Festigkeit des Herzens: Von der Erfindung der Alufolie zum Sitzkind

Seite 2: Festigkeit des Herzens und der Hierarchie

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Südwestdeutschland, kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. Dr. Hellmers, Leiter der Forschungsabteilung der Kettwig-Werke, hat eine Legierung entwickelt, die es ermöglicht, den geschmeidigsten, leichtesten und zerreißfestesten Draht der Welt herzustellen. Dieser Draht ist ideal für Ballonsperren, die feindliche Flugzeuge daran hindern sollen, deutsche Industrieanlagen zu bombardieren. Ein General der Wehrmacht kommt zur Werksbesichtigung. Zur Entourage des Generals gehört Fritz Böttger, der in der BRD auf Drehbuchautor umsattelte und 1959 mit Ein Toter hing im Netz (auch Regie) einen der wenigen Exploitation-Klassiker des deutschen Kinos der Adenauerzeit schuf. Hier verkörpert er Hauptmann Burger von der Gegenspionage. Burger warnt Hellmers vor feindlichen Agenten, die bereits auf die Kettwig-Werke angesetzt seien und gewinnt ihn als Verbindungsmann der Abwehr im Betrieb. Das transportiert eine wichtige, am Schluss noch einmal wiederholte Botschaft: Überall können Leute stecken, die den Behörden (etwa der Gestapo) Bericht über das erstatten, was sie beobachten. Aber nur zum Schutz vor Spionen und sonstigen Bösewichten.

Außer Dr. Hellmers kennen noch dessen Assistentin und Sekretärin Inge Neuhaus (Lotte Koch, die meistens das deutsche Mädel spielte und darum auch den Helden kriegte) und der Ingenieur Bernd Kettwig (Rolf Weih) das Geheimnis der Legierung, der Sohn des Firmenchefs. Kettwig junior wäre gern zur Luftwaffe gegangen, statt kriegswichtige Dinge zu entwickeln und hat vom Senior ein Sportflugzeug der Marke Bücker Student geschenkt bekommen. Damit bringt er Hauptmann Burger zurück zum Oberkommando der Wehrmacht in Berlin (tatsächlich flog die Maschine Beate Uhse, die in der BRD mit einem Versandhandel für Sexartikel reüssieren würde), während Inge beim Kauf von Fachliteratur einen charmanten Herrn kennenlernt (René Deltgen), der sich als Karl Ludwig Faerber vorstellt. Der in Esch-sur-Alzette geborene Deltgen war 1939 von Goebbels zum Staatsschauspieler ernannt worden und diente der Propaganda als das Paradebeispiel eines perfekt ins Reich integrierten Luxemburgers. 1940, als Achtung! Feind hört mit! gedreht wurde, hingen in seiner von Nazi-Deutschland überfallenen Heimat Plakate mit seinem Konterfei, die für den Eintritt in die Hitler-Jugend warben. Deltgens Landsleute nahmen ihm das übel. Nach dem Ende des Dritten Reichs wurde er wegen Landesverrats zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt (ohne sie je abzusitzen) und musste eine hohe Geldstrafe bezahlen.

Achtung! Feind hört mit!

Der weltgewandte Faerber ist ein britischer Spion. Die Norwegerin Kirsten Heiberg, von der Werbung zur "erotischen Botschafterin des hohen Nordens" ernannt und in Filmen dieser Art auf die Femme fatale spezialisiert (Falschmünzer; Die goldene Spinne), spielt seine Komplizin. Im echten Leben war sie mit Franz Grothe verheiratet, der die Musik zu Achtung! Feind hört mit! schrieb; die Älteren werden ihn noch als "Kapellmeister" von Heinz Schenk in der ARD-Sendung Zum blauen Bock kennen. Als Fräulein Lilly aus Paris eröffnet Kirsten Heiberg zur Tarnung einen Modesalon. Faerber lädt Inge zu Lillys Modenschau in Baden-Baden ein und Bernd Kettwig, dem die beiden unterwegs begegnen, kommt auch mit. Nach der Modenschau besucht man spontan das Spielcasino. Weil Inge dafür nicht richtig angezogen ist, darf sie sich eins von Lillys teuren Designerkleidern leihen (und dann behalten). Rabenalt, der Fachmann für verkniffene Erotik, nützt die Gelegenheit und folgt ihr in den Umkleideraum, weil da die Models in Unterwäsche sitzen.

Achtung! Feind hört mit!

Am Roulettetisch wird Bernd auf Herrn Grelling (Rudolf Schündler) aufmerksam, der in der Firma seines Vaters als Zeichner arbeitet. Die Szene erfüllt zwei Funktionen. Die eine ist dramaturgisch. Der durch seine Spielsucht in Geldnot geratene Grelling wird als potentieller Verräter und leichte Beute für die Spione eingeführt. Die andere ist ideologisch und zeigt, wie verlogen die Nazis waren, die sich dreist als die Interessenvertreter der Arbeiter und der Unterprivilegierten ausgaben und doch eine streng hierarchisch aufgebaute Gesellschaft propagierten, in der jeder auf seinem Platz zu bleiben hatte.

Achtung! Feind hört mit!

Zu Beginn des Films teilt eine Laufschrift mit, dass es bei der Spionage "nicht nur um die Geheimnisse der Laboratorien und Waffenschmieden" geht. "Ebensosehr geht es um die Treue, die Verschwiegenheit und Festigkeit des Herzens. Denn: Nur bei den Schwächen des Einzelnen vermag die feindliche Spionage anzusetzen. Für den Betroffenen bedeutet das ein Leben in ewiger Angst, ein Ende in Unglück und Schande." Und wie wird man ein "Betroffener"? Zum Beispiel, indem man das Spielcasino besucht, in dem man nichts verloren hat, weil man nur ein einfacher Zeichner ist wie Grelling. Kettwig jun., der Sohn des Fabrikbesitzers und Inge Neuhaus geraten im Casino zwar auch in Gefahr, werden dieser jedoch entkommen, weil sie zu den besseren Kreisen der Gesellschaft gehören (Inge lebt mit ihrer Mutter in einfachen Verhältnissen, aber ihr verstorbener Vater war Bürgermeister). Eine ganz ähnliche Szene gibt es in Flucht ins Dunkel. Da trifft Wrede jun. im Nachtclub den Lagerverwalter Müller, der sich die Animierdamen nur leisten kann, weil er die Bücher frisiert und Geld abzweigt. Beide, Grelling und Müller, verlassen den ihnen von der Volksgemeinschaft zugewiesenen Platz innerhalb eines vertikalen Systems. Dafür werden sie von der jeweiligen Filmhandlung kriminalisiert und aus dieser Gemeinschaft entfernt (der eine durch Entlassung, der andere per Hinrichtung). So sichert man die Einhaltung der Standesgrenzen.

Achtung! Feind hört mit!

Patente Sekretärin vs. Femme fatale

Grelling wird von den britischen Agenten mit Hilfe von Nolte angeworben, der eigentlich verzichtbar erscheint und doch sehr wichtig ist. Das NS-Kino mochte Adelige, Offiziere, gut situiertes Bürgertum, geniale Forscher und patente Sekretärinnen des Chefs, Leute aus den unteren Rängen hingegen nicht so sehr. Das war natürlich irgendwie auch peinlich, denn schließlich stand das "A" in NSDAP für "Arbeiter". Was also tun, um zu kaschieren, dass man die Arbeiterschaft für die von den Nazifilmen erzählten Geschichten im Grunde gar nicht braucht? Hier sind Figuren wie Nolte und Müller nötig. Wenn Müller in den Wrede-Werken keine Gerüchte über den neuen Chef streuen würde, um die Belegschaft gegen diesen aufzubringen, käme sie nur noch in Gestalt einiger Malocher vor, die selbigem Chef dafür zu Dank verpflichtet sind, dass er ihre Jobs erhält. Das wäre doch arg wenig, denn immerhin ist Flucht ins Dunkel ein Film über eine Fabrik.

Achtung! Feind hört mit!

Nolte ist Kellner in der Kantine der Kettwig-Werke. Das ermöglicht einige Szenen mit Arbeitern bei Tisch, die sogar ein paar Dialoge sprechen dürfen, als würde sich jemand dafür interessieren, was sie zu sagen haben. Logischerweise speisen bei der Firma Kettwig alle Teile der Belegschaft im selben Raum, mit Bedienung durch den Kellner, weil das zum Bauprinzip von solchen Filmen gehört: bei günstiger Gelegenheit betont man die Volksgemeinschaft, damit dem Publikum nicht zu bewusst wird, wie streng hierarchisch die Gesellschaft ist. Kellner Nolte hat noch eine weitere Scharnierfunktion. Die geographische Nähe der Kettwig-Werke zum Elsass, das auf der Annektionsliste der Nazis ganz weit oben angesiedelt war, durfte propagandistisch nicht ungenutzt bleiben. Darum wohnt in Straßburg Monsieur Bock, ein mit den Spionen im Bunde stehender Wucherer (= Jude) mit ordinärer Ehefrau und buckeligem Schreiber, der Nolte 800 Mark für allgemein zugängliche Informationen über neue Bauten auf dem Firmengelände bezahlt hat und ihn nun erpressen kann. Höchste Zeit, sollte sich der Zuschauer dabei denken, diesem Gesindel endlich das Handwerk zu legen. Zu diesem Zweck (und zur Tilgung der "Schande von Versailles") musste erst die Wehrmacht in Straßburg einmarschieren, was vor der Berliner Uraufführung von Flucht ins Dunkel am 3. September 1940 bereits geschehen war.

Nolte wird außerdem zur Komplettierung gebraucht, denn die Figuren des Films sind paarweise organisiert. Dr. Hellmers ist als Abwehrbeauftragter der Statthalter von Hauptmann Burger. Monsieur Bock wird von seiner Gattin unterstützt. Spion Faerber arbeitet im Team mit Madame Lilly, die zwei Models in ihrem Modesalon beschäftigt. Zwei von den Deutschen - Nolte und Grelling - mangelt es an jener "Festigkeit des Herzens", die es braucht, um den Avancen der ausländischen Bösewichte zu widerstehen. Zwei andere sind zwar anfällig, bringen die erforderliche Festigkeit letztlich aber auf, weil sie aus der richtigen sozialen Schicht stammen. Bei Bernd Kettwig weiß man es gleich am Anfang, weil er der Sohn des Fabrikbesitzers ist und weil er ein Hakenkreuz auf seinem Flugzeug hat. Bei Inge Neuhaus dauert es etwas länger. Um das wettzumachen wird sie keine Sekunde zögern, wenn es darauf ankommt.

Ein Grundübel des NS-Kinos besteht darin, dass es so wenig mit seinen Darstellerinnen anzufangen weiß. Die durchschnittliche Heldin hat nicht viel zu tun, weil sie Triebverzicht leisten muss, damit sich der Mann auf seine staatstragenden Aufgaben konzentrieren kann (Erfindungen machen, als Soldat gegen Feinde kämpfen etc.). Die Spionagefilme heben sich angenehm davon ab, weil hier ausnahmsweise nicht hausfrauliche Fertigkeiten, Duldsamkeit und Kameradschaft gefragt sind, sondern Verführungskünste. Inmitten des gesammelten Chauvi- und Patriarchentums, mit dem die NS-Propaganda sonst die Leinwand zumüllte, ist das ein wahres Labsal. Kirsten Heiberg darf nicht nur ihre Sinnlichkeit akzentuieren, sie muss es als Madame Lilly geradezu, weil sonst die Handlung im Morast des NS-Frauenideals stecken bleiben würde. Leider kann der als Erotomane eher spießige Rabenalt der Versuchung nicht widerstehen, einen Spiegel aufzustellen, damit man sie von hinten im Unterrock begaffen kann.

Achtung! Feind hört mit!

Umgekehrt gibt René Deltgen den Playboy, der das Weibliche in Inge Neuhaus wecken muss, weil das die Voraussetzung dafür ist, dass er als Romeo-Agent aktiv werden kann. Hätte es doch mehr Spionagefilme im Dritten Reich gegeben. Aber natürlich waren den Nazis Genres wie der Kriminal- oder der Horrorfilm suspekt, weil man da das Verführerische am vermeintlich Bösen zeigen muss, damit sich eine spannende Handlung entwickeln kann. Dieses Risiko ging man selten ein. Das Publikum hätte nämlich auf den Geschmack kommen und mehr potente Spione und sinnliche Frauen verlangen können, statt sich mit der burschikosen Sekretärin, dem Engel im Haushalt, dem ewig abwesenden Soldaten oder dem Mann im Forscherkittel zu bescheiden, der nichts lieber tut, als unzerreißbare Drähte zu erfinden.

Achtung! Feind hört mit!

Aber sind alle Briten Playboys und Verführer? Eher nicht. Aus Sicht der Propaganda ist die von Deltgen gespielte Figur des Faerber problematisch, weil Ressentiments gegen die Briten insgesamt geschürt werden sollen, nicht nur gegen solche, die deutschen Frauen teure Designer-Kostüme schenken, um sie ins Bett zu kriegen und ihnen da kriegswichtige Informationen zu entlocken. Wer könnte das britische Establishment besser repräsentieren als ein Aristokrat? Also wird Sir Reginald entsandt, um sich mit seinem Agenten Faerber zu treffen und beim Golfen über die Geheimnisse zu sprechen (Englisch mit Untertiteln), die ausspioniert werden sollen. Die Messerschmidt und die Stukas sind dabei, und eben dieser von den Kettwig-Werken entwickelte Draht mit der Aluminiumlegierung, der bei den Ballonsperren eine rein defensive Verwendung findet. Im Modell sehen die Ballons ein wenig aus wie aufgeblasene Kondome. Das ist sicher Zufall, obwohl Rabenalt der Regisseur war.

Achtung! Feind hört mit!

Den Briten kann der Draht nur gefährlich werden, wenn ihre Bomber über Deutschland fliegen. Den Worten Sir Reginalds ist zu entnehmen, dass er für die Ballonsperren vor London gebraucht wird. Das ist einerseits zu erwarten (die Briten müssen stehlen, weil sie selbst zu dumm zum Erfinden sind) und verwundert doch ein wenig, weil alles andere im Film darauf hinweist, dass der Gegner ein Aggressor ist (die Nazis verbrämten ihre Angriffskriege gern als "Notwehr"). Ich würde sagen, das ist eine der in solchen Filmen häufig anzutreffenden Versicherungen. In einer Diktatur konnte der Feind von heute der Freund von morgen sein, und umgekehrt. Da war es empfehlenswert, solche Elemente einzustreuen, damit man bei Änderungen der politischen Lage das Gegenteil von dem behaupten konnte, was früher galt.

Achtung! Feind hört mit!

Offenbar sind die britischen Angriffspläne schon sehr konkret, denn Sir Reginald macht Druck auf Faerber, der endlich liefern soll. Nun wird sich zeigen, wer in der deutschen Volksgemeinschaft bleiben darf und wer seinen Platz in ihr verwirkt hat. Weil in den NS-Spionagefilmen Sex und Landesverrat eng beieinander liegen, hat Inge den Agenten erstmals mit in ihre Wohnung genommen, als dieser in erotisch aufgeladener Atmosphäre versucht, sie zu überreden, ihm ein Stück des Drahts mitzubringen. Inge weist das empört zurück, wirft Faerber hinaus und eilt sodann voll Unruhe in die Fabrik. Kettwig jun. hätte eigentlich Nachtdienst, lässt sich aber von Madame Lilly ein französisches Lied vorsingen und verschläft den Dienstantritt im Bett der Circe, in postkoitaler Erschöpfung. Auch im NS-Film kann der Geschlechtsverkehr nur symbolisch vollzogen werden. Rabenalt lässt seine Figuren mit gemeinsam oder in verfänglicher Lage gerauchten Zigaretten hantieren, als habe er an den Hollywood-Produktionen der Zeit studiert, wie man das macht. Howard Hawks allerdings kann es viel besser (siehe To Have and Have Not und The Big Sleep).

Hitler als Schutzpatron und Säulenheiliger

Es sagt viel über das Menschenbild in einer Diktatur, wie umstandslos Bernd und Inge, soeben noch in Liebe zu Lilly respektive Faerber entbrannt, auf den Weg der Tugend (und zur Gestapo) zurückfinden, wenn die staatsbürgerliche Pflicht ruft. So ist er eben, der deutsche Mensch. Und wehe, wenn nicht! Kellner Nolte wird in den Kettwig-Werken beim Spionieren erwischt, schießt einen Arbeiter nieder, flieht nach Straßburg, wird von Monsieur Bock, dem er nichts mehr nützen kann, der französischen Polizei übergeben und an Deutschland ausgeliefert. "Da drüben", meint ein deutscher Polizist, "liebt man zwar den Verrat, aber bestimmt nicht den Verräter." Zeichner Grelling, wie Nolte ein schwacher Mensch, gibt zu, dass er geheime Pläne photographiert und die Kamera in der Handtasche von Inge versteckt hat (der Schuft!), die sich deshalb - im Konferenzzimmer mit dem Hitlerkopf - einem peinlichen Verhör durch die Gestapo stellen musste. "Was am Ende Ihres Weges steht", sagt jetzt ein Gestapo-Mann zu Grelling, "wissen Sie ja!" Das ist die übliche, standesabhängige Gnadenlosigkeit des NS-Films, die mich immer wieder erschreckt. Wenn der Sohn des Chefs mit der Spionin schläft, drückt man schon mal ein Auge zu. Für einen einfachen Zeichner wie Grelling gibt es kein Pardon. Das Zynische daran: Die Herkunft bestimmt den Charakter. Grelling erliegt den Verlockungen der Spione, weil er ein einfacher Zeichner ist. Kettwig jun. widersteht im entscheidenden Moment, weil seinem Vater die Fabrik gehört - und weil wir jetzt im Dritten Reich sind.

Achtung! Feind hört mit!

Das ist eine interessante Entwicklung. Wrede jun. (Flucht ins Dunkel), der Stammgast im Nachtclub, war Fabrikerbe und trotzdem ein Schurke, weil er in der Weimarer Republik mit der Animierdame Rita schlief. Damals gab es korrupte Strukturen, und darum mussten neue Helden (Gildemeister und Engelbrecht) die Führung übernehmen, an die Stelle von dekadenten Erben wie Wrede treten. Der Übergang wurde sehr sanft gestaltet, weil Engelbrecht nach der Erfindung der Alufolie zurück ins Glied trat und Gildemeister, der neue Firmeninhaber, Barbara heiratete, die Tochter des alten. In Achtung! Feind hört mit! hat in der deutschen Gesellschaft alles wieder seine Ordnung, weil die Nazis die Macht übernommen haben. Kettwig jun., der Playboy mit Sportwagen und Privatflugzeug, schläft mit der Spionin und ist trotzdem - durch Geburt - einer von den Guten, weil er der Fabrikerbe ist. Im Casino von Baden-Baden wird auch keine "Negermusik" mehr gespielt wie im Nachtclub des Jahres 1919. Dafür tritt eine fast nackte, golden angemalte Dame mit Stöckelschuhen auf und bietet einen dieser an das Bodenturnen erinnernden Tänze dar, die im Dritten Reich als erotisch galten. (Rabenalt scheint sie gut gefallen zu haben. Sie ziert die Rückseite des Schutzumschlags seines Buches über Goebbels.)

Achtung! Feind hört mit!

Der Arbeiter bleibt sowieso, wo er immer war: in der Hierarchie ganz unten. Kein Industrieller braucht sich mehr zu sorgen. Kettwig sen. erhält lukrative Rüstungsaufträge vom Militär, und der Betrieb bleibt in der Familie. Aus Verbundenheit grüßt der Chef mit "Heil Hitler", und im Konferenzzimmer der Firma steht der Kopf des Führers auf einer Säule. Dem Inhaber zur Seite gestellt wird Christian Kaißler, der einen von den Offizieren in Unternehmen Michael spielt und den Landgerichtsdirektor in Ich klage an. Hier ist er der Drahtentwickler Dr. Hellmers. Als solcher lässt er sich öfter in der Werkshalle sehen und hält den Kontakt zu den Arbeitern. In seinem Büro hängt ein Bild von Hitler an der Wand, visionär in die Ferne blickend. In der dem Bild gegenüber liegenden Wand zwischen dem Büro und dem Labor ist eine Scheibe eingelassen. Davor steht Inges Arbeitstisch. An diesem Tisch spielt sich eine Menge ab - immer mit Adolf Hitler, dem zu bewerbenden Produkt, im Hintergrund. Mir fällt kein anderer NS-Film ein, in dem es so viele Einstellungen mit Führerbild gibt wie in diesem. Das ist nicht schlecht gemacht. Hitler hängt unaufdringlich an der Wand und ist stets als eine Art Schutzheiliger mit dabei. In einer Diktatur, deren gleichgeschaltete Medien diesen Massenmörder als Heilsbringer verkauften, wirkte das sicher ganz anders als heute.

Achtung! Feind hört mit!

Trotz vieler Feinde ist man gut aufgehoben in einer Welt, über die der Führer wacht. Bernd Kettwig fährt zum Modesalon, um Madame Lilly zur Rede zu stellen. Er will soeben die Polizei anrufen, als schon die Gestapo kommt und die Spionin verhaftet, ehe sie sich nach Paris absetzen kann. Dabei gibt sich Phyllis, eines der beiden Models, als Abwehragentin mit dem guten deutschen Namen Elisabeth Lüdeke zu erkennen. Die Botschaft: Die deutschen Sicherheitsbehörden haben die Sache im Griff. Wenn aber überall der Geheimdienst stecken kann, ist der deutsche Volksgenosse gut beraten, sich sofort bei den Behörden zu melden, wenn er etwas Verdächtiges beobachtet hat. Andernfalls könnten demnächst die Herren von der Gestapo bei ihm klingeln, um zu fragen, warum er es nicht getan hat.

Mein Bild vom Dritten Reich war lange von den Komödien und Operetten geprägt, die im Fernsehen liefen und einem suggerierten, dass sich die NS-Verbrechen irgendwo anders zugetragen haben mussten und nicht in dem Land, in dem Heinz Rühmann komische Abenteuer erlebte und Marika Rökk sang und tanzte. "Sich zutragen" ist die richtige Formulierung, denn es hätte gar keine denkbaren Täter gegeben, wenn uns das Fernsehen nicht auch noch Filme wie Canaris (1955) ins Haus geliefert hätte. Da erfährt man, dass der Chef der Abwehramtes im Oberkommando der Wehrmacht und seine Agenten (Canaris, Wehrmacht, Agenten: gut) die Gegner des Chefs des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich (böse) und seiner Schergen von der Gestapo (auch böse) waren, woraus sich ein Deutschland mit vielen Guten und einigen wenigen Verbrechern konstruieren ließ. Für diese Großtat der gefälligen Vergangenheitsbewältigung gab es das Prädikat "Besonders wertvoll" und mehrere Bundesfilmpreise.

Achtung! Feind hört mit!

Beim Sehen von Achtung! Feind hört mit! könnte man fast glauben, dass die Abwehr nicht etwa gegen SS und Gestapo opponierte wie Admiral Canaris im Film der Adenauer-Zeit, sondern mit diesen zusammenarbeitete (im echten Leben traf sich Canaris zu der Zeit, in der Rabenalts Film spielt, fast täglich mit Werner Best, Heydrichs Stellvertreter im Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS und in leitender Funktion bei Aufbau und Ausrichtung der Gestapo tätig). Im Büro des zum Abwehrbeauftragten ernannten Dr. Hellmers hängt noch ein Bild an der Wand: nicht das von Admiral Canaris, sondern das von Heinrich Himmler, Reichsführer-SS und Chef der Polizei. Man sieht es zum ersten Mal in einer Szene, in der Zeichner Grelling, kürzlich von den Spionen angeworben, in Hellmers’ Büro kommt, um sich für die Nachtschicht zu melden, weil er dann die geheimen Pläne photographieren will. Auch das ist geschickt gemacht. Deutschlands Sicherheit ist in Gefahr. Himmler und jene, die ihm unterstehen oder mit ihm kooperieren, werden diese Gefahr abwenden. Und über allen thront Adolf Hitler. Als sich Grelling nachts ins Labor schleicht, fällt von draußen Licht in Hellmers’ Büro. Hinter dem Verräter leuchtet das Hitlerbild auf wie ein Warnsignal.

Spion Faerber klaut Bernd Kettwigs Flugzeug (tatsächlich geflogen wurde es wieder von Beate Uhse), um über die Grenze zu entwischen, hat aber das Pech, dass die Kettwig-Werke und die Streitkräfte gerade eine Übung abhalten. Sein Ende wird zur Demonstration des deutschen Defensivwillens. Verfolgt von Kampfflugzeugen, die ihn problemlos abschießen könnten, gerät er in die erstmals erprobte Ballonsperre. Die messerscharfen Drähte mit der Aluminiumlegierung, an denen die Ballons hängen, rasieren ihm die Tragflächen ab und er stürzt in den Tod. Bernd Kettwig, der schneidige Juniorchef, hat entdeckt, dass Inge Neuhaus eine attraktive junge Frau ist (und eine Deutsche, kein Flittchen aus dem Ausland). Zwischen den beiden deutet sich eine Romanze an.

Achtung! Feind hört mit!

In seinem Buch Joseph Goebbels und der "Großdeutsche" Film berichtet Rabenalt von Querelen zwischen dem Minister und Admiral Canaris, der sich Achtung! Feind hört mit! gewünscht und für die fachmännische Beratung durch die Spionageabwehr gesorgt habe. Goebbels habe verlangt, dass Faerber am Strang des Henkers sterben müsse. Canaris sei der Ansicht gewesen, dass Faerber nur seine Pflicht getan habe und darum einen ehrenvollen Soldatentod sterben müsse. Schließlich habe er, Rabenalt, eigenmächtig ein "salomonisches Urteil" gefällt und den Spion an der Ballonsperre abstürzen lassen. Goebbels habe erst getobt und diese Lösung dann akzeptiert. Das kann man glauben oder nicht. Ich habe Zweifel, weil das, was sich Rabenalt spontan ausgedacht haben will, von langer Hand vorbereitet ist. Kettwig jun. besitzt nur aus dem Grund ein Flugzeug, damit Faerber es stehlen kann.

Für Verräter gibt es nur eine Strafe. Am Schluss stehen die Arbeiter der Kettwig-Werke vor dem Brett mit den Bekanntmachungen. Nolte und Grelling, ist da zu lesen, wurden am 25. Juni 1939 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 3. Juli hingerichtet. Recht so, meinen die Arbeiter, und Dr. Hellmers fordert sie zu weiterer Wachsamkeit auf, weil die Gefahr noch nicht vorüber sei. Auch das ist gut gemacht. Hier erschließt sich der tiefere Sinn einer Szene, die bisher verzichtbar zu sein schien. Nach seiner Enttarnung als Spion versteckt sich Kellner Nolte in einem Ofen in der Fabrik. Die ihn verfolgenden Arbeiter zünden ein Feuer an, um ihn auszuräuchern. Nolte kann entkommen, was man aber in der Fabrik zunächst nicht weiß. Er scheint ums Leben gekommen zu sein. Dr. Hellmers sagt bedauernd, dass nun auch die Arbeiter ihre Strafe erhalten müssen, weil sie Nolte getötet haben.

Achtung! Feind hört mit!

Eine Warnung vor Selbstjustiz hätte man einfacher haben können. Benötigt wurde hingegen eine Vorbereitung auf das Ende mit der Bekanntmachung. Die angekündigte (und wegen Noltes Entkommen nie vollzogene) Bestrafung der Arbeiter soll suggerieren, dass das Dritte Reich ein Rechtsstaat ist, ohne Willkür und Lynchjustiz. Hellmers taucht in der letzten Szene noch einmal auf, um die Verbindung zwischen dieser vermeintlichen Rechtsstaatlichkeit und dem Volksgerichtshof herzustellen. Dieses mit zuverlässigen NS-Sympathisanten und Sadisten besetzte Gericht war jedoch ein Instrument des Staatsterrors. Gegen seine Urteile gab es keine Berufungsmöglichkeit (daher der kurze Abstand zwischen Urteilsverkündung und Exekution). Dieses Ende erinnert daran, dass die Spionagefilme des Dritten Reichs Reklame für den zunächst nur in Berlin ansässigen Volksgerichtshof machten, der bald nach der Premiere von Achtung! Feind hört mit! Filialen in anderen Städten eröffnen würde, um seiner "volkshygienischen Aufgabe" (das rasche Aburteilen von "Volksschädlingen") logistisch Herr zu werden. Mit Gerechtigkeit hatte das nichts zu tun, weil es kein rechtsstaatliches Verfahren gab. Es geht hier nicht um die Frage, ob Landesverrat mit dem Tod bestraft werden sollte oder nicht, oder wie das in anderen Ländern gehandhabt wird, sondern um die Legitimierung einer Terrororganisation wie des Volksgerichtshofs. So kann einem auch bei diesem Film - trotz der für das NS-Kino unüblichen Freisetzung von männlicher Libido und weiblicher Sinnlichkeit - wieder einmal schlecht werden.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.