Katalanischer Exil-Präsident Puigdemont sitzt nun doch im EU-Parlament

Archivbild (2016): Puigdemont in Barcelona. Foto: Generalitat de Catalunya

Alle Versuche der spanischen Repression sind gescheitert, das Land hat sich über seine politisierte Justiz in die Sackgasse manövriert und steuert erneut auf Neuwahlen zu

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Die Vorentscheidung war längst gefallen, als der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshof (EuGH) im November in seinem Gutachten erklärt hatte, dass der Chef der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) Immunität genießt und nicht in einem spanischen Gefängnis, sondern im Europaparlament sitzen sollte.

Als nun, wie üblich, der EuGH dem Gutachten folgte und bestätigte, dass Oriol Junqueras freigelassen werden muss, war eigentlich längst klar, dass auch der Exilpräsident Carles Puigdemont Immunität genießt, da die "unabhängige" spanische Justiz auch in seinem Fall und dem des Ex-Ministers Toni Comín das Europarecht mit Tricks ausgehebelt hatte, worüber Telepolis in den vergangen Monaten ausgiebig berichtete.

Am Freitag musste Spanien und seine "unabhängige" Justiz eine weitere schwere Schlappe hinnehmen. So hatte schon nach dem EuGH-Urteil zu Junqueras der neue Europaparlamentspräsident David-Maria Sassoli Spanien aufgefordert, das Urteil umzusetzen. Nur folgerichtig hob er schließlich das Veto gegen Puigdemont und Comín auf, das sein Vorgänger und Mussolini-Fan Tajani ausgesprochen hatte.

Es ist dramatisch, dass Sassoli sogar die spanische Justiz aufrufen muss, die Entscheidung des EuGH zu respektieren! Er hat derweil den rechtlichen Dienst des Parlaments beauftragt zu prüfen, "welche Auswirkungen das Urteil auf die Zusammensetzung unseres Parlaments haben wird". Wäre es nicht endlich an der Zeit, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Spanien einzuleiten, das sogar Urteile des EuGH missachtet und Junqueras weiter im Gefängnis hält? Es gab schon einmal eine Initiative dazu, aber jetzt sollte das Europaparlament tätig werden.

Die beiden ausgesperrten Katalanen hatten nach dem Junqueras-Urteil den EuGH um eine Eilentscheidung angehalten. Damit kam für Spanien gleich die nächste Watsche. Der EuGH urteilte schnell, dass die Tajani-Blockade gegen Puigdemont und Comín rechtswidrig war. Der Gerichtshof wies den Fall erneut zurück an das Gericht der Europäischen Union (EuG). Das Gericht hatte sich über Tajani in die spanische Repressionsstrategie einbinden lassen, der damit das gesamte Europaparlament mit sich tief in den Morast gezogen hat.

Einen Tag vor der konstituierenden Sitzung hatte EuG-Gerichtspräsident Marc Jaeger das Eilverfahren abgewiesen, das die Katalanen beantragt hatten. Statt die Lage schnell zu klären, konnte sich deshalb ein anormales Parlament konstituieren, in dem zwei Millionen Menschen nicht vertreten waren. Über ihre einstweilige Anordnung wollten Puigdemont und Comín erreichen, dass sie vorsorglich ihre Sitze einnehmen, bis eine endgültige Entscheidung gefällt ist. Das wäre der logische Schritt gewesen.

Dem wurde nicht stattgegeben und dem Europaparlament massiver Schaden zugefügt, wie sich jetzt gezeigt hat.

Puigdemont: "Ein Tag der Freude"

"Es ist ein Tag der Freude, nicht nur für uns, sondern für all die, die an ein Europa glauben, dessen Grundlage der Wille seiner Bürger ist", erklärte der Exilpräsident Puigdemont am Freitag, nachdem er seinen vorläufigen blauen Parlamentspass erhalten hat. Dass er und Comín nun im Europarlament sitzen, ist die dritte schallende Ohrfeige für Spanien in wenigen Tagen. "Das ist der Beweis, dass es sich lohnt zu kämpfen", erklärte er beim Verlassen des Parlaments. Die definitive Akkreditierung soll nun Anfang Januar abgeschlossen werden.

Nach Spanien will Puigdemont weiterhin nicht gehen, obwohl er Immunität genießt. Sein Anwalt Gonzalo rät ihm angesichts des spanischen Umgangs mit Junqueras auch nicht dazu. Vermutlich wird sich Puigdemont in den französischen Teil Kataloniens begeben und weitere Schritte abwarten. Schließlich liegt noch immer ein grundloser Europäischer Haftbefehl (zum dritten Mal gestellt) gegen ihn vor. Allerdings ist zu erwarten, dass der unselige Richter Llarena, der den ganzen Vorgang eingeleitet hat, diesen auch zum dritten Mal zurückzieht.

Wie Boye ist auch Professor Eckhart Leiser der Ansicht, dass die Verurteilung von Junqueras zu 13 Jahren Haft illegal ist, da er wegen Immunität nie hätte verurteilt werden dürfen. In Spanien wurde "nicht einmal die sich logisch eigentlich aufzwingende Frage gestellt, welche rechtliche Basis ein Urteil in einem Prozess haben kann, der eigentlich Ende Mai hätte suspendiert werden müssen".

Und auch Leiser rät Puigdemont, "nicht an der nächsten Sitzung des Präsidiums seiner Partei JxCat in Barcelona teilzunehmen", wie der angedeutet hatte. Denn es bleibe "abzuwarten, was sich da der spanische Staat noch einfallen lässt".

Rechte und Rechtsextremen wieder einmal völlig aus dem Häuschen

Tatsächlich sind die Rechten und Rechtsextremen in Spanien wieder einmal völlig aus dem Häuschen. "Hure Europa" twittert der Journalist der La Razón Alfonso Ussía. Die Ultras fordern, das EuGH-Urteil schlicht zu missachten. Der Generalsekretär der rechten Volkspartei (PP), Teodoro García Egea, sagte, Junqueras sei "rechtskräftig verurteilt" und müsse seine Strafe absitzen, "unabhängig davon, was hier und da gesagt wird".

Dessen Kollege Esteban González Pons, nun Europaparlamentarier und früherer PP-Sprecher, forderte erneut vom neuen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez, die Schengen-Vereinbarungen aufzukündigen. Das hatte er schon getan, als Deutschland die Auslieferung von Puigdemont verweigerte.

Nun geht er wie wie die rechtsradikale Vox-Partei aber noch einen Schritt weiter und will sogar die Grenzen zu Europa wieder ziehen. "Wir sollten die Grenzen wieder aufbauen", sagte er. Damit hat er sich als Europaparlamentarier diskreditiert.

"Wir können die Grenzen nicht beseitigen, wenn wir einander nicht trauen", meint er und fordert damit implizit, dass Europa jeden undemokratischen spanischen Unfug abzunicken habe. Die PP zeigt so erneut, dass sie weiter im Franquismus verankert ist, von dem sich die Partei nie distanziert hat, die von Franco-Ministern gegründet wurde. Sie ist sich weitgehend einig mit ihrer etwas radikaleren Abspaltung Vox.

Die Repressionspolitik geht weiter: Strafe gegen den katalanischen Präsidenten Quim Torra

Während Spanien in Europa ein ums andere Mal abgewatscht wird, führt es seine Repressionspolitik gegen Katalonien fort.

Das zeigt ein weiterer Gerichtsbeschluss vom Donnerstag, der auch nicht unbedingt zur Beruhigung der angespannten Lage beitragen wird, wie massive Proteste am Mittwoch gezeigt haben.

Nun hat der Oberste Gerichtshof in Katalonien ein 18-monatiges Amtsverbot gegen den Puigdemont-Nachfolger und Parteikollegen Torra verhängt. Der lächerliche Vorwand ist, dass er sich der Anordnung der spanischen Wahlbehörde widersetzt habe, gelbe Solidaritätsschleifen und ein Spruchband am Regierungssitz schnell genug vor dem Beginn des Wahlkampfs abzunehmen. Darauf war zu lesen: "Freiheit für politische Gefangene und Exilierte."

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und Neuwahlen deshalb nicht nötig. Das Verfahren in der zweiten Instanz vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid, der ständig wegen seiner Urteile in Europa kritisiert wird, dürfte aber kaum einen anderen Ausgang haben. Üblicherweise ziehen sich solche Verfahren ewig hin, aber in dem Fall könnte es relativ schnell gehen. Da an dem politisierten Gerichtshof eine Bestätigung des Urteils zu erwarten ist, könnte es doch in absehbarer Zeit zu Neuwahlen kommen.

Allerdings, so der emeritierte Richter dieses Gerichtshofs, ist auch dieses Urteil gegen Torra eine Rechtsbeugung. Telepolis hat Martín Pallín immer wieder zitiert, der auch längst erklärt hatte, dass die Politiker wie Junqueras und Aktivisten nie wegen Aufruhr hätten verurteilt werden dürfen. Der Mann, der mit seinen Vorhersagen richtig liegt, dass solche Urteile in Europa nicht durchgehen können, erklärt nun, dass man auch im Fall Torra die Gesetze völlig verbiegt. Es ist offensichtlich, dass dahinter wieder ein klarer Willen zur Verurteilung steht.

Hintergrund ist, dass Torra angeblich gegen eine Anweisung der Wahlbehörde (JEC) verstoßen haben soll. Pallín stellt das Urteil außerhalb des Rechts, da "ein Artikel angewendet wurde, um eine Person wegen Ungehorsam gegen richterliche Beschlüsse oder von höherstehenden Institutionen" zu verurteilen. "Weder ist der JEC ein Justizorgan, noch kann es richterliche Beschlüsse fällen, noch steht es in der Hierarchie über einem Präsidenten einer Autonomen Gemeinschaft", stellte er dagegen heraus und macht klar, dass Torra nie hätte verurteilt werden dürfen.

Die gesammelten Vorgänge machen es für den Sozialdemokraten Sánchez nun noch schwieriger, endlich eine Regierung zu bilden. Wie will er auf Stimmen von der ERC setzen, ohne die er nicht erneut Regierungschef werden kann, während er deren Chef illegal im Gefängnis schmoren lässt? Noch dazu gegen Anweisungen vom Europäischen Gerichtshof und den Forderungen des Europaparlaments.

Die ERC, deren Parteitag an diesem Wochenende begonnen hat, hat logischerweise die Gespräche auf Eis gelegt. Und es ist sicher keine Geste an ihr Entgegenkommen, dass das Ministerium für Staatsanwaltschaft sich gegen die Freilassung von Junqueras stellt und ihm sogar den Status als Europaparlamentarier aberkennen will.

Es ist offenbar, dass es 2019 nach zwei Wahlen keine Regierung gibt. Ob das "Genie" Sánchez, der längst eine Regierung haben könnte, noch eine Mehrheit zusammenbekommt, wenn er nicht endlich den Stier bei den Hörnern greift, darf bezweifelt werden.

Er müsste die Freiheit der politischen Gefangenen umsetzen, wie es die UN-Kommission für willkürliche Verhaftungen schon lange fordert. Und er müsste sich auf eine realen Verhandlungen über ein Referendum über die Unabhängigkeit einlassen, wie es auch der katalanische Parlamentspräsident und ERC-Führungsmitglied Roger Torrent im Telepolis-Gespräch gefordert hat.

Sonst sind die fünften Wahlen in nur vier Jahren in einem immer instabiler werdenden Spanien wohl kaum abzuwenden.