Israel-Krieg an deutschen Schulen: Der muslimische Schüler als Verdachtsfall

Seite 2: Grenzen der Toleranz und Verständigung

Als Neuköllner und Vater einer zweiten kleinen Tochter, die hier aufwächst, bin ich durchaus besorgt und mir bewusst, dass es Hass, Wut und feindselige Äußerungen von propalästinensischer, arabischer und muslimischer Seite gibt, die sich einer wohlwollenden Pädagogik entziehen.

Ich weiß, wie schnell es zu Situationen kommen kann, in denen die andere Seite eine Feindbestimmung vornimmt, die man kaum beeinflussen kann, in denen es keine Zeit gibt, aber auch keine Bereitschaft zum Dialog.

Bei meinem letzten Besuch in Israel wurde ich in Ost-Jerusalem von Jugendlichen, die so alt waren wie meine älteren Schüler, mit Steinen beworfen.

Auf meinen wohlüberlegten und englischsprachigen Ruf "Stopp, ich bin kein Soldat! Ich bin nicht Teil der Okkupation" erhielt ich als Antwort noch mehr Steine und die Entgegnung: "Aber du bist kein Muslim!"

Niemand kann ein Interesse daran haben, dass solche Kulturkampfszenarien weiter um sich greifen.

So freue ich mich auch als Neuköllner, wenn ich als jemand, dem man (warum auch immer) ansieht, dass er weder Araber noch Muslim ist, mit meiner arabischen und muslimischen Nachbarschaft freundliche Blicke und Worte austausche.

In den letzten Tagen habe ich das Gefühl, dass die freundlichen Blicke sogar noch zugenommen haben – im Gegensatz zu den überall verkündeten Freund-Feind-Erklärungen.

Leider nehme ich wahr, dass manche Manöver der Politik und Berichte der Medien zu einer einseitigen Freund-Feind-Scheidung beitragen, die Kulturkampfszenarien heraufbeschwören, statt ihnen entgegenzuwirken.

Mit einigem Entsetzen konnte ich als Medienkonsument in einer Sendung von Markus Lanz verfolgen, wie sich eine im Grunde völlig unbefangene Runde in Horrorszenarien über die aktuelle Situation erging.

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sprach in der Sendung vom 17. Oktober von abscheulichen Szenen des Antisemitismus in seiner Stadt. Man müsse abschieben und das Strafmaß voll ausschöpfen.

Für Israelfeindlichkeit müssten "solche Leute" auch mal ins Gefängnis. Wen er vor Augen hat, was er konkret bestrafen will, bleibt im Dunkeln.

Im Hintergrund sieht man Bilder von Menschen mit Palästina-Fahnen auf dem Potsdamer Platz. Man sieht Rangeleien mit der Polizei und ziemlich brutale Festnahmen. Auch ein Plakat "Stoppt das Töten von Palästinensern" ist zu sehen.

Der Islamexperte Guido Steinbach fantasiert von arabischen Migrantenkindern, die Hände und Köpfe abhacken wollen. Er räumt ein, dass dieses Wissen anekdotisch sei.

Eine Spiegel-Redakteurin fasst Briefe von Lehrern an sie zusammen und empört sich bei der Lektüre darüber, dass Schüler mit Migrationshintergrund Lehrer darauf hinweisen würden, dass ihre Großeltern nichts mit dem Holocaust zu tun hätten, sondern dass dies die Schuld der Deutschen sei.

Niemand in der Runde stellt die richtigen Fragen: Worin, lieber Herr Wegner, besteht der Antisemitismus, wenn man Menschenrechte einfordert und dazu aufruft, keine Palästinenser zu töten?

Solidaritätsbekundungen mit den eingeschlossenen Menschen in Gaza werden letztlich kurzgeschlossen mit antijüdischen Hetzparolen, die es sicher auch anderswo in Berlin gegeben hat. Aber um Differenzierung geht es in der Sendung nicht.

Markus Lanz hatte nichts Besseres zu tun, als zu fragen, ob ein Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft nicht sinnvoll wäre.

Auch die Expertise des Islamwissenschaftlers Steinbach, der offensichtlich nicht über deutsche Schulen, sondern über den internationalen Terrorismus geforscht hat, steht letztlich auf wackeligen Beinen.

Und sind einige der von der Spiegel-Redakteurin Melanie Amann zitierten Schüleraussagen nicht plausibel? Sollte sich der Lehrer, der den Brief an die Journalistin geschickt hat, nicht überlegen, wie er universelle Lehren aus dem NS-Faschismus so vermittelt, dass auch ein Jamal ohne Nazi-Opa und nicht nur ein Markus mit Nazi-Opa sie verinnerlichen kann?

Mehr noch: Melanie Amann berichtet von muslimischen Schülern, die ihren deutschen Lehrern ohne Migrationshintergrund vorwerfen, keine Ahnung vom Palästina-Konflikt zu haben. Sie selbst, die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, hätten den Kontakt und die Erfahrung von Tante und Onkel, die dort lebten, der Lehrer hingegen habe nur eine durch die westliche Berichterstattung getrübte Sicht.

Auch hier müsste ein informierter Zeitgenosse feststellen, dass die von der Spiegel-Redakteurin zitierte Schülerin bzw. der zitierte Schüler, wenn er denn so reflektiert sprechen würde, schlichtweg recht hat.

Ziemlich hilflos kommentiert Frau Amann die Aussagen: "Wie kommst du dagegen an?" Dieser Satz ist verräterisch, weil er das ideologische und falten-verleugnende Arrangement deutlich macht.

Die Wirklichkeitsproduktion, die der Spiegel-Redakteurin vorschwebt, muss also die erzählten Geschichten, die Narrative von Muslimen, Arabern und Palästinensern, die migrantische Schülerinnen und Schüler hier präsentieren, systematisch ausblenden.

Gerade im schulischen Kontext ist das verheerend. Nur das unbedingte Zulassen und Diskutieren dieser Erzählungen kann Verhärtungen auflösen und Verständigungsprozesse fördern. Im Geschichts- und Politikunterricht sollte daher mehr Raum für multiperspektivisches Erinnern geschaffen werden.