Geschäftsmodell Aufrüstung: Der Dissens in den Gewerkschaften
Wohlstand und Sicherheit durch mehr Waffenproduktion? Ein Aufruf aus Gewerkschaftskreisen warnt vor Illusionen. Auch in den eigenen Reihen.
"Wir müssen aufrüsten für den Wohlstand", schrieb vor wenigen Tagen ein Professor für Makroökonomie in einem Gastbeitrag für den Spiegel. "Deutschland ist derzeit nicht verteidigungsfähig, und die Wirtschaft lahmt. Der Staat sollte aus dieser Not eine Tugend machen und mit Ausgaben für Rüstung das Wachstum ankurbeln", so Moritz Schularick weiter.
Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie?
Ganz so würde es der IG-Metall-Vorstand wohl nicht formulieren. In einem gemeinsamen Positionspapier forderten die Gewerkschaft, das Wirtschaftsforum der SPD und der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) im Februar dieses Jahres "ein industriepolitisches Konzept zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie".
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Es bedürfe einer "industriepolitischen Agenda", um "Deutschland, seine Industrie und die dortigen Arbeitsplätze sowie die Fähigkeiten und Souveränität der Bundeswehr zu stärken". Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall, betonte in diesem Zusammenhang, 2024 sei "das Jahr der Entscheidung für die wehrtechnische Industrie in Deutschland".
Gegen Aufrüstung und Krieg: Ein warnender Aufruf
Doch unumstritten sind diese Töne in den Gewerkschaften nicht. Den Aufruf "Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg! Friedensfähigkeit statt Kriegstüchtigkeit!" haben mittlerweile mehr als 4.500 Mitglieder verschiedener Gewerkschaften unterzeichnet – darunter IG-Metallmitglieder, die Betriebsräten angehören oder solche leiten.
Sie befürchten, dass das militärische Geschäftsmodell die Kriegsgefahr langfristig erhöhen wird – und dass wichtige Investitionen im zivilen Bereich ausbleiben, wenn die von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) angestrebte "Kriegstüchtigkeit" priorisiert wird.
Atomare Bewaffnung als Worst-Case-Szenario
Die Welt wird von immer neuen Kriegen erschüttert, Menschen werden getötet, Länder verwüstet. Das Risiko eines großen Krieges zwischen den Atommächten wächst und bedroht die Menschheit weltweit.
Gigantische Finanzmittel und Ressourcen werden für Krieg und Militär verpulvert. Statt damit die großen Probleme von Armut und Unterentwicklung, maroder Infrastruktur und katastrophalen Mängeln in Bildung und Pflege, Klimawandel und Naturzerstörung zu bekämpfen.
Die deutsche Regierung und Parlamentsmehrheiten beteiligen sich an dieser verheerenden Politik. Sie reden über "Kriegstüchtigkeit" und sogar über "eigene" Atombewaffnung, statt sich mit aller Kraft für ein Ende der Kriege, für Frieden und gemeinsame Problemlösungen einzusetzen.
"Geld für Soziales und Bildung statt für Waffen"
Die Ausgaben für Militär sollen 2024 auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung, über 85 Milliarden Euro, erhöht werden und in den kommenden Jahren weiter steigen. Während in den sozialen Bereichen, bei Bildung und Infrastruktur gravierend gekürzt wird und die Lasten der Klimapolitik auf die Masse der Bevölkerung abgewälzt werden.
Die Gewerkschaften müssen sich unüberhörbar für Friedensfähigkeit statt "Kriegstüchtigkeit" einsetzen, für Abrüstung und Rüstungskontrolle, Verhandlungen und friedliche Konfliktlösungen. Für Geld für Soziales und Bildung statt für Waffen. Das ergibt sich aus ihrer Tradition und ihren Beschlüssen. Auch und besonders in den aktuellen Auseinandersetzungen um die internationale Politik und um die Haushaltspolitik!
Wir fordern unsere Gewerkschaften und ihre Vorstände auf, den Beschlüssen und ihrer Verantwortung gerecht zu werden! Die Gewerkschaften müssen sich laut und entschieden zu Wort melden und ihre Kraft wirksam machen: gegen Kriege und gegen Aufrüstung!
Aufruftext "Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg! Friedensfähigkeit statt Kriegstüchtigkeit!"
Beschluss 2023: Keine Fixierung auf Waffenlieferungen
Einer der Beschlüsse, auf die sich der Aufruf bezieht, stammt vom Gewerkschaftstag der IG Metall 2023. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine hatte sie damals erklärt: "Waffenexporte sind restriktiv und transparent zu handhaben. Eine Fixierung auf Waffenlieferungen verlängert diesen Krieg und führt auf beiden Seiten zu tausenden Toten und Verletzten."
Waffenlieferungen zur Verteidigung der Ukraine gegen russische Invasionstruppen wurden also nicht pauschal abgelehnt. Der Schwerpunkt sei aber "auf diplomatische Lösungen zu legen, um zunächst einen schnellen Waffenstillstand zu vereinbaren", heiß es in dem Beschluss.
Den aktuellen Aufruf wollen die Beteiligten nun in Gewerkschaftsgremien und Versammlungen einbringen – sowie mit Fahnen und Transparenten auf den Kundgebungen zum 1. Mai.