Italien will Konjunktur mit Steuersenkungen ankurbeln

Das Land verhandelt über einen Rettungsantrag und will mit massiven Privatisierungen die hohe Verschuldung abbauen

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Italien rutscht immer tiefer in die Rezession. Nun scheinen sich Gerüchte zu bestätigen, dass die Regierung deshalb die Konjunktur ankurbeln will. Unter anderem sei neben Investitionen im Energiebereich auch daran gedacht, Steuern zu senken. Gleichzeitig befindet sich das Land auch in Gesprächen um einen Rettungsantrag beim temporären Rettungsfonds (EFSF). Der soll Staatsanleihen des Landes kaufen, um die zu hohen Refinanzierungskosten zu senken. Mit massiven Privatisierungen soll zudem die enorme Staatsverschuldung von zwei Billionen Euro deutlich gesenkt werden.

Gerade hat die europäische Statistikbehörde neueste Konjunkturdaten vorgelegt, nach denen die Euro-Zone in die Rezession abgleitet (Euro-Zone praktisch in der Rezession). Die beiden großen Euro-Länder Italien und Spanien haben daran einen besonderen Anteil, da sie tief in die Rezession zurückgespart wurden. Zwar ist in Italien die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorquartal nur um 0,7% geschrumpft ist, im ersten Quartal noch um 0,8%, aber das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum schon um 2,5% gesunken. Nur in den Euro-Ländern Griechenland (-6,2%) und Portugal (-3.3%), die bereits unter den Rettungsschirm gehen mussten, ist das BIP in den letzten 12 Monaten noch stärker geschrumpft.

Italiens Ministerpräsident Mario Monti weiß um die Gefahren einer gefährlichen Abwärtsspirale. Stürzt die Konjunktur weiter ab, steigt auch die Arbeitslosigkeit weiter, die im Juni ohnehin auf 10,8% geklettert ist. Damit steigen Sozialausgaben und die Steuereinnahmen brechen ein. Das schwer angeschlagene Spanien kann davon ein Lied singen. Obwohl Montis konservative Freunde in Spanien massiv Steuern erhöht haben, gingen die Steuereinnahmen im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahreszeitraum sogar um 1,4% zurück, weil der ohnehin schwache Konsum weiter abgewürgt wurde.

Steuersenkungen als Konjunkturspritze

Genau diesen "verrückten" Sparweg, der die Negativspirale antreibt, will Monti offenbar nicht weiter mitgehen. Hatten spanische Konservative gegen alle Wahlversprechen Steuern wie die Einkommenssteuer massiv erhöht, zum ersten September wird auch die Mehrwertsteuer auf 21% angehoben, will Monti die Einkommenssteuer senken, um die "Konjunktur anzukurbeln". Das hatte jedenfalls die meist gut aus Regierungskreisen unterrichtete Zeitung La Repubblica gemeldet. Geplant sei, die Steuer noch in diesem Jahr zu senken, jedenfalls noch in dieser Legislaturperiode, womit der Konservative Monti eindeutig Wahlkampf macht. Als der Wirtschaftsprofessor vor knapp einem Jahr die Regierung vom Chaos-Vorgänger Silvio Berlusconi übernahm, hatte er eine solche Steuersenkung noch definitiv ausgeschlossen.

Ein entsprechendes Dokument mit geplanten Maßnahmen habe der Ministerpräsident zum Studium während der Sommerpause an den Staatspräsident, Giorgio Napolitano, seine Minister und die Präsidenten von Senat und Kongress weitergeleitet, berichtet die italienische Zeitung. Eigentlich habe der Ministerpräsident versucht, den Vorschlag von der Öffentlichkeit fern zu halten, um keine "unbegründeten Hoffnungen" zu schüren. Doch die Parteien, welche seine Regierung stützen, hatten ihn zu Maßnahmen gedrängt, die für den Wahlausgang im kommenden Jahr entscheidend sein könnten. Da die Steuersenkungspläne nun bekannt sind, ist ein Rückweg für Monti schwierig. Allerdings versuchte er am Donnerstag der Indiskretion in den eigenen Reihen zu begegnen. Er erklärte, es sei "verfrüht" über eine Senkung der Einkommenssteuer nachzudenken. Er räumte aber gleichzeitig ein, dass die Steuerlast für Beschäftigte und Unternehmen zu hoch sei, womit er wiederum Handlungsbedarf signalisierte.

In der Debatte sind offenbar auch noch andere Steuersenkungen. Unpopuläre Maßnahmen wie eine Amnestie für Steuersünder seien dagegen nicht geplant. Auch dabei setzt sich Monti klar vom Spanier Mariano Rajoy ab, denn der belohnt nach seinem Wahlsieg nun Steuerhinterzieher regelrecht für ihre Straftaten. Sie können derzeit Schwarzgelder mit einer lächerlichen Abgeltungssteuer von höchstens 10% legalisieren. Die Steuerersparnis für Reiche ist enorm, da sie zum Teil über 50% Steuern hätten bezahlen müssen, wenn sie sich an die Gesetze gehalten hätten. Vor Wahlen kommt es nicht gut an, derlei anzukündigen, weiß auch Monti.

Neue Energiepolitik

Steuererleichterungen soll es offenbar auch im Energiebereich geben, denn Monti erarbeitet derzeit auch einen neuen Energieplan. Unter anderem soll mit Steuervergünstigungen die Energieeffizienz erhöht und der Verbrauch gesenkt werden. Um die massive Energieabhängigkeit zu senken, sollen aber nicht nur erneuerbare Energien zur Stromproduktion gefördert werden. Geplant ist auch, die eigene Ölproduktion zu steigern. Nach den ehrgeizigen Plänen sollen in der Zukunft bis zu 20 Prozent des nationalen Verbrauchs aus eigenen Ressourcen gedeckt werden.

Dafür soll auch im Mittelmeer direkt vor der Küste nach Öl gebohrt werden. Die bisherige Grenze von 12 Seemeilen soll dafür deutlich schrumpfen. Zudem soll auch verstärkt in Gaspipelines investiert werden, um aus Italien einen zentralen Knotenpunkt für Gaslieferungen aus Nordafrika und Zentralasien bei der Weiterleitung in andere europäische Länder zu machen. Viele Milliarden müssten investiert werden, um all das umzusetzen. Auch diese strategische Neubestimmung der Energiepolitik ist ein Programm zu Wachstumsförderung und soll ein Wachstum von 0,5% bringen.

Damit nähert sich Italien Empfehlungen der EU-Kommission an. Schließlich hatte EU‑Energiekommissar Günther Oettinger in einem Strategiepapier den Spaniern vorgerechnet, es sei für das Land billiger und könne ein Ausweg aus der Krise sein, in erneuerbare Energien zu investieren. ("Es ist billiger, in erneuerbare Energien zu investieren"). Da auf dem letzten EU-Gipfel auch ein Wachstumspaket beschlossen wurde, muss man kein Hellseher sein, um vorhersagen zu können, dass Monti mit diesen Plänen einen guten Teil der 120 Milliarden Euro nach Italien umlenken will.

Diese Strategie ist deutlich intelligenter als die des Spaniers Rajoy, der vor allem Lobbypolitik macht, die erneuerbaren Energien sogar zu Gunsten von gefährlichen Dinosauriern, wie alten Atomkraftwerken, ausbremst. Dafür wird kein frisches Geld nach Spanien fließen. Das Land zieht sich wegen der rückwirkenden Anwendung neuer Regeln immer stärker Kritik aus Brüssel zu und es drohen Sanktionen Anders als Rajoy hat Monti offenbar bemerkt, dass es auch einen klaren Zusammenhang zwischen einer steigenden Verschuldung und der Energieabhängigkeit von Krisenländern gibt. In einem Arbeitspapier war kürzlich darauf hingewiesen worden, dass Italien und Spanien "ihre Leistungsbilanz mit den bisherigen Maßnahmen weitgehend ausgeglichen hätten, wenn die Kosten für den Import von fossilen Energieträgern nicht so stark angestiegen wären".

Auch in einer anderen Frage denkt Monti praktischer darüber nach, wie Italien seine enormen Kosten für den Schuldendienst verringern kann. Während Spanien um einen Rettungsantrag zum Ankauf von Staatsanleihen beim Rettungsfonds EFSF ein Drama macht und weiter auf Zeit spielt, hat Monti frühzeitig erklärt, er werde den Antrag stellen, wenn die Zinsen zu hoch werden (Beginnt jetzt Italien zu taumeln?). Das ist die Voraussetzung dafür, dass auch die Europäische Zentralbank (EZB) ihr Aufkaufprogramm wieder startet.

Und nur gemeinsam mit der Schlagkraft der EZB ist die Hoffnung berechtigt, dass die Zinsen real durch Aufkäufe italienischer oder spanischer Papiere am Sekundärmarkt gedrückt werden können. Die Renditen für zehnjährige italienische Papiere liegen weiterhin viel zu hoch im Bereich von 5,5%. Sie sind zwar wieder etwas gesunken, aber nicht ausreichend. Deshalb hat Montis Bildungsminister sogar öffentlich eingeräumt, dass schon "langwierige" Gespräche über den Antrag geführt würden. Gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg erklärte Francesco Profumo weiter, "wir haben noch etwas Zeit, um darüber zu diskutieren". Man wolle die Bedingungen abwarten erklärte er auf die Frage, ob der Antrag im September gestellt werde.

Damit wird klar, dass Monti, ebenso wie Rajoy, möglichst günstige Bedingungen aushandeln will. Beide scheuen Auflagen und Kontrollen wie der Teufel das Weihwasser. Im Fall Italiens geht es aber tatsächlich noch darum, ob ein großer Teil der Souveränität an Brüssel und den Internationalen Währungsfonds (IWF) abgegeben wird. Im Fall Spaniens, das ohnehin schon Auflagen und Kontrollen im Rahmen des Rettungsantrags für die Bankenrettung über sich ergehen lassen muss, ist dieses Zieren nur noch peinlich, weil zumindest an der Ausweitung des bisherigen Antrags kein Weg mehr vorbeiführt. Es gibt aber in Italien auch diverse einflussreiche Gruppen, die auf Monti einwirken. Gewerkschaften, Unternehmer und Parteien fürchten, dass stramme Auflagen fatale Auswirkungen wie in Griechenland und Portugal zeitigen könnten. Steuersenkungen wären dann wohl auch nicht drin.

Privatisierungen sollen zum Abbau von Schulden dienen

Offenbar will Monti auch in einem massiven Befreiungsschlag versuchen, die enorme Staatsverschuldung zu senken, um die steigenden Ausgaben für den Schuldendienst in den Griff zu bekommen und wieder Vertrauen zu schaffen. Geplant ist offensichtlich, durch massive Privatisierungen so viel Geld in die Staatskassen zu spülen, um die Staatsverschuldung um 20 Prozentpunkte auf gut 100% des BIP zu senken. Dass wäre angesichts der Tatsache, dass die Staatsverschuldung 2012 vermutlich die Grenze von zwei Billionen überschreitet, eine wahre Herkulesaufgabe.

Unklar ist, wie Monti diese Aufgabe stemmen will. Geschätzt wird, dass der Staat mit 80 bis 140 Milliarden Euro an Unternehmen beteiligt ist. Selbst wenn er sich komplett von ihnen trennen würde, könnte das ambitionierte Ziel nicht erreicht werden. Das will die Regierung aber ohnehin nicht. Strategisch bedeutsame Unternehmen sollen sogar über besondere Gesetze vor Übernahmen geschützt werden. Das Kabinett hat schon beschlossen, eine Liste von bedeutsamen Staatskonzernen im Bereich Verteidigung und nationale Sicherheit zu verfassen, die besonders geschützt werden sollen.

Bliebe eigentlich nur noch übrig, das Tafelsilber zu verscherbeln, denn die öffentlichen Gebäude sollen einen Gesamtwert von gut 420 Milliarden Euro haben. Nur wenn ein guter Teil davon versilbert würde und sich auch Käufer fänden, ließe sich das Ziel erfüllen. Spanien hat damit aber zum Beispiel schlechte Erfahrungen gemacht. Die Angebote für Flughäfen oder für die lukrative Lottogesellschaft mussten abgeblasen werden, weil die Angebote weit hinter den Summen zurückblieben, die der Staat über den Verkauf einnehmen wollte.

Man fragt sich aber, warum denn Staatseigentum verkauft werden soll, wenn das Geld auch einfacher eingenommen werden könnte. So könnte endlich massiv gegen Steuersünder vorgegangen werden, was seit Jahren immer wieder angekündigt wird. Jährlich entgehen Italien geschätzt zwischen 120 bis 140 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung. Würde der Staat auch noch riesige Vermögen von Superreichen vernünftig besteuern, dann könnte die Verschuldung tatsächlich sehr schnell und nachhaltig abgebaut werden. Erwartet wird aber nicht, dass ausgerechnet der ehemalige Mann der US-Investmentbank Goldman Sachs auf solche Ideen kommt, auch wenn die Besteuerung von Superreichen sicher sehr populär wäre.