Schauspiel einer Aufklärungskommission

Die Kommission zur Untersuchung der Anschläge vom 11. März in Madrid dient dem Parteienstreit und verdeckt wahrscheinlich eine mit Spitzeln ausgeführte, aber missglückte Polizeiaktion gegen die ETA

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Die Mehrheit in der Untersuchungskommission ist sauer auf Jaime Ignacio del Burgo. Das Mitglied der konservativen Volkspartei (PP) hat hinter dem Rücken der parlamentarischen Kommission einen der inhaftierten Spitzel der Sicherheitsorgane befragt, die in die Anschläge verwickelt sind (Spitzel in Madrider Anschläge verwickelt), denen am 11. März in Madrid 192 Menschen zum Opfer fielen (Blutiger Wahlkampf in Spanien).

Del Burgo hat dem Ausschuss einen 30seitigen Bericht vorgelegt. Darin antwortet der Guardia Civil-Spitzel Rafael Zuheir auf dessen 70 Fragen. Ein Resümee, gepaart mit einem Artikel Del Burgos, war schon am Donnerstag in der Druckausgabe der Zeitung El Mundo zu lesen.

Aber auch die Parteien sind nicht mit dem Vorstoß einverstanden, die bisher vergeblich die Vernehmung der diversen Spitzel im Ausschuss forderten, sich aber gegen die Mehrheit der seit März regierenden Sozialisten (PSOE) nicht durchsetzen konnten. Sie bezeichnen das Vorgehen als "Untreue" gegenüber der Kommission, weil die Mehrheit beschlossen hatte, Abstand zu den Spitzeln zu wahren. Die PSOE wirft ihm emotionalisierend vor, "an der Verteidigung einer Person mitzuwirken, die für ein Massaker an 192 Personen angeklagt ist".

Del Burgos will noch die Vernehmung der Spitzel vor dem Ausschuss durchsetzen. "Mit so viel Glaubwürdigkeit" wie nie habe Zuheir über den Verkauf des Sprengstoffs an die Islamisten und der Übergabe der Informationen an die Spezialeinheit der Guardia Civil (UCO) berichtet. Sogar eine Probe des Dynamits Goma 2 Eco ging von dem Spitzel der Nationalpolizei und Ex-Minenarbeiters José Emilio Suárez Trashorras aus Asturien über Zuheir an die UCO.

Ich habe ein ums andere Mal die UCO informiert. Ich habe nicht nur informiert, sondern Vor- und Nachnamen geliefert (...) Telefonnummern, Anschriften und das Beste war, sogar ein Probe habe ich geliefert. Mensch, was will man mehr!

Dass die Guardia Civil oder die Nationalpolizei vom Sprengstoffdeal ihrer Spitzel etwas wussten, kann niemand mehr ernsthaft bestreiten (Spanische Untersuchungen). Deshalb will Del Burgo die Verantwortlichen der Polizei erneut vorladen. Derzeit streitet die Guardia Civil mit der Staatsanwaltschaft in Asturien darüber, warum gegen die Familie Trashorras und deren Umfeld offiziell nicht ermittelt wurde. Die Guardia Civil behauptet, sie habe der Staatsanwaltschaft Bericht erstattet. Die entgegnet, das sei inoffiziell beim Kaffee geschehen. Sollte also nicht ermittelt werden, weil es um eine verdeckte Aktion der Spitzel ging?

Bekannt ist auch, dass die Polizei quasi live beim Transport des Sprengstoffs über angezapfte Telefone dabei war (Alles aufgeklärt – trotzdem geht es weiter). Öffentlich wurde nun auch, dass zudem der Ermittlungsrichter Baltasar Garzón die Telefone mutmaßlicher Täter überwachen ließ. Warum hatte er bei der Vernehmung vor der Kommission davon nichts berichtet? Wusste er deshalb am 11. März sofort, wer die Urheber des Massakers waren?

Bekannt ist nun auch, dass die Beschattung mutmaßlicher Drahtzieher der Anschläge sogar über den 11. März andauerte, weil man darunter "Schläfer" einer Al-Qaida-Zelle vermutete. Dabei befand sich auch Serhane Ben Abdelmaji der sich im April in Madrid mit anderen in die Luft gejagt haben soll, nachdem die Wohnung im Stadtteil Leganés umstellt war ("Spanien in eine Hölle verwandeln"). Einst wurde behauptet, die Beschattung sei Wochen vor den Anschlägen abgebrochen worden. Jetzt erklärt die Polizei, daraus hätten sich "keine kriminelle Akte ableiten lassen, noch weniger die Genesis eines terroristischen Anschlags".

Eingeräumt wird stets nur das, was nicht mehr verschleiert werden kann. Doch statt den Eigenheiten nachzugehen, wird dann am 22. November der Ex-Ministerpräsident José María Aznar doch noch vernommen. Weil der Nachfolger diesem die Bühne nicht überlassen will, hat sich auch der Sozialist José Luis Rodríguez Zapatero dem Ausschuss für den 29. November aufgedrängt. Dann geht es nur wieder um die Frage, wer wann gelogen hat (Lügen haben kurze Beine, auch in Spanien). Abgeschlossen werden sollen die Befragungen am 1. Dezember durch Sprecherin der Opfervereinigung. Was Clara Escribano zur Aufklärung der Hintergründe der Anschläge beitragen kann, ist völlig unklar, dafür kann mit ihr die Debatte noch einmal kräftig emotionalisiert werden, statt Fakten zu recherchieren.

Dabei kristallisiert sich ein mögliches Muster heraus, mit dem sich einige Widersprüche, angebliche Fehler oder Versäumnisse der Sicherheitskräfte erklären ließen. Einiges spricht dafür, dass der Sprengstoff des Spitzels der Nationalpolizei Trashorras der baskischen Untergrundorganisation ETA angedient werden sollte, welche die konservative Regierung für die Anschläge verantwortlich machen wollte ("Das ETA-Dementi passt Madrid nicht in den Kram"). Stammte das Dynamit aus Beständen der Sicherheitskräfte und sollte als Lockmittel zur Unterwanderung dienen? In der Mine, in der Trashorras einst gearbeitet hat, wurde er wohl nicht geklaut. Zudem hat dessen Schwager, Antonio Toro Castro, im Knast von Villabona 2001 vielen Leuten Sprengstoff zum Verkauf angeboten.

In dem Knast saß dienstlich, wie aus Zufall, auch der schon bekannte Zuheir und sollte angeblich für die UCO eine kriminelle Bande ausspionieren. Zuheir habe über Toros Aktivitäten im Knast der UCO Bericht erstattet. Er soll er sich zum "guten Freund" von Gefangenen der ETA entwickelt haben, schreibt er in einem Brief an den spanischen König, den El Mundo in der Druckausgabe vom 27. September veröffentlichte. Sogar einen telefonischen Kontakt zur ETA soll er bei einem Besuch an seine Schwester und Ehefrau von Trashorras vermittelt haben. Auch sie war Informantin der Nationalpolizei (Neue Festnahmen, neue Spitzel).

Wenn sich jemand mit ETA-Gefangenen anfreundet, zieht das oft Strafmaßnahmen nach sich. Verlegungen in einen anderen Trakt oder ein anderes Gefängnis sind üblich. Dass dies ausgerechnet bei einem Drogendealer übersehen wird, der im Knast versucht, mit Sprengstoff zu dealen, muss eher verdächtig gewirkt haben. Letztlich hat Toro wohl keinen Kontakt zur ETA, sondern über Zuheir zu den Islamisten hergestellt. Eine Probe des Sprengstoffs von Trashorras landete bei der Guardia Civil. Warum sind Toro und seine Schwester auf freiem Fuß? Sie sind sie bis zur Halskrause in den Deal verwickelt, der letztlich zum Massaker von Madrid führte. Hatte man in den Sicherheitskräften bis zum Ende gehofft, der Sprengstoff lande tatsächlich noch bei der ETA? Hat man aus Betriebsblindheit den Unsinn, von einem angeblichen Bündnis zwischen der ETA und radikalen Islamisten selbst geglaubt und den "Moros", wie Zuheir sie nennt, keine Logistik zur Vorbereitung der Anschläge zugetraut?

Auch wenn es sich nicht um eine missglückte Aktion gegen die ETA handelte, klar ist, es reihen sich zu viel Zufälle aneinander. Wären die Sicherheitsdienst nur unfähig, müssten deshalb Konsequenzen gezogen werden. Jedenfalls haben viele ein großes Interesse, die Hintergründe der Anschläge nicht an Licht zu ziehen.