Ein Jahr ohne Aufklärung
Ein Jahr nach den Anschlägen vom 11. März in Madrid
Mit dem sogenannten "Internationalen Gipfel über Demokratie, Terrorismus und Sicherheit" beginnt heute in der spanischen Hauptstadt Madrid offiziell die Erinnerung an die blutigen Anschläge vom 11. März vor einem Jahr. Doch alle Aktivitäten können nicht verdecken, dass nicht einmal im Ansatz Licht in die Hintergründe dieser Anschläge gebracht wurde. Das Scheitern der Untersuchungskommission hat selbst deren Präsident eingeräumt. Statt aufzuklären wurde die Kommission für Parteienstreit missbraucht, die Opfervereinigungen nehmen deshalb nicht einmal an den Trauerfeiern teil.
Am Freitag vor einem Jahr jagten islamische Fundamentalisten am frühen Morgen vier Vorortzügen in der spanischen Hauptstadt Madrid in die Luft.(Blutiger Wahlkampf in Spanien). Um den 192 Toten und mehr als 1500 Verletzten zu gedenken, werden an diesem Tag um 7 Uhr 33 alle Kirchenglocken in Madrid gleichzeitig läuten, als die 13 deponierten Bomben zu explodieren begannen. Ein Staatstrauertag wurde angeordnet und beim zentralen Trauerakt wird in einem Park der "Wald der Abwesenden" eingeweiht. 192 Bäume sollen dort an die Opfer erinnern.
Schon heute beginnt im Rahmen des Jahrestags der Internationale Gipfel über Demokratie, Terrorismus und Sicherheit in Madrid. Fast 200 "Terrorismusexperten" und etwa 100 hochrangige Politiker aus aller Welt sollen eine "gemeinsame Agenda der demokratischen Nationen ausarbeiten, um effizient gegen Terrorismus vorzugehen und den weltweiten Opfern dieser Gewalt zu gedenken". Mit der Agenda von Madrid soll "weltweit" eine "gemeinsame Strategie" gegen alle "Formen des Terrorismus" mit "demokratischen Mitteln" erarbeitet werden.
Dass dieses hochgesteckte Ziel außerhalb der Reichweite liegt, ist klar. Da an dem Gipfel zum Beispiel auch der wenig demokratische König Marokkos teilnimmt, weist darauf hin, dass Folter wie in Abu Ghraib, willkürliche Verhaftungen und Pressezensur wie in Marokko, wohl nun zur demokratischen Antiterrorbekämpfung gehören sollen. Im spanischen Staat, der die Konferenz unter der Schirmherrschaft des Königs ausrichtet, wird dies auch noch nach dem Ende der Franco-Diktatur praktiziert (Isolationshaft ermöglicht Menschenrechtsverstöße). Das kann in den Berichten von Amnesty International, der UNO oder des Europarats nachgelesen werden.
Die Opfer des 11. März haben dafür gesorgt, dass die Konferenz schon am 10. März beendet werden muss, denn sie wollen sich an den geplanten Ehrungen auf dem Gipfel oder im Parlament nicht beteiligen. So bringen sie erneut ihre Kritik über das Versagen der Untersuchungen zum Ausdruck. Zuvor hatten sie das Ende der parlamentarischen Untersuchungskommission begrüßt und statt ihrer eine unabhängige Aufklärung gefordert. Mit Nachdruck hatte das Pilar Manjón vor dem Ausschuss erklärt, als die Präsidentin der Vereinigung 11 M, dem größten Zusammenschluss der Opfer, zum Ende der Befragungen vernommen wurde.
Ohnehin stellte sich die Frage, was die Mutter eines Opfers zur Aufklärung der Anschläge beitragen könnte? Statt die Debatte zu emotionalisieren und von den Schwächen der Kommission abzulenken, nutzte die mutige Frau die Gelegenheit, um mit den Volksvertretern ins Gericht zu gehen: "Diese Herren sollten aufhören, unser Leiden und den Terrorismus für parteiische Wahlinteressen zu benutzen", erklärte sie vor langen Gesichtern. Tatsächlich würden die Opfer alleine gelassen, einige seien noch immer nicht entschädigt worden, klagte sie an. Es gehörte zum Höhepunkt der Peinlichkeiten, dass noch versucht worden war, die Öffentlichkeit vor der Befragung Manjóns auszuschließen, als klar war, dass sie scharfe Kritik üben würde. Die lesenswerte Aussage ist auf den Seiten der Vereinigung dokumentiert.
Weitgehend ungeklärte Rolle der Sicherheitskräfte
Danach musste der Kommissionspräsident das Scheitern der Untersuchung zugeben. Paulino Rivero sagte, man habe einen "groben Fehler" gemacht, als man sich "fast nur auf das konzentriert hat, was zwischen dem 11. und 13. März geschehen ist". "Das Wichtigste, was vor dem 11. März geschehen ist, haben wir vergessen", sagte der Kommissionspräsident. So werde es schwer Konsequenzen zu ziehen, damit so etwas nicht wieder geschehe..
Denn monatelang wurde vor allem beleuchtet, was zwischen den Anschlägen und den Parlamentswahlen am 14. März geschah. Gestritten wurde darüber, ob die Sozialisten (PSOE) ihren überraschenden Wahlsieg den Anschlägen zu verdanken haben. Die abgewählte Volkspartei (PP) warf ihnen vor, die Anschläge propagandistisch für "illegale Wahlwerbung" genutzt zu haben (Schwierige Aufklärung).
Bestätigt wurde nur, dass die damalige konservative PP-Regierung die Bevölkerung massiv über die Urheberschaft der Anschläge belogen hat, als sie versuchte, sie der baskischen Untergrundorganisation ETA in die Schuhe zu schieben (Lügen haben kurze Beine, auch in Spanien). Sie wollte jeden Zusammenhang zur Kriegsbeteiligung Spaniens an der Seite der USA im Irak vermeiden, gegen die 90 Prozent der Bevölkerung waren (Spanien entschuldigt sich bei den Vereinten Nationen).
Nachdem Gras über die Kritik gewachsen war, begann die Kommission vor einigen Wochen mit dem Abschlussbericht. Vorschläge dafür, wie Anschläge dieser Art verhindert werden können, will sie trotz der fehlenden Ermittlungen im Rahmen des Gipfels bis zum Freitag vorlegen. Auf welcher Grundlage sie gemacht werden, bleibt ihr Geheimnis. Die PP hat sich gestern ohnehin gegen diese "voreiligen" Beschlüsse gestellt, weshalb die nicht einmal von allen getragen werden.
Es bestand kaum Interesse an einer wirklichen Aufklärung, was sich schon im vergangenen Sommer gezeigt hat, als man die Kommission schnell beerdigen wollte (Spanische Untersuchungen). Die Sozialisten wollten erst keine Untersuchung und den Konservativen gong es nur um den Beweis, dass der Wahlsieg der PSOE dem Terror zu verdanken sei. Entsprechend wurden die Zielvorgaben für diese Untersuchung festgelegt und der Kommission etliche Dokumente vorenthalten. .
Ungeklärt soll offenbar bleiben, welche Rolle die Sicherheitskräfte und deren Spitzel bei den Anschlägen gespielt haben. Denn es kamen trotz dieser Untersuchung viele bedenkliche Fakten ans Licht. Fest steht: Ohne den Sprengstoff und die Zünder, die der Spitzel der Nationalpolizei José Emilio Suárez Trashorras geliefert hat, hätte es die Anschläge nicht gegeben. Dieses Material wurde zudem über einen Spitzel der paramilitärischen Guardia Civil Rafael Zuheir (Rafa Zouhier) an die Islamisten vermittelt, der mehrfach beteuert hat, er habe diese nicht nur informiert, sondern sogar eine Probe übermittelt. Zudem waren die Sicherheitskräfte durch die umfassende Telefonüberwachung informiert (Alles aufgeklärt – trotzdem geht es weiter).
Später tauchte sogar ein Tonband jahrelang verschollenes Tonband auf. Daraus geht hervor, wie ein Informant Francisco Javier Lavandera die Guardia Civil schon 2001 auf die Sprengstoffdeals des Spitzels der Nationalpolizei Trashorras aufmerksam gemacht hat. Er hatte sich bei Lavandera auch erkundigt, ob dieser jemanden kenne, der Mobiltelefone zum Zünden von Bomben umbauen könne. So wurden schließlich am 11. März die Bomben gezündet (Von Spitzeln, Terroristen und dem schweren Geschäft der Aufklärung).
Obwohl all dies für eine tiefe Verstrickung von Trashorras in die Anschläge spricht, wurden weder er noch einer der anderen Spitzel vor der Untersuchungskommission vernommen. Telepolis hatte schon im vergangenen Oktober darauf hingewiesen, dass es sich vielleicht um eine missglückte Aktion zur Infiltration in die ETA handelte. Denn der Schwager von Trashorras, ebenfalls ein Spitzel, versuchte 2001 in einem Knast Kontakt zu ETA-Gefangenen herzustellen, um ihnen den Sprengstoff anzudienen (Schauspiel einer Aufklärungskommission).
Diese These hatte schon im November mehr Gewicht bekommen, als klar wurde, dass die ETA-Gefangenen den Braten gerochen hatten. In einem Interview mit der Zeitung El Mundo erklärte nun auch Lavandera, er sei davon ausgegangen, dass der angebotene Sprengstoff für die ETA bestimmt gewesen wäre. Somit ließen sich die vielen "Pannen" erklären und auch, warum die beiden wichtigsten Parteien die Hintergründe nicht aufklären wollen. Dann müsste der Sicherheitsapparat indirekt die Verantwortung für das Massaker übernehmen, die Reaktion darauf kann man sich ausmalen.