch in diesem Zusammenhang gab es einen neuen Fund des Telegraph-Reporters, der schon für mehrere Enthüllungen verantwortlich war, deren Bedeutung sich allerdings erst noch herausstellen muss (Britischer Labour-Abgeordneter am Pranger). Angeblich habe er in der Geheimdienstzentrale in Bagdad Dokumente gefunden, die zeigen, dass im März 1998 ein al-Qaida-Angehöriger vom Sudan aus nach Bagdad eingeladen worden sei. Das Treffen mit irakischen Geheimdienstmitarbeitern habe eine ganze Woche gedauert, man habe auch einen Besuch von Bin Ladin diskutiert. Damals stand dieser noch nicht auf der US-Fahndungsliste ganz oben, die Anschläge auf die zwei US-Botschaften in Afrika erfolgten erst später. Für den Telegraph ist das Treffen im Jahr 1998 der "Beweis" dafür, dass "Saddam mit Bin Laden zusammen gearbeitet hat". Es habe sich um ein "enges Verhältnis" gehandelt.
Auffällig ist überhaupt, dass al-Qaida nicht den Irak-Krieg zu weiteren Anschlägen ausgenutzt hat (Warum schweigt bin Laden?). Vor dem Krieg hat angeblich Bin Ladin - oder wer auch immer - dazu aufgerufen, den Irakern zu helfen, auch wenn das Regime nicht islamisch sei. Es gehe um den Kampf gegen die amerikanischen Invasoren, nicht für das Hussein-Regime. Geraten wurde zu Selbstmordanschlägen. Man solle auch vor den Bombardierungen keine große Angst haben, schließlich seien Bin Ladin und seine Getreuen auch von Tora Bora den Bombardierungen entgangen (Wie eine Tonbandbotschaft vielen Zwecken dient). Aber nicht nur löste sich das Regime schnell militärisch auf und tauchte unter, es kam auch kaum zu ernsthaftem und vor allem erfolgreichem Widerstand von Selbstmordattentätern, auch wenn aus anderen arabischen Ländern Kampfwillige eingereist waren. Und auch im Ausland trat al-Qaida nicht, wie von vielen erwartet, mit spektakulären Attentaten hervor.
Das könnte nicht nur zum Problem von al-Qaida, sondern auch von der amerikanischen Regierung werden. Die Terrororganisation zeigt, dass sie womöglich nicht mehr handlungsfähig ist. Vielleicht hatten die Festnahme von Khalid Mohammed in Pakistan und die vorhergehenden Verhaftungen die Organisation für weitere Aktionen zu sehr geschwächt. Es bleibt zumindest seltsam, warum der Krieg gegen den Irak, der viele Araber emotional berührt hat, nicht ausgenutzt wurde.
In Verlegenheit gerät aber womöglich auch die Bush-Regierung. Nicht nur fehlt eine wirkliche Verbindung zwischen Hussein und al-Qaida und daher zwischen dem Irak und dem 11.9., sondern womöglich war der Krieg gegen den internationalen Terrorismus auch erfolgreich oder al-Qaida keine so große Bedrohung. Wäre al-Qaida tatsächlich handlungsunfähig oder gar weitgehend zerschlagen, dann wäre aber auch die politische Strategie der Bush-Regierung, die nationale Sicherheit, den Ausbau des Überwachungsstaates, das militärische Vorgehen gegen Terroristen und Schurkenstaaten sowie steigende Rüstungsausgaben in den Vordergrund zu stellen, auf Chimären erbaut.
Problematischer freilich könnte werden, die militärisch mit leichter Hand vorgenommenen Regime-Wechsel in Afghanistan und im Irak langfristig zu konsolidieren und dabei den nationalen Terrorismus gegen die Besatzungsmacht und die eingesetzte nationale Regierung zu bekämpfen. Das Beispiel Afghanistan gibt bereits ein Lehrstück, dass nach einem kurzen, erfolgreichen und medientauglichen Krieg zwar zuerst die Position des US-Präsidenten mitsamt seiner Regierung gestärkt wird, aber der Konflikt noch lange nicht ausgestanden ist, sondern auf unspektakuläre, kontinuierliche und teure Weise weiter schwelt. Und man wird nicht immer Willige finden, die den USA den "Ruhm" der spektakulären schnellen Aktion überlassen und für die Folgen einstehen.