Israel-Krieg an deutschen Schulen: Der muslimische Schüler als Verdachtsfall
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In Berlin sorgen Palästina-Proteste für Furore. Nun sollen Schüler der Polizei gemeldet werden. Unser Autor hält das für eine Katastrophe. Ein Vor-Ort-Bericht.
Ich schreibe diesen Text nicht in erster Linie als Neuköllner, nicht vorrangig als Vater der älteren Tochter, die mir erzählt hat, der Freund einer ihrer Freundinnen sei auf dem Psytrance-Festival "Sukkot Gathering" von der Hamas ermordet worden, als jemand, der Israel und die palästinensischen Gebiete mehrfach besucht hat, der sich mit Antisemitismus und ideologisch aufgeladenen Debatten über Antisemitismus auseinandergesetzt hat.
Ich schreibe diesen Text gerade vor allem in meiner Rolle als Pädagoge und mit der Erfahrung eines praktizierenden Lehrers.
Mit dem Massaker der Hamas in Kibuzzim und auf dem besagten Musikfestival in Israel sowie der Bombardierung des Gazastreifens durch die israelische Armee ist der israelisch-palästinensische Konflikt auch auf deutschen Schulhöfen wieder präsent.
Ein Vorfall auf dem Pausenhof des Ernst-Abbe-Gymnasiums in Berlin-Neukölln, bei dem es zu Handgreiflichkeiten zwischen einem Lehrer und einem Schüler mit palästinensischer Flagge kam, ist nur die Spitze des Eisbergs.
Wer in diesem Konflikt mit tätlichen Auseinandersetzungen begonnen hat, ist bis heute umstritten. Doch wie man es auch dreht und wendet: Der involvierte 61-jährige Kollege hat pädagogisch maximal versagt.
Es ist die Aufgabe von Pädagogen und Lehrern, Ereignisse und Themen, die für die Schülerschaft von Bedeutung sind, aufzugreifen und diskutierbar zu machen.
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Gerade eine starke eigene Meinung und politische Äußerungen müssen für Lehrerinnen und Lehrer Ansporn sein, diese zum Anlass zu nehmen, ein pädagogisch bedeutsames Ereignis mit dem Ziel der Erkenntnisförderung auf Seiten der Schülerinnen und Schüler zu schaffen. Im Sinne einer kritischen Pädagogik, die die Frage "Wer erzieht den Erzieher?" stellt, kann man auch für sich selbst Lernprozesse erwarten.
Eine Palästina-Fahne ist nicht verboten, sie ist nicht vergleichbar mit einer Hakenkreuzfahne. Der Lehrer hätte die Schüler auffordern können, sie auf dem Pausenhof auszubreiten, man hätte sich darum gruppieren und eine Diskussion über die Ereignisse in Israel und Gaza anstoßen und moderieren können.
Eine pädagogisch geschulte Person müsste in der Lage sein, eine Provokation als Provokation zu erkennen und ihr die Spitze zu nehmen, sie in einen Gesprächsanlass umzuwandeln.
Da die Schule ein hierarchisches System ist, in dem die Lehrer in letzter Instanz immer die stärkeren Machtmittel haben, von der Note bis zum Schulverweis, sollten die Lehrer mit den kleinen subversiven und provokativen Regelverletzungen ihrer Schüler vertraut sein, die schließlich dieses hierarchische System manchmal herausfordern wollen.
Doch der Vorfall an der Schule deutet auf weitaus drastischere Dinge hin als auf einen unreflektierten und pädagogisch schlecht ausgebildeten Lehrer. Die Elternvertreterin der Schule erklärte nach dem Vorfall gegenüber dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) nicht nur, dass der Lehrer die Handgreiflichkeiten begonnen habe, sondern auch, dass der Vorfall eine Vorgeschichte habe:
Der Lehrer hat vor zwei Wochen eine Schülerin, die eine Kette mit der Palästina-Flagge trug, weinend aus der Klasse geworfen. Er sagte, sie solle die Kette einstecken. Sie verstand nicht, warum. Er ist ihr provozierend gefolgt, als sie auf die Toilette gehen wollte, und hat sie weinend zur Schulleitung gebracht.
Abgesehen davon, dass es einem Lehrer strikt untersagt sein sollte, die Kleidung oder Kleidungsaccessoires von Schülern und vor allem von Schülerinnen zu kommentieren und zu kritisieren, zeigt dieses Verhalten, dass der Lehrer gegenüber einigen seiner Schüler voreingenommen ist.
Eine dort geplante und von der Polizei verbotene Demonstration gegen Rassismus in der Schule hatte also ihre volle Berechtigung, ihre Verhinderung ist ein Skandal.
Der betreffende Lehrer ist nicht nur desinteressiert an den Beweggründen der Schülerin, eine solche Halskette zu tragen, er scheint im Zeigen der Halskette ein moralisches oder politisches Vergehen zu sehen.
Nun mag die Palästinenserkette ein Palästina in grün-schwarz-rot ohne Israel zeigen. Wenn sich eine Lehrkraft berechtigterweise an dem symbolischen Verschwinden Israels stört, könnte sie die Schülerin fragen, ob sie die Halskette im Unterricht besprechen darf, indem sie sie z.B. unter eine Dokumentenkamera legt.
Mit etwas Recherche und Medienkompetenz hätte man dieses Bild von Palästina mit Karten des UN-Teilungsplans, der aktuellen Situation in Israel und den (besetzten) palästinensischen Gebieten zeigen können.
Es wäre vielleicht die spannendste Geographie-, Politik- oder Geschichtsstunde gewesen, die ein solcher Lehrer in seiner Laufbahn gehalten hätte.
Diese Bemerkungen mögen für viele anmaßend und arrogant klingen. Ich weiß von Kolleginnen und Kollegen an Berliner Schulen, dass die Stimmung mehr als aufgeheizt ist. Lehrerinnen und Lehrer, die sich um eine differenzierte Diskussion bemühen, werden bespuckt, Israel-Fahnen verbrannt.