Kehrtwende bei Stuttgart 21: Gleise dürfen nicht weichen

Schiene verschwindet im Ortsschild von Stuttgart

Die Zukunft von Stuttgart 21 steht auf der Kippe. Eine Gesetzesänderung verhindert den Rückbau von Bahnflächen. Was bedeutet das für das umstrittene Großprojekt?

Dass die Kosten für den Durchgangsbahnhof Stuttgart 21 explodiert sind, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Dass die Politik auf dem Tieferlegen der Gleise bestand und die Mehrkosten auf die hoch verschuldete Bahn abwälzen will und dafür vor Gericht auch noch Recht bekommt, erleichtert die Situation jetzt auch nicht gerade.

Die Tatsache, dass die Bahn vor der politisch geplanten Privatisierung "nicht mehr benötigte" Gleise hat verschrotten lassen sowie viele Bahngrundstücke entwidmet und verkauft hat, wie irgend möglich, hat den Bahnbetrieb in ein Korsett gezwängt, das keine Luft zum Atmen lässt.

Weggesparte Ausweichstellen sorgen dafür, dass ein verspäteter Regionalzug den Fernverkehr ausbremst, weil sich dieser hinter den verspäteten Zug einreihen muss. Dass auf diese Weise Fahrpläne nur noch Empfehlungscharakter haben und Verspätungen unkalkulierbarer Größenordnung in Deutschland inzwischen zum System gehören, hat die Schweiz dazu bewogen, verspätete Zuläufe aus Deutschland an der Grenze zu stoppen.

Soll die Entwidmung von Bahngrundstücken gestoppt werden?

Bahngrundstücke, welche nicht mehr benötigt werden, wenn alles nach Plan verläuft, besitzen meist eine verkehrsgünstige Lage, weil die Städte im Laufe der Jahrzehnte um sie herum gewachsen sind, und gelten heute meist als wertvolle Filetgrundstücke. Investoren reißen sich darum und deshalb soll die Bahninfrastruktur, koste es, was es wolle, in den Untergrund verschwinden, auch wenn dieser dafür aus geologischen Gründen gar nicht geeignet ist.

Seit einer zum Ende des Jahres 2023 vorgenommener Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) können Bahnflächen nur noch in Ausnahmefällen entwidmet werden. Damit will man verhindern, dass eine Reaktivierung alter Bahntrassen wie im Falle der Verbindung von Calw nach Stuttgart unmöglich wird, weil auf der Trasse Straßen oder Gebäude errichtet wurden.

Im Interesse des Ausbaus des Personenverkehrs zur Entlastung der Straßen und damit der Umwelt vom Individualverkehr macht diese Sicherung von Verkehrsflächen der Bahn Sinn, auch wenn sie so manches ehrgeizige Investitionsprojekt damit zu Fall bringen kann.

Bundesweit stehen aufgrund der Gesetzesnovelle Radweg-, Wohnungsbau- und Straßenprojekte vor dem Aus. Für ein Land, das seine Zukunft im Individualverkehr nach dem Motto "Freie Fahrt für freie Bürger" sieht, stellt eine derartige Änderung der Rahmenbedingungen eine Gefahr dar, weil sich der Individualismus auf der Straße schon mittelfristig nur noch im Inland durchsetzen lassen könnte.

Konkret geht es bei dem Disput um die Novellierung des § 23 AEG, der die Freistellung von Bahnbetriebszwecken regelt. Diese Änderung sollte klarstellen, dass der Bahnbetriebszweck eines Grundstücks, das eine Eisenbahnbetriebsanlage ist oder auf dem sich eine solche befindet, im überragenden öffentlichen Interesse liegt. Im Interesse einer Weiterentwicklung der Eisenbahninfrastruktur dient ein solches Grundstück der Sicherung im Rahmen einer kurz-, mittel- oder langfristig prognostizierbaren Nutzung.

Ein Argument, das im Falle des Gleisvorfelds in Stuttgart in der Diskussion noch gar nicht auftaucht, ist das Makroklima im Stuttgarter Talkessel. Wenn die Oberfläche des Gleisvorfelds durch eine Bebauung merklich aufgeraut wird, besteht das Risiko, dass der Luftaustausch deutlich behindert wird und die Luftqualität in der Stuttgarter Innenstadt deutlich sinkt.

Weil die Mehrkosten auf die Bahn verlagert werden, speckt diese ab

Die Reduzierung der Baukosten betrifft ins Besondere die Gäubahn, welche Stuttgart mit Zürich verbindet und früher bis Mailand führte. Zur Zeit der französischen Besatzung wurde die ehemals zweigleisige Strecke in beachtlichem Umfang auf ein Gleis zurückgebaut. Bis heute war es nicht möglich, die ehemalige Magistrale wieder zweigleisig auszubauen.

Um den Bedeutungsverlust der Gäubahn auf Dauer zu sichern und die Anbindung an die Schweiz schwieriger zu machen, will man diese Verbindung jetzt über viele Jahre in Vaihingen enden lassen und, falls eine Finanzierung gesichert werden kann, später über den Flughafenbahnhof Stuttgart-Echterdingen wieder anbinden.

An dieser Projektänderung hält man fest, auch wenn dann für die Stuttgarter S-Bahn die Ausweichmöglichkeit über die Panoramabahn entfällt und die lukrativen Grundstücke der Stuttgarter Bauwirtschaft aufgrund des novellierten § 23 AEG gar nicht zur Verfügung stehen werden, sondern einer Zukunft als ungenutzte Brache entgegensehen, da Städtebau, nach langjähriger Rechtsprechung, nicht als "überragendes öffentliches Interesse" gilt,

Gäubahn als Opfer von Stuttgart 21

Daher wird der geplante Rückbau der für den Betrieb der Gäubahn notwendigen Gleise, Bahnsteige, Weichen und Signalanlagen im Gleisvorfeld nach der Neufassung des § 23 AEG sowie eine Entwidmung dieser Flächen auf absehbare Zeit nicht möglich sein. Denn die bestehende Infrastruktur wird für den Fern- und Regionalverkehr, einschließlich der Verbindungen in die Schweiz, weiterhin benötigt.

Angesichts der aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen kann man davon ausgehen, dass ein vollständiger Rückbau des Gleisvorfelds und der Betriebsgleise am Hauptbahnhof unzulässig ist, da sowohl aktuelle als auch zukünftige Bedarfe im Eisenbahnverkehr bestehen bleiben.

Damit wird schon allein durch die Notwendigkeit der weiteren Nutzung der Infrastrukturausbau im Gleisvorfeld des Stuttgarter Hauptbahnhofs eine Genehmigung des beabsichtigten Rückbaus verhindert. Auch eine Betrachtung der absehbaren Nutzung des Stuttgarter Bahnknotens zeigt, dass die absehbaren Kapazitätsprobleme von Stuttgart 21 den geplanten Rückbau sowohl eisenbahnrechtlich als auch ganz praktisch verunmöglichen werden.