JFK – Das Rätsel um den Jahrhundertmord steht vor der Auflösung
60. Jahrestag zu Kennedy-Attentat in Dallas wirft seine Schatten voraus. Die Berichterstattung dazu ist ein brauchbarer Gradmesser für die Zuverlässigkeit und Unabhängigkeit von Medien, meint unser Autor.
Morgen, am 22.11.2023, jährt sich das nach wie vor ungeklärte Attentat auf den 35. US-Präsidenten John F. Kennedy zum 60. Mal.
Wie man heute weiß, glaubten 1964 selbst die Mitglieder der Warren-Kommission nicht an die Legende vom "Einzeltäter" Oswald, dem sie nicht einmal ein Motiv zuordnen konnten.
So hatte Kennedy-Freund Richter Earl Warren seine Mitwirkung an der Farce zweimal verweigert, bis ihn Präsident Johnson mit dem Argument zur Kooperation zwang, ein anderer Vorsitzender könne ja Verbindungen Oswalds zu Kuba oder der Sowjetunion finden und damit Nuklearkrieg auslösen.
Ein Jahr lang vermied Warren ein Verhör von Oswald-Mörder Jack Ruby, unterließ Untersuchungen, die Secret Service, CIA oder FBI in Verlegenheit gebracht hätten und zog die Handbremse an, wenn es heikel wurde.
Kommissionsmitglied John Sherman Cooper, dem eine abweichende Meinung im Abschlussbericht verweigert wurde, stach offenbar Material an die kritische Journalistin Dorothy Kilgallen durch, die als einzige etablierte US-Journalistin gegen die Pseudo-Aufklärung lautstark wetterte.
Warten auf Freigabe aller Untersuchungsakten
Kommissionsmitglied Hale Boggs sprach hinter den Kulissen mit Bezirksstaatsanwalt Jim Garrison, der daraufhin seine berühmten Ermittlungen gegen CIA-Agent Clay Shaw begann.
Als Kommissionsmitglied Gerald Ford selbst Präsident wurde, gestand er seinem Amtskollegen Valéry Giscard d'Estaing im Hinblick auf die ähnlichen Attentate auf Charles de Gaulles vertraulich, dass der Warren-Kommission ebenfalls klar war, dass es mindestens einen zweiten Schützen gegeben haben musste.
Die für 2017 im JFK Records Act versprochene Freigabe aller Untersuchungsakten zum Jahrhundertmord blieb aus, dieses Jahr nun hat Präsident Joe Biden den einzelnen Behörden selbst die Aktenhoheit übertragen. Die CIA darf nun selbst darüber befinden, wann sie den kolportierten Kennedy-Plan veröffentlicht, den Geheimdienst "in tausend Stücke zu zerschlagen".
Während von Anfang an die Hälfte der US-Bevölkerung der Berichterstattung Skepsis entgegenbrachte, huldigten die konventionellen Medien dem Narrativ der US-Behörden – in den USA wie hierzulande.
Warnung vor Verschwörungstheorien
Zum 50. Jahrestag im Jahr 2013 wurde das Thema in Deutschland weitgehend ignoriert, obwohl seit dem Spielfilm "JFK – Tatort Dallas" (1991) die wesentliche Kritik etwa an der Single-Bullet-Theorie als allgemein bekannt vorausgesetzt werden darf. Einzig Mathias Bröckers hatte 2013 ein Buch zum Thema vorgelegt, von dem inzwischen eine aktualisierte Ausgabe erschienen ist.
Stattdessen warnen die Medien eifrig vor "Verschwörungstheorien", obwohl sich die meisten Autoren auf Kritik an der Schlüssigkeit des Warren Reports beschränken - im Einklang mit den offiziellen Untersuchungen der 1970er- und 1990er-Jahre.
Den Kampfbegriff "Verschwörungstheoretiker" (conspiracy theorist) hatte 1968 niemand anders als die CIA in einer Handreichung an befreundete Meinungsführer vorgeschlagen, um unerwünschte Kritiker mundtot zu machen, etwa Mark Lane und Jim Garrison.
Stand der Forschung
Die "Berichterstattung" zum Jahrhundertattentat ist ein brauchbarer Gradmesser für die Zuverlässigkeit und Unabhängigkeit von Medien. Deutsche Autoren lassen das Thema offenbar gleich ganz aus oder verbrämen den ernsten Stoff mit Desinformation.
Tonangebend ist offenbar der Spiegel, der die Diskussion mit der Frage nach Außerirdischen "bereichert".
Vor einem Jahrzehnt brachten insbesondere zwei Bücher den Forschungsstand auf den Punkt: Oliver Stones Rechercheur James DiEugenio "Destiny Betrayed" (2012) bildete die Grundlage der Dokumentation "JFK Revisited" (2021), der zum Jahrestag am 22.11.2023 auf 3sat zusehen ist.
Das ebenfalls fundierte Werk "JFK and The Unspeakable" (2010) von James W. Douglas wurde nun von The Infographic Show in einem stilisierten Trickfilm "Was President JFK Really Killed by the CIA" illustriert und fasst auf beeindruckend prägnante Weise in einer guten Stunde die wesentlichen Erkenntnisse und Hintergründe zusammen.
Wohlgemerkt: den nachprüfbaren Sachstand, keine Spekulation.
Dieser Tage nun ist der Publizist Jefferson Morley ein gefragter Mann. Morley betreibt das Blog jfkfacts.org, hat eine Biographie über CIA-Mastermind James Jesus Angleton verfasst sowie das Duell zwischen CIA-Chef Richard Helms und dem strauchelnden Präsident Nixon dokumentierte, die nach Watergate mit den Einbrechern verstrickt waren, die auch mit den Morden an den Kennedys in Verbindung gebracht wurden – so ausdrücklich von Nixon.
Podcasts zum definitiv karriereschädlichen Thema
Der legendäre Regisseur Rob Reiner ("Harry und Sally", "Eine Frage der Ehre"), der allerdings seinen Ruf 2016 mit einem fragwürdigen Biopic über Lyndon B. Johnson "LBJ" gefährdet hatte, erörtert nun das Attentat mit der Journalistin Soledad O'Brien in einem wöchentlichen Podcast Who Killed JFK?.
Reiner hat sich das Thema zur Lebensaufgabe gemacht und verspricht, sogar die Namen von vier von ihm ausgemachten Schützen zu nennen. Als erster namhafter Kommentator greift er die Lebensbeichte des einstigen Anwalts John Curington auf, der damals als rechte Hand des ultrarechten Superreichen H. L. Hunt fungierte.
Wie einst Starregisseur Oliver Stone bei "JFK" berichtet auch Reiner von Problemen mit der Finanzierung. Medienkonzerne wie etwa NBC, die stur den Warren-Report stützen, lassen keine andere Meinung gelten.
Das Thema ist definitiv karriereschädlich. Der historische Podcast "True Spies" (eingesprochen von Daisy Ridley und Edward Norton) hat im Juli eine empfehlenswerte Biographie von Oswald produziert, der nach Aktenlage während seines Aufenthalts in der Sowjetunion CIA-Agent gewesen sein muss und anschließend ebenfalls verdeckt für US-Behörden gearbeitet hatte.
Aktuell bietet "True Spies" eine mit David Talbot als Experten produzierte Doppelfolge über CIA-Direktor Allen Dulles, der erst Kennedy selbst manipulierte und dann denn Warren Report.
Wer es gerne eine Spur krawalliger und interaktiv mag, wird den Vodcast von Mark Groubert schätzen. Oliver Stone hatten den investigativen Journalisten und Comedian Groubert mit dem Drehbuch für eine projektierte Serie über Oswald beauftragt.
Groubert verwertet nun sein historisches Wissen über das Thema unterhaltsam auf YouTube in seiner Show America's Untold Stories.
Während man in den 1960er-Jahren Kritiker als Spinner abtun konnte, erlauben 2023 Aktenfreigaben, Memoiren, Forschung und fadenscheinige Vertuschung inzwischen durchaus ein schlüssiges Bild, was damals tatsächlich passiert sein muss und warum. Im Gegenteil muss sich heute als Spinner bezeichnen lassen, wer allen Ernstes noch immer Oswald für den Täter hält.
Der Autor dieser Zeilen, der sich seit Langem mit den Aktenfreigaben zum Attentat beschäftigt, zeichnet in einem privaten Podcast #JFK60 selbst den Forschungsstand des Jahres 2023 nach. Bislang erschienene Folgen:
1. Wie wurde Oswald als Alleintäter 1963 kommuniziert – und eine Quellenkritik
2. Die Dealey Plaza vor dem Attentat – ein ganz normaler Platz in Texas?
3. Geheimagenten, die zu viel wussten
4. Wer war Lee Harvey Oswald? (1/2) – Abenteuer in der Sowjetunion
5. Wer war Lee Harvey Oswald? (1/2) – Zurück in den USA
6. Papierkrieg – Wann werden die JFK-Akten vollständig freigegeben?
7. Die Mitglieder der Warren Kommission – glaubten die Story selber nicht.