Droht ein neuer Konflikt zwischen den Atommächten Indien und Pakistan?

Sollte Pakistan auch nur, wie angedroht, das Militär von der afghanischen an die indische Grenze verlegen, wären auch Afghanistan und die westlichen Truppen betroffen

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In Indien ist man geneigt, den Grund für den blutigen Amokzug der 10 Terroristen, die in Zweiergruppen erstaunlicherweise drei Tage lang den Sicherheitskräften Widerstand leisten konnten, im Ausland zu suchen. Zumindest einige der jungen Männer scheinen im pakistanischen Teil von Kaschmir in Lagern ausgebildet worden zu sein. Zudem ist die Gruppe von Karachi aus gestartet und hat offenbar mit dem Ausland kommuniziert, das Bekennerschreiben der bis dahin unbekannten Gruppe soll aus Russland stammen, aber da die Mail über Remailer versendet wurde, ist der Absender wohl nicht zu identifizieren. Deutlich wurde jedoch, dass Megacities wie Mumbai Terrorziele sind, die sich nicht wirklich schützen lassen.

Pakistan streitet jede Verwicklung mit dem Terroranschlag ab und bietet Kooperation für die Verfolgung der Hintermänner an. Der pakistanische Präsident Asif Ali Zardari warnte Indien vor einer "Überreaktion" und versprochen, jedem Verdacht nachzugehen. Bekanntlich greifen islamistische Terroristen auch immer wieder pakistanische Ziele an, erst kürzlich das Regierungsviertel in Islamabad.

Die indische Regierung ist jedoch überzeugt, dass hinter dem Terrorfeldzug die in Pakistan angesiedelte Gruppe Lashkar-e-Toiba steht, mit der wiederum der pakistanische Geheimdienst ISI verbandelt sein soll. Das sollen Verbindungsdaten belegen, die auf einem Satellitentelefon gefunden wurden, sowie auf einem GPS-Gerät programmierte Routen, mit denen die Terroristen in Mumbai ihre Ziele und ihren Rückweg nach Pakistan finden sollten. Die Verstrickungen zwischen dem Geheimdienst und islamistischen Terrorgruppen geht mitunter auf die Zeit zurück, als die CIA sich des pakistanischen Geheimdienstes bediente, um den afghanischen Widerstand, darunter die Taliban und al-Qaida, gegen die russischen Besatzer im Kalten Krieg zu stützen.

Die Spannung zwischen den Atomächten Indien und Pakistan ist seit der Gründung Pakistans hoch (Teile und herrsche). Besonders umstritten ist das geteilte Kaschmir, das von einem Sicherheitszaun abgeteilt wird und an dem beidseits Truppen stationiert sind (Die indische Mauer). Hier kam es wiederholt zu Kriegen zwischen beiden Ländern. Im Dezember 2001 war die Gefahr eines erneuten Kriegs besonders hoch, nachdem Terroristen das indische Parlament in Neu-Delhi angegriffen hatten (Indien in einer Situation wie die USA am 11. September), und führte zu einem weiteren Wettrüsten (Wettrüsten zwischen den Atommächten Indien und Pakistan).

Die US-Regierung hat mit dem Atomabkommen das sowieso hoch gerüstete Indien als De-facto-Atomwaffenstaat anerkannt, aber nicht Pakistan, was dort zu Ängsten geführt hat. Gefürchtet wird nicht nur in Pakistan, dass die indische Regierung ihre durch den Terroranschlag in Mumbai erschütterte Handlungsfähigkeit durch präventive Schläge in Pakistan nach dem US-Vorbild durchführen könnte. Ähnlich wie US-Truppen im Grenzgebiet zu Afghanistan Angriffe mit Drohnen auf mutmaßliche Stellungen von Taliban oder Terroristen in Pakistan ausführen, könnte indisches Militär von der anderen Seite im pakistanischen Teil des Punjab oder von Kaschmir vermeintliche Terrorlager oder andere Ziele angreifen – mit der von der US-Regierung vorbereiteten Legitimierung, dass aus Gründen der Selbstverteidigung Präventivangriffe geführt werden können, wenn der Staat, in dem Terroristen Unterschlupf finden, diese nicht entsprechend bekämpfen kann oder will.

Sollte Indien tatsächlich nicht nur mit dem Finger auf Pakistan weisen, sondern solche militärischen Interventionen ausführen oder auch die Truppen an der Grenze zu Pakistan massiv verstärken, hätte dies nicht nur regionale Folgen. Das politisch instabile Pakistan, von beiden Seiten attackiert, könnte beispielsweise die Unterstützung für den Krieg gegen den Terror in Afghanistan ganz einstellen. Die scheidende US-Regierung ist, so ein Kommentator der New York Times, möglicherweise nicht mehr in der Lage, Indien dieses Mal zu bremsen.

Als erster Schritt wird bereits erwogen oder auch Richtung Westen angedroht, die 90.000 Soldaten, die an der Grenze zu Afghanistan stationiert sind und dort gegen Extremisten vorgehen, an die Grenze zu Indien zu verlegen. Damit könnten sich afghanische Aufständische und Terrorgruppen im Grenzgebiet nicht nur wieder sicherer niederlassen, um von dort aus Angriffe vorzubereiten, auch der Hauptnachschubweg der US- und ISAF-Truppen, der über Lastwagen von Pakistan nach Afghanistan führt, wäre noch weitaus gefährdeter als bislang. Insofern betrifft natürlich der pakistanisch-indische Konflikt auch die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch, also die dort stationierten deutschen Truppen. In Indien wird bereits gemutmaßt, dass eine mögliche Truppenverlegung an die indische Grenze der Sinn des Angriffs auf Mumbai gewesen sein könnte, nachdem immer noch nichts über Forderungen der Terroristen in Erfahrung gebracht wurde.